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RAUB/1208: Automobil - die zerstörungsbefreite Bewegung ... (SB)



Die Umwelt schützen, das kann bedeuten, den Überschallverkehr zu verbieten. Vermeiden, daß die soziale Polarisierung unerträglich wird, das kann bedeuten, selbst Schnellzuggeschwindigkeit innerhalb einer Grenze zu halten. Sich gegen das radikale Monopol schützen, das kann bedeuten, die Autos zu verbieten.
Ivan Illich: Tools for Conviviality (1973) [1]

An dem aus der Asche wiederaufsteigenden Phönix hat sich schon immer die Hoffnung auf einen Neubeginn geheftet, der die erlittenen Schmerzen durch die Betriebsamkeit des Wiederaufbaus vergessen machte. Daß der Haufen der sich dabei ansammelnden Asche immer größer wird, erscheint vor dem Wunder eines Lebens, das sich stets aufs Neue gegen seine Vernichtung zu behaupten weiß, als vernachlässigbares Übel. Mit den beiden großen Kriegskatastrophen des vergangenen Jahrhunderts scheint der Beweis erbracht zu sein, daß die Wiedergeburt im Tod bereits angelegt ist und die daraus erstehende Hoffnung als letztes stirbt. Der fast religiös zu nennende Glaube an den sogenannten Kreislauf des Lebens bringt denn auch allerlei Konstrukte zyklischen Verlaufes hervor, als sei es ein Naturgesetz, daß keine Finalität unumkehrbar sei und jedes Omega zu seinem Alpha zurückkehre.

Gänzlich ausgeblendet aus dieser Perspektive gottgleicher Unberührbarkeit wird die unverwechselbare Subjektivität der dabei untergehenden Lebewesen, für die der eigene Tod stets die ultimative Katastrophe ist. Absichtsvoll übersehen wird zudem, daß die auf den Trümmern vergangener Epochen angefachte Produktivität immer tödlicher wirkende Ergebnisse menschlichen Erfindungsstrebens mit sich bringt. Die industrielle Entwicklung der letzten 50 Jahre hat zahlreiche zum Zwecke der optimierten Ressourcenextraktion und gesteigerten Verwertungseffizienz geschaffene Technologien und Substanzen hervorgebracht, deren Unverträglichkeit den meisten Menschen erst seit kurzem in ihrer ganzen Konsequenz dämmert.

Die agroindustrielle Intensivbewirtschaftung der Böden und Tiere hat von der Vergiftung der Nahrungsmittel mit Pestiziden, der Belastung des Trinkwassers mit Nitraten und der Atemluft mit Feinstaub, des Aufkommens antibiotikaresistenter Keime und der epidemischen Verbreitung hochinfektiöser Zoonosen Gesundheitsgefahren geschaffen, die eine drastische Zunahme sogenannter Zivilisationskrankheiten mit meist chronischem Verlauf zur Folge haben. Chemische Substanzen in der Kleidung, den Möbeln und Gebrauchsgegenständen aller Art tragen zu diesem Problem ebenso bei wie das Geschäftsmodell einer Pharmaindustrie, die desto besser verdient, je dauerhafter die Kundschaft auf ihre Medikamente angewiesen ist. Wo sich Lohnarbeit für die davon lebenden Menschen am wenigsten lohnt, weil sie am billigsten und gefährlichsten ist, wird der Preis des bloßen Überlebens schon in der Produktion durch eine arbeitsbedingt besonders niedrige Lebenserwartung entrichtet. Was immer die Menschen dort an Fremdbestimmung erleiden müssen, werden sie zudem als Kundschaft einer mit Vollgas im Leerlauf Güter ausstoßenden Industrie zudem bei der Reproduktion ihres Daseins von einer lebensfeindlichen Konsumkultur in die Zange materieller Gewaltverhältnisse genommen.

