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RAUB/1207: Eigentumsvorbehalt - Besitzrecht und Aneignung ... (SB)



Der Wald und seine vielseitigen Ökosystemleistungen stehen klimabedingt vor großen Herausforderungen. Um für die Gesellschaft und die Natur auch künftig den Erhalt dieses Ökosystems sicherstellen zu können, bedarf es einer Honorierung aller Waldleistungen. Diese sind gegenwärtig vielen Bürgerinnen und Bürgern nicht bewusst, unentgeltlich und kaum wertgeschätzt.
Aus der Schrift "Klimaziele erreichen - Wald erhalten, Ökosystemleistungen des Waldes honorieren!" [1]

Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW) und des Verbandes Familienbetriebe Land und Forst fordern, daß sie für die Vielzahl von gesellschaftlichen Leistungen, die sie mit der Pflege ihres Waldes erbringen, honoriert werden. Weil der Wald CO2 aufnehme und damit zum Klimaschutz beitrage, müsse sich dies auch in einer Kostenerstattung zu seinem Erhalt niederschlagen, so etwa in Form eines an die EigentümerInnen weitergeleiteten Betrages aus den Einnahmen der CO2-Bepreisung. Da sich fast die Hälfte aller Waldgebiete Deutschlands in Privatbesitz befindet, handelte es sich um eine Umverteilung größeren Ausmaßes, die zweifellos von der beabsichtigten Begünstigung einkommensarmer Menschen abzuziehen wäre.

Mit dem Begriff der Ökosystemleistungen werden Eigenschaften der Natur wie die Speicherung und Filterung von Wasser, die Bildung von Sauerstoff und die Aufnahme von Kohlenstoff quantifiziert und in Wert gesetzt. Der Blick auf Pflanzen und Tiere wird auf den möglichen Nutzen verengt, den sie für den Menschen erbringen, was zugleich bedeutet, einen Subjektcharakter dieser Bioorganismen von vornherein in Abrede zu stellen. Sie leben nicht für sich selbst, sie existieren, um dem Menschen zu Dienste zu sein, besagt zumindest das christliche Mandat, sich die Erde untertan zu machen.

Doch "der Mensch" oder gar "die Menschheit" sind bloße Vorwände eines Verfügungsanspruches über die Natur, der mit mörderischer Konsequenz zugunsten ganz bestimmter Interessen gegen andere Menschen in Stellung gebracht wird. Zu Beginn des modernen Kapitalismus in England wurden Kleinbauern von ihren Feldern vertrieben, um Schafzüchtern Platz zu machen, mit deren Wolle die industrielle Produktivität und der merkantile Handel zwecks Kapitalakkumulation angeheizt wurden. Aus der ihrer Lebensgrundlage beraubten Landbevölkerung entstand in den Kohleminen und Fabriken, in den Arbeitshäusern und Schlachthöfen das Proletariat, das nichts außer dem eigenen Körper besitzt, der in Lohnarbeit verwertet wird. Der Besitz von Grund und Boden ermöglichte den EigentümerInnen demgegenüber ein Leben, das sie mit zu großen Teilen arbeitsfrei erwirtschaftetem Einkommen bestreiten. Selbst wenn das nicht für alle WaldeigentümerInnen zutreffen mag, so ist die Tatsache, daß sich eine Natur, von deren sogenannten Leistungen das Überleben aller Menschen abhängt, in Privatbesitz befindet, Ausdruck eines auf Eigentumsrecht basierenden Gewaltverhältnisses, dem heute noch viele Menschen mit lebensbedrohlichen Folgen zum Opfer fallen.

So werden die indigenen BewohnerInnen des amazonischen Regenwaldes in einem regelrechten Kolonialkrieg vertrieben und ermordet, der die Aneignung und Zerstörung des Waldes durch Großgrundbesitzer und Rinderzüchter, durch Minenkonzerne und die Holzindustrie zum Ziel hat. Weil durch die Politik des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, der den amazonischen Regenwald ökonomisch erschließen will, begünstigt, wurden die zum großen Teil rodungsbedingten Waldbrände Anlaß internationaler Proteste, die um den Erhalt der "grünen Lunge des Planeten" fürchten. Darin bildet sich so etwas wie ein kollektiver Anspruch auf die lebensspendende Natur des Waldes ab, die in der Forderung nach seinem Erhalt allerdings insofern ambivalent ist, als sie von Staaten erhoben wird, deren Entwicklungsvorsprung auf der bereits in Anspruch genommenen Entsorgung der Emissionen fossiler Energie in die Atmosphäre wie die Ausbeutung Mittel- und Lateinamerikas durch ihre kolonialistische Wirtschaftsweise beruht.

