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RAUB/1168: Energieverbrauch - Eigentum und Kapital essen Sourcen auf ... (SB)



Eine mächtige weltweite Mobilisierung der Umwelt-, Gewerkschafts-, Bauern-, feministischen und indigenen Bewegungen ist dringend notwendig. Es reicht nicht mehr aus, sich zu empören und auf die Entscheidungsträger*innen Druck auszuüben. Wir müssen uns erheben, am Zusammengehen der Kämpfe arbeiten, zu Millionen und Dutzenden Millionen auf die Straße gehen, die fossilen Investitionsanlagen, Landgrabbing und den Militarismus blockieren, uns aktiv in die Unterstützung für die Bäuerinnen und Bauern einbringen, die Grundlagen legen für gesellschaftliche Praktiken, die über den Rahmen des Kapitalismus hinausgehen...
Unser Planet, unsere Leben sind mehr wert als ihre Profite [1]

Die KlimawissenschaftlerInnen des UN Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) sind in einem Anfang Oktober veröffentlichten Sonderbericht zu dem Schluß gelangt, daß nur eine Begrenzung der Erderwärmung um 1,5 Grad gegenüber vorindustriellem Niveau katastrophale Folgewirkungen eindämmen kann. Zum Erreichen dieses Zieles sollen maximal 12 Jahre bleiben, in denen eine drastische Reduzierung der Emission von Treibhausgasen erreicht werden müßte, um Schlimmeres zu verhindern. Eine Erwärmung um 2 Grad zeitigt voraussichtlich Auswirkungen auf die Biosphäre, die negative Entwicklungen von bisher ungekanntem Ausmaß auslösen könnten. Es drohen eine Zunahme wetterbedingter Einbrüche bei den Ernten, eine Minderung des Nährstoffgehaltes im Treibhausklima regelrecht wuchernder Pflanzen, die Versauerung der Meere und ein Rückgang ihrer Fähigkeit, CO2 aufzunehmen, ein die Siedlungsgebiete von Millionen Menschen überflutender Anstieg des Meerespiegels, umfassende Einbrüche bei der Artenvielfalt insbesondere unter Insekten mit ihrerseits kaum abschätzbaren Folgen für die Welternährung, eine weitere Häufung von Extremwetterereignissen, eine Zunahme lebensbedrohender Epidemien durch die klimatisch erleichterte Verbreitung infektiöser Agentien, um nur einige Entwicklungen aus den Prognosen der Klimawissenschaften zu nennen.

Noch vor drei Jahren, als das zahnlose und dementsprechend weitreichend unwirksame Paris-Abkommen als großer Schritt für die Menschheit gefeiert wurde, wurde die 1,5 Grad-Marke als eher symbolisches Zugeständnis an von Überflutung bedrohte Inselstaaten betrachtet. Inzwischen sind sich die ExpertInnen sicher, daß allein die Erwärmung auf 2 Grad eine ganz andere, weit gefährlichere Lebenswirklichkeit für das Gros der Weltbevölkerung hervorbringen wird [2]. Dabei weisen die Parameter der Freisetzung von CO2 und seinen Äquivalenten durch Industrie, Landwirtschaft, Verkehr und individuelle Erfordernisse auf das deutliche Überschreiten der 2 Grad-Marke hin zu einer Welt, in der die Durchschnittstemperaturen auf bis zu 3,5 Grad gegenüber vorindustriellem Niveau gestiegen sein könnten. Bei der bereits düsteren Prognose des IPCC wurde die Gefahr des Auslösens von Umschlagpunkten und Rückkopplungsschleifen einigen KlimawissenschaftlerInnen zufolge nicht genügend berücksichtigt, so daß sie dem Sonderbericht anlasten, das Problem eher zu verharmlosen [3].


Die fossile Gesellschaft frißt ihre Kinder

Laut dem diese Woche veröffentlichten World Energy Outlook 2018 der Internationalen Energieagentur (IEA) wird der Weltenergieverbrauch bis 2040 um ein Viertel wachsen. Auch wenn bis dahin die Hälfte der dazu erzeugten Energie aus erneuerbaren Quellen kommt, wird der CO2-Anstieg aufgrund des wachsenden Bedarfs dennoch 10 Prozent betragen. Zwar soll die Energieerzeugung durch Kohle bis dahin deutlich zurückgehen, doch Erdgas wird eine große Zukunft beschieden. Auch das ist ein fossiler Brennstoff, wenn er auch nur halb so viel CO2 wie Kohle freisetzt. Doch selbst dieses Verhältnis könnte schöngerechnet sein, da das bei Förderung, Verarbeitung und Transport von Erdgas freigesetzte Methan ein zwar deutlich schneller als CO2 in der Atmosphäre wieder abgebautes Treibhausgas ist, das in seiner klimawirksamen Phase aber einen weit größeren Erwärmungseffekt auslöst.