Die sich heute in einem Pandämonium einander multiplizierender Destruktionsverläufe kreuzende Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse ist nicht minder menschengemacht, als es die Staatenkriege des 21. Jahrhunderts waren. Nur könnte der Phönix dieses Mal an der schieren Menge der Asche des fossilen Brandes ersticken. Der Unabsehbarkeit der Klimakatastrophe gegenüber sind auch die mörderischsten Kriege noch überschaubar, zumal dann, wenn die von ihnen verursachte Geldvernichtung größeren Ausmaßes zu einer Wertberichtigung überakkumulierten Kapitals führt und damit den neuerlichen Take-Off industriellen Wachstums begünstigt. Doch die Zeiten des sogenannten Wirtschaftswunders sind vorbei und kehren nicht zurück. Der kaum gebremste Output der großen Maschine des Weltkrieges und die Begünstigung der Bundesrepublik als antikommunistischer Frontstaat sorgten für eine historische Ausnahmerscheinung von Vollbeschäftigung und Wachstumsrekorden, von der ältere BundesbürgerInnen heute noch träumen, wenn sie wahlweise Neoliberalismus oder Ausländer für den stetigen Niedergang ihrer Lebensqualität verantwortlich machen.

Zu allem Überfluß wird ihnen nun die Rechnung des überbordenden Konsumismus der fordistischen Ära präsentiert. Die sich immer höher auftürmende Berge aus verkohlten Überbleibseln eines Brandes, mit dem das Konto der in Jahrtausenden angesparten und in 200 Jahren ausgegebenen fossilen Energie weit überzogen wurde, blockieren die Sicht auf die Freiheit einer Landschaft, die nicht von Straßen durchzogen, von Windmühlen durchkreuzt, von Hochspannungsmasten durchzogen und den uniformen Parzellen der agroindustriellen Landwirtschaft verödet wird. Die hohe Produktivität der verbrauchsintensiven Konzentration an Nährstoffen im sogenannten Veredelungsprozeß der Tierzucht befeuert den Stoffwechsel von Menschen, die der Bewegungskraft ihrer Beine kaum mehr bedürfen, weil ihre sitzende Lebensweise im automobilen Gefährt expansiver geworden ist, als es alle Fuß- und Reiterarmeen je hätten sein können.

Sie bedienen sich einer Form der mechanisch übersetzten Fortbewegung, die ihre besten Zeiten hinter sich hat und heißen Reifens auf ihr Ende zusteuert. Ein langes Menschenalter ist die Durchsetzung des motorisierten Individualverkehrs zur weltweit bevorzugten Fortbewegungsweise erst alt, und doch scheint die automobile Epoche wieder vorüber zu sein. Schon die Einführung des motorisierten Individualverkehrs stieß auf den Widerstand einer Bevölkerung, die sich ihr Recht, gefahrlos auf der Straße zu flanieren, nicht nehmen lassen wollte. Noch in den 1920er Jahren waren große Demonstrationen gegen den Tod zahlreicher Kinder im motorisierten Straßenverkehr US-amerikanischer Städte an der Tagesordnung. In dem Land, in dem das Automobil als erstes zu einem am Fließband gefertigten Gebrauchsartikel wie zu einer illustren Ikone gelungener Modernität wurde, setzte ein Unternehmenskartell die vorrangige Stellung des motorisierten Individualverkehrs in den urbanen Zentren planmäßig zu Lasten des damals noch gut ausgebauten, mit Straßenbahnen auf der Schiene verlaufenden Personennahverkehrs durch [2]. In der Folge wurde die Struktur ganzer Städte durch Schnellstraßen und Parkflächen bestimmt, Autobahnprojekte wurden insbesondere in Deutschland und den USA zum Aushängeschild technologischen Fortschrittes, Autokino, Motel und Drive-In-Restaurant wurden zu festen Größen flüchtiger Begegnung und der Road-Movie fungierte als Schaufenster für die Abenteuer eines bewegten Lebens in nomadischer Ortlosigkeit.

