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RAUB/1180: Kohlestrom und Klima - das ist kein Spiel ... (SB)



"Mer gebbe nix" - ob hessischer Bempelstemmer oder schwäbische Hausfrau, Geiz ist eine Tugend und eine lustvolle dazu, wie der bekannte Werbeslogan eines Vermarkters für Unterhaltungselektronik beweist. Immerhin hat die von Bundeskanzlerin Merkel zur Nationalikone erhobene Dame dafür gesorgt, daß die Bundesrepublik als Krisengewinner aus der Binnenkonkurrenz der Eurozone hervorging. Sparkommissar Schäuble hat sogar noch eins draufgesetzt und selbst die knauserige Schwäbin überflügelt - am Beispiel Griechenland wurde vorexerziert, wie man einen Krisenverlierer am ausgestreckten Arm verhungern läßt und daraus noch Gewinn schlägt.

Das Beispiel macht auch in der Klimapolitik Schule, indem man sich gar nicht erst eingesteht, daß die Industriestaaten eine Bringschuld gegenüber den Ländern des Globalen Südens haben. Gerade das Beispiel der rohstoffarmen Bundesrepublik zeigt, daß das Erreichte keineswegs nur auf der eigenen Hände Arbeit beruht, sondern mit Hilfe eines neokolonialistischen Welthandels erwirtschaftet wurde, der den Bevölkerungen der ressourcenproduzierenden Regionen nur einen Bruchteil dessen läßt, woraus hierzulande die stoffliche Basis industrieller Wertschöpfung gebildet wird. So erfolgte das Ende der Steinkohleproduktion nicht etwa aufgrund klimapolitischer Notwendigkeit, sondern wirtschaftlicher Erwägungen - Steinkohle wird in anderen Ländern so billig gefördert, daß sogar der Transport rund um die halbe Erde noch kostengünstiger ist, als den fossilen Brennstoff wie bisher aus dem eigenen Boden zu holen.

All das rechnet sich bei den ökologischen Kosten, die bei Produktion und Verschiffung der Kohle anfallen, in keiner Weise. Doch solange die betriebswirtschaftliche Bilanz Gewinne ausweisen kann, werden diese Kosten wie bisher auch in die Atmosphäre externalisiert und schlagen in den verwüsteten Regionen extraktivistischen Raubbaus zu Buche der dort lebenden Menschen. Fast nichts davon ist im Abschlußbericht der sogenannten Kohlekommission zu lesen. Zwar werden dort die klimapolitischen Ziele der Bundesrepublik und EU als Grundlage für die perspektivische Beendigung der Kohleverstromung genannt und mit der vom IPCC zugrunde gelegten Entwicklung des Weltklimas begründet, doch ansonsten wird die deutsche Binnensicht kaum verlassen.

Tatsächlich verweist schon der offizielle Titel der Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" darauf, daß die Machbarkeit des Kohleausstiegs an den ökonomischen Parametern der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft ausgerichtet ist.

Seit Jahrzehnten ist die Kohle wesentlicher Bestandteil der sicheren Energieversorgung in Deutschland. Sie hatte so entscheidenden Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands zu einer weltweit führenden Industrienation. Erbracht haben diese Leistung in erster Linie die Beschäftigten in der Braun- und Steinkohlewirtschaft. Diese haben die Kohleregionen über Generationen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sozial und kulturell entscheidend geprägt. Diese Entwicklung hat den Regionen wirtschaftliche Prosperität und Wohlstand gebracht und zugleich auch den dort lebenden Menschen große Opfer abverlangt. Der hohe Anteil industrieller Produktion an der Wertschöpfung in Deutschland basiert auf einer zuverlässigen, bezahlbaren Energieversorgung, aber auch auf integrierten Wertschöpfungsketten, Unternehmergeist sowie einem hohen technischen Know-How der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer infolge einer guten Ausbildung. [1]

Dieses Idealbild soll versöhnlich stimmen, kann den Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital aber ebensowenig kitten wie die destruktiven Auswirkungen fossiler Energieerzeugung ungeschehen machen. Das deutsche Klimakonto ist gerade wegen der Braunkohleverstromung weit überzogen und wird durch die solchermaßen befeuerte industrielle Wertschöpfung nicht nur nicht ausgeglichen, sondern weiter belastet. So bringen etwa Chemie- und Autoindustrie Produkte hervor, die ohne den kostenlosen Verbrauch von Klima und Natur kaum verkäuflich wären. Ohne die Aneignung fossiler Energie und billiger Arbeitskraft, ohne kolonialistische Unterwerfung und imperialistische Kriege befänden sich die hochproduktiven Industriestaaten nicht in einer Position, die sie dazu befähigt, ganze Weltregionen der sozialen Verelendung und ökologischen Zerstörung preiszugeben. Durch expansive Landnahme und kapitalistische Mehrwertproduktion fast uneinholbar an der Spitze entwicklungspolitischer Entwicklung sind Nordamerika, Westeuropa und Japan auch klimatisch gegenüber den Ländern des Globalen Südens so bevorteilt, daß deren Forderungen nach klimapolitischem Ausgleich mit dem Makel behaftet bleiben, machtpolitisch nicht durchsetzbar zu sein.