Erdölprodukten wird in diesem Bericht eine langfristig hohe Nachfrage vorausgesagt. Das nicht nur, weil immer mehr LKWs und PKWs auf den Straßen und immer mehr Flugzeugen in der Luft sind, sondern die Nachfrage der Industrie an Erdöl zur Erzeugung von Kunststoffen und Plastik zunehmen wird. Von daher geht die IEA sogar von einer befristeten Verknappung des verfügbaren Erdöls aus und empfiehlt den Erzeugerländern, mehr Ölfelder zu erschließen als bislang vorgesehen.


"Hinterm Horizont geht's weiter" - fromme Hoffnung statt soziale Revolution

Hier divergieren zwei Entwicklung in einem Ausmaße, daß der Eindruck entstehen könnte, wir lebten auf zwei verschiedenen Planeten. Es fällt immer schwerer, für das Ausmaß an Ignoranz, mit der der Widerspruch zwischen Produktivismus und Naturerhalt ausgeblendet wird, angemessene Worte oder Metaphern zu finden. Wo nicht einmal die zentrale Bedeutung der kapitalistischen Eigentumsordnung für den Niedergang der gesellschaftlichen Naturverhältnisse anerkannt wird, wo munter an jeglicher ökologischen Ratio und jedem humanen Bedürfnis vorbei produziert wird, wo Ausbeutung und Unterdrückung florieren, um das Gesamtsystem mit Wucht gegen die Wand zu fahren, da wäre mensch schlecht beraten, nicht unbescheidene, grundstürzende, ja revolutionäre Forderungen zu erheben.

Die Frage "Sozialismus oder Barbarei?" ist auch hundert Jahre nach der unvollendeten Novemberrevolution nicht aus der Passivität des Abwartens auf bessere Zeiten zu stellen, sondern zum Ausgangspunkt für das Erkämpfen einer anderen Welt in Richtung Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln, Ausschaltung kapitalistischer Akkumulation und eine soziale Umverteilung zugunsten des Primates fundamentaler Bedürfnisbefriedigung zu erheben. Das gilt insbesondere in Sicht auf einen grünen Kapitalismus, der den Menschen vorgaukelt, fast alles bleibe so wie bisher, nur müsse hier und dort an einigen Stellschrauben von Produktion und Verbrauch gedreht, keinesfalls aber die Matrix kapitalistischer Vergesellschaftung überwunden werden.

Dabei weiß die Lohnabhängigenklasse auch in den hochproduktiven Ländern spätestens seit der Verstetigung der Finanz- und Wirtschaftskrise, daß sie einer Schuldenlast ausgesetzt ist, die sich als neofeudales Lehen der EigentümerInnenklasse um den Hals schon des Neugeborenen legt. Die Bringschuld derjenigen, die nichts als die physische Kraft und Dauer ihres Körpers mitbringen, wird immer unverhohlener als Freibrief zur Einspeisung des Menschen in seinen Interessen und Wünschen fremde Produktionsprozesse respektive seiner Ausgrenzung ins Abseits unumkehrbarer Verelendung verstanden und genutzt. Daß daraus nur selten emanzipatorischer und solidarischer Widerstand, aber immer öfter nationalchauvinistische Feindseligkeit resultiert, ist das Resultat jahrzehntelanger neoliberaler Indoktrination und sozialer Atomisierung.


Die Zukunft verheizen - ein Klassenprivileg

So, wie der Produktivismus industrieller Outputorientierung und ökonomischer Wachstumslogik in den Zwangsverhältnissen unabdinglicher Kapitalakkumulation scheinbar wie von selbst perpetuiert wird, so setzen die SachwalterInnen des grünen Kapitalismus auf technische Lösungen der Effizienzsteigerung, der CO2-Speicherung und des Geoengineering, um ihr Klasseninteresse gegen die Masse der Lohnabhängigen, Erwerbslosen und Subsistenzbevölkerungen durchzusetzen. Insbesondere im Energiesektor, aber auch in der Landwirtschaft und der Mobilität werden Produktionsweisen propagiert, die nicht erst heute auf krasser globaler Ungleichheit und einem Fundament von mehr als einer Milliarde Hungernden, die als zahlungsfähige Nachfrage ausfallen und daher aus den Prognosen der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln herausgerechnet werden, basieren. Ihre faktische Nichtexistenz rechnet sich ökonomisch nach dem Prinzip einer Verknappungslogik, die Wert schöpft aus dem wenn nicht systematisch erzeugten, dann billigend in Kauf genommenen endemischen Mangel an essentiellen Lebensmitteln. Wo geldförmige Tauschwertäquivalente nicht mehr ausreichen, um die Funktionsweise imperialistischer Politik zu sichern, da treten militärische Akteure als Vollstreckungsgehilfen auf.