Daß Bolsonaro mit diesem Pfund wuchert und Brasilien als Ziel einer unberechtigten Einmischung in die nationalen Angelegenheiten inszeniert, während er Amazonien selbst der freizügigen Ausplünderung preisgeben will, ist seinem demagogischen Kalkül geschuldet, macht aber die Kritik am kolonialistischen Übergriff nicht gegenstandslos. So geht die Waldschutzpolitik der großen Naturschutzorganisationen immer wieder zu Lasten der in den als Naturschutzgebiete und Biosphärenreservate ausgewiesenen Regionen seit jeher lebenden Menschen [2]. Sie werden in den Nutzungsrechten des Waldes eingeschränkt oder gleich ganz aus ihm vertrieben. Gleiches gilt für die Ausgabe von Emissionszertifikaten, mit denen der durch Indigene bewohnte Wald in Wert gesetzt wird, ohne diese auch nur danach zu fragen. Das Waldschutzprogramm REDD wird von den BewohnerInnen des Waldes, die erwiesenermaßen am besten dazu qualifiziert sind, ihn zu erhalten, als paternalistische Einschränkung ihrer Lebensrechte weltweit kritisiert und bekämpft [3]. Interessant zu wissen wäre, wie viele der Brände in Amazonien Waldgebiete betreffen, die einmal im Rahmen dieser Kompensationsmechanismen in Wert gesetzt wurden, nun aber dennoch in Flammen aufgehen und das in ihnen gebundene CO2 freisetzen.

Nähme sich Bolsonaro die Forderungen der deutschen WaldeigentümerInnen zum Vorbild, dann könnte er so viele Milliarden für die Ökosystemleistungen Amazoniens verlangen, daß der Preis des Erhaltes des Waldes den aus seiner Rodung zu erwartenden Gewinn überträfe. Selbstverständlich überstiegen diese Kosten die Möglichkeiten der Industriestaaten Westeuropas, Nordamerikas und Ostasiens, die starkes Eigeninteresse an der Bewirtschaftung Amazoniens haben und insbesondere mit ihrer Tierproduktion für seine stetige Verkleinerung sorgen. Hier beißt sich die Logik einer Bepreisung der Natur in den Schwanz - was als Ausgangspunkt für den Nachschub mit Basisrohstoffen für die industrielle Produktivität des globalen Nordens fungiert, kann nicht zugleich verwertet und geschützt werden. Um einen Wert zu produzieren, von dem ein Teil für den Naturerhalt als CO2-Steuer oder Emissionszertifikat abgezogen werden kann, muß die strukturelle Voraussetzung eines Produktivitätsgefälles aufrechterhalten werden, ohne das es sich schlicht nicht rechnete, Soja und andere Agrarprodukte oder Holz und mineralische Rohstoffe über den Atlantik nach Westeuropa und Nordamerika zu verschiffen.

Werden die elementaren Lebensprozesse des Waldes, bei deren Entstehung kein Mensch Hand angelegt hat und die sich ohne menschliches Eingreifen einfach fortsetzten, durch Aneignung und Inwertsetzung Partikularinteressen unterworfen und dem allgemeinen Nutzen entzogen, dann ist das Bestandteil des Problems der Klimakatastrophe und nicht seiner Lösung. Die angemessene sozialökologische Forderung könnte daher lauten, einen Neubeginn der gesellschaftlichen Naturverhältnissse zu initiieren. Anstatt Gemeinschaftsgüter wie Boden und Wald privat anzueignen, sollten sie der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung unterstellt werden. Wo das Interesse der Menschen, der pflanzlichen und tierlichen Bioorganismen am Erhalt der Lebensgrundlagen an erster Stelle steht, erledigt sich das Problem einer Umverteilung, die niemals sozial gerecht sein kann, solange die Produktionsmittel privatwirtschaftlicher Kontrolle unterworfen sind, von selbst. Im Unterschied zu einigen ökosozialistischen Konzepten wären pflanzliche und tierliche Bioorganismen nicht als Produktionsfaktoren zu behandeln, sondern in ihrem Subjektcharakter zu respektieren. Welchem Verbrauch auch immer sie ausgesetzt wären, er würde folgerichtig unter größter Berücksichtigung dieses Eigeninteressses erfolgen.


Fußnote:

[1] https://www.forstpraxis.de/wp-content/uploads/Klimapapier-AGDW-und-Familienbetriebe.pdf

[2] REZENSION/449: Klaus Pedersen - Naturschutz und Profit (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar449.html

[3] https://taz.de/Biologin-ueber-Amazonasbraende/!5619405/

[4] RAUB/1204: Brasilien - teures Ernährungsprivileg ... (SB)
http://schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1204.html

7. September 2019


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