Mehr denn je ist die Industrie der Bundesrepublik in einen Weltmarkt integriert, der sich ohne Kapitalexporte, Schuldenwirtschaft und andere Aktivitäten am Finanzmarkt nicht in auf "wettbewerbsfähige" Weise bewirtschaften läßt. Wachstum nicht grundsätzlich zur Disposition des gemeinsamen Kampfes gegen die Folgen des Klimawandels zu stellen und Wettbewerb zum Nonplusultra aller ökonomischen Beziehungen zu erklären ist Ausdruck eines nationalen Egoismus, der die Bundesrepublik nur bedingt von ausgesprochenen Blockierern klimapolitischen Fortschrittes wie die USA, Rußland, Saudi-Arabien und Katar unterscheidet. Deren Emissäre hatten auf dem Weltklimagipfel in Katowice verhindert, daß der besonders alarmierende Spezialbericht des IPCC zur notwendigen Begrenzung der Klimaerwärmung um 1,5 Grad [2] offiziell willkommen geheißen wurde. Es ist kein Zufall, sondern illustriert den zwingenden Zusammenhang von ökologischem Engagement und der Übernahme sozialer Verantwortung für alle Menschen und Lebewesen auf gegenteilige Weise, daß diese Staaten extreme Ungleichheit im Verhältnis zu anderen Staaten wie innerhalb der eigenen Gesellschaft als strategische Ressource nutzen.

Klimagerechtigkeit, wie von immer mehr AktivistInnen gefordert, ist an ökologische und soziale Faktoren gebunden [3]. Wenn nun als Ergebnis des aufwendigen Verhandlungsprozesses die Empfehlung steht, erst zum Ende des Jahres 2038 aus der Kohleverstromung auszusteigen und dies auch noch von einer Überprüfung einige Jahre zuvor abhängig zu machen, dann kann von Klimagerechtigkeit, die keine Grenzen kennt, weil es nur eine Atmosphäre gibt, keine Rede sein. Gerade auch in Anbetracht der empfohlenen Milliardenbeträge für den regionalen Strukturwandel, die Kompensation verlorengehender Arbeitsplätze und Entschädigungszahlungen an die Tagebaubetreiber wäre ein schneller Ausstieg und damit eine erhebliche Reduzierung der in Deutschland emittierten Treibhausgase allemal möglich. Es bedürfte lediglich des Verweises auf eine globale Verantwortung, die niemals zu produktiven Resultaten führen wird, wenn alle Akteure erst einmal darauf warten, daß der andere vorangeht.

Das nun vollmundig als fast einstimmiger Konsens divergierender Interessen gelobte Verhandlungsergebnis der Kohlekommission wäre ohne die Zustimmung der großen Umweltverbände und SachwalterInnen der Energiewende nicht möglich gewesen. Auch sie haben sich im bequemen Szenario einer Nationalökonomie eingefunden, die nach außen hermetisch abgedichtet ist, um finanziellen Verlusten an die Adresse der bereits vom Klimawandel getroffenen Bevölkerungen in den Ländern des Globalen Südens vorzubeugen. Auch sie gehen konform mit einem Deutschland, daß die EU als Feld eigener Vorteilsnahme begreift, anstatt die hegemoniale Rolle der Bundesrepublik in die Verantwortung umzumünzen, klimapolitisch als Vorbild und nicht als Bremser zu fungieren.

Während der Dachstuhl schon in Flammen steht, wird im Erdgeschoß noch fleißig Kohle in den brennenden Ofen geschippt. Was den SachwalterInnen des deutschen Imperialismus als Devise erfolgreichen Wirtschaftens in Fleisch und Blut übergegangen ist, sollte für Menschen, die beanspruchen, die Zusammenhänge in der globalen Ökosphäre zu verstehen, inakzeptabel sein. Die in der Kohlekommission aktiven VertreterInnen umweltpolitischer Initiativen hatten ihre Gründe, an dieser entscheidenden Stelle nicht den Bruch mit der Selbstherrlichkeit nationaler Egoismen gewagt und damit der außerparlamentarischen Opposition gegen die sozialdarwinistische Organisation der Gesellschaft neue Möglichkeiten eröffnet zu haben, ihre Forderungen durchzusetzen.

Als Verbündete einer Klimabewegung, die es ernst meint mit der Kampfansage "System Change, not Climate Change", kommen hochgradig professionalisierte NGOs wie BUND und Greenpeace, um nur zwei der größten Akteure zu nennen, immer weniger in Frage. Wer noch den längeren Teil des Lebens vor sich hat, sollte schon aus bloßer Selbstsorge nicht dem Trugschluß verfallen, daß die Reformschritte des grünen Kapitalismus irgendwo anders hinführen denn in ökologische Zerstörung und soziale Feindseligkeit. Mit dem lange erwarteten Ergebnis hat die Kohlekommission einmal mehr den Beweis erbracht, daß die Angebote zur Einbindung der Zivilgesellschaft in das Konsensmanagement von Staat und Kapital vor allem dem Zweck dienen, konkrete gesellschaftliche Konflikte zugunsten einer demonstrativen Einigkeit zu vernebeln, die in keiner Weise belastbar ist, weil sie auf unbewältigten sozialen Widersprüchen beruht.


Fußnoten:

[1] http://tools.lr-online.de/ablage/abschlussbericht_kohle-kommission_26_januar_2019.pdf

[2] https://www.ipcc.ch/sr15/

[3] https://www.cidse.org/publications/climate-justice/after-paris-inequality-fair-shares-and-the-climate-emergency.html

28. Januar 2019


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