Fossile Energie verheizende Kriegsmaschinen und die von ihnen angerichteten Zerstörungen sind ebenso integraler Bestandteil der kapitalistischen Eigentumsordnung wie die rechtsförmigen und politischen Mechanismen ihrer Ermächtigung zur Entscheidungsgewalt darüber, wer dazugehört und wer draußen bleibt, wer leben darf und wer sterben muß. Industrielle Überproduktion, kolonialistische Landnahme, kompensatorischer Konsumismus, kulturindustrielle Beschwichtigung - die gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse evozieren technologische Lösungen, weil ihr Betriebssystem, die kapitalistische Akkumulation und sozialdarwinistische Subjektivierung, bei Strafe von Unsichtbarkeit und Ausgrenzung nicht in Frage gestellt werden soll.

Zu rechnen ist mithin mit einer massiven Zunahme der Atomenergie und Maßnahmen wie der Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre, die so ressourcenintensiv sind, daß sie wiederum zu Lasten der Nahrungsmittelproduktion gehen dürften [5]. Auch mit der sogenannten Bioenergie, also der Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen zur Energieerzeugung, wird ein Faß geöffnet, an dessen Boden die Hungernden mit schmerzerfülltem Blick den Autos und Flugzeugen hinterherschauen, die die ihnen vorenthaltenen Land- und Wasserressourcen in Bewegungsenergie verwandeln. Nur weg von hier, ob im E-Mobil, im agrospritbetriebenen SUV, im durch Ökokerosin und Emissionszertifikat grüngewaschenen Passagierflugzeug, sagen sich die Reisenden in Anbetracht des Elends, das bei aller unterhaltsamen Ablenkung doch soweit präsent sein soll, daß die hochrangige Position in der Freßkette als Klassenprivileg begriffen und mit tätiger Unterstützung der Funktions- und Geldeliten honoriert wird.


"Ökosozialismus oder Barbarei"

Die bislang ausformulierten ökosozialistischen Konzepte sind sich vor allem darin einig, daß die Probleme der Naturzerstörung und des Klimawandels in erster Linie sozial determiniert sind und daher einer sozialistischen Antwort bedürfen. Es wäre zweifellos fatal, die an die Grenze finaler Destruktivpotentiale stoßenden Produktionsverhältnisse ihrerseits zu einem moralischen Imperativ zu verabsolutieren. Die bedrohlichen Perspektiven der Welterwärmung zur Erwirtschaftung neuer Zwangsmaßnahmen zu instrumentalisieren kann nicht Sache einer emanzipatorischen und herrschaftskritischen Bewegung sein. Wo die soziale Revolution überfällig ist, findet ihre ökologische Ausformulierung in organischer Handlungseinheit statt. Die autoritären und repressiven Maßnahmen, die auf der Strecke eines Kapitalismus liegen, der CO2-Emissionen individualisiert bemißt, staatlich sanktioniert und marktwirtschaftlich verrechnet, sind allemal dazu geeignet, die gesellschaftlichen Konkurrenzverhältnisse in genozidale Dimensionen zu treiben. Ohne eine kosmopolitische Gesellschaft, die allen Menschen prinzipielle Rechte garantiert, läßt sich Eigentum nicht auf eine Weise sozialisieren, die das Hauen und Stechen sozialer Konkurrenz aus der Welt schafft.

Die politische Arbeit derart zu öffnen, daß ein vitaler Kampf um das Leben in Vielfalt wie Kollektivität möglich wird, wäre eine Aufgabe, an der die Linke wieder wachsen könnte. Historische Erfahrungen und zeitgeschichtliches Wissen um die Fallstricke doktrinärer Ideologien und zentralistischer Organisationsformen liegen brach, nicht um vergessen, sondern im Sinne ihrer produktiven Überschreitung aufgegriffen zu werden. Wie die zugewandte Diskussion um das Verhältnis von Klassenkampf und Identitätspolitik oder die neue Sensibilität anderen Lebenswelten als der eigenen gegenüber belegen, sprießen aus den Trümmern gescheiterter Aufbrüche wieder Blumen. Diese nicht einfach abzuschneiden, sondern als Bereicherung sozialer und ökologischer Handlungsfähigkeit zu begreifen könnte den Ausbruch aus der Ohnmacht fremdverfügter Gewalt einleiten.


Fußnoten:

[1] Unser Planet, unsere Leben sind mehr wert als ihre Profite - Von Ökologie-Kommission der Vierten Internationale - 9. Oktober 2018 [1]

[2] https://www.theguardian.com/environment/2018/oct/08/global-warming-must-not-exceed-15c-warns-landmark-un-report

[3] https://www.commondreams.org/news/2018/10/09/whats-not-latest-terrifying-ipcc-report-much-much-much-more-terrifying-new-research

[4] https://www.iea.org/newsroom/news/2018/november/world-energy-outlook-2018-examines-future-patterns-of-global-energy-system-at-a-t.html

[5] http://www.aufbruch-salzburg.org/klimawandel-systemwandel/

16. November 2018


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