Während eine Million Todesopfer weltweit im Straßenverkehr als Preis für diese Fortbewegungsform selbstredend hingenommen werden, wird die massive Zerstörung natürlicher Ressourcen und die Lebensfeindlichkeit "autogerechter" Städte von immer breiteren Kreisen der Bevölkerung als zu hoher Preis für das Vorwärtskommen von einem Ort zum andern empfunden. Der stoffliche Aufwand der Herstellung von einzelnen Menschen betriebener Automobile ist ebenso unvertretbar wie die Unmengen an fossiler Energie, Teer und Sand, die für den Straßenbau benötigt werden. Der Verlust an fruchtbaren Flächen als auch der Verbrauch der bei essentiellen Lebensbelangen knappen Energie aus erneuerbaren Quellen für den Luxus, sich weiterhin in einem fahrenden Wohnzimmer durch die Landschaften zu bewegen, ist immer weniger zu rechtfertigen. "Reclaim the streets!" forderten schon in den 1990er Jahren radikalökologische AktivistInnen in Großbritannien. Die exklusive Nutzung breiter Straßen durch hermetisch nach außen abgeschottete Fahrgastzellen wurde als undemokratische Privatisierung des öffentlichen Raums kritisiert, womit sie darauf hinwiesen, daß sich die Verabsolutierung der kapitalistischen Eigentumsordnung nicht nur ökonomisch, sondern auch sozial destruktiv auswirkt.

Wird heute, wie auf der Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt, versucht, das Geschäftsmodell der Autokonzerne durch Technologiewechsel zur E-Mobilität und autonomes Fahren zu retten, so können diese Bemühungen morgen schon Geschichte sein. Die Elektrifizierung des motorisierten Individualverkehrs mag eine passable Lösung für die Gewinninteressen der Automobilindustrie und der davon abhängigen Regierungen sein, eine Antwort auf die ökologische Krise ist sie in keinerlei Hinsicht. Die Unvereinbarkeit des sich immer mehr beschleunigenden Klimawandels mit den Wachstumszielen dieser Industrie ist offenkundig, das zeigt nicht nur die Zunahme des Verkaufes von SUVs, die in weit höherem Ausmaß verantwortlich für die autobedingte Zunahme an Treibhausgasemissionen als der Betrieb mit Diesel betriebener Fahrzeuge ist [2]. Während die Wachstumprognosen der Fahrzeugbauer ebenso in den Himmel ragen wie die der Passagierluftfahrt und Kreuzfahrtindustrie, brennen die Wälder, sterben die Meere, verschwinden die Tiere, schmilzt das arktische Eis in einem Tempo, das schlimmste Befürchtungen übertrifft.

Das Konto der in Jahrtausenden angesparten und in 150 Jahren ausgegebenen fossilen Energie ist überzogen, es bleibt die Umkehr zu einer genügsamen Lebensweise, bei der der Mensch froh sein wird, wenn die aus den Fugen geratene Welt es zuläßt, noch zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs zu sein. Der Fehlentwicklung des motorisierten Individualverkehrs ist keine Träne nachzuweinen, die zu vergießen an schmerzhaften Anlässen im Niedergang der natürlichen Lebensvoraussetzungen kein Mangel herrscht. Kaum mehr zu verhindern sind gigantische Wanderungsbewegungen aus den unbewohnbar gewordenen Regionen des Südens, was alleine eine Bereitschaft zum Zusammenrücken voraussetzt, von der bislang keine Rede sein kann, wie die massive Ausbreitung feindseliger Haltungen in den rechten Bewegungen weltweit belegt.

Der ersatzlose Verlust des zentralen Akkumulationsmodells der Automobilindustrie ist eine Herausforderung, an der zu scheitern angesichts des scheuklappenbewehrten Beharrungsvermögens sich darüber reproduzierender Menschen weit wahrscheinlicher ist als die dünne Chance, einen Schritt zu tun, mit dem völliges Neuland betreten wird. Für das notwendige Ausmaß des erforderlichen gesellschaftlichen Wandels und die Tiefe der Besinnung auf eine ganz andere Form des kollektiven Lebens, ohne die die Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse nicht zu bewältigen ist, gibt es kein Vorbild. Aus den vielen gescheiterten Versuchen, dem Leben etwas anderes abzugewinnen als Verbrauch, Gewalt und Tod, kann möglicherweise gelernt werden, um vielleicht mit einer ökosozialistischen Organisationsform des Mensch-Natur-Stoffwechsels den verheerendsten Entwicklungen die Spitze zu nehmen. Völlig kontraproduktiv allerdings wäre es, die Klimakatastrophe als quasi gottgegebenen Schicksalsschlag zu verstehen, der die Menschen zu allerlei Dingen nötigt, die sie gar nicht wollen oder wünschen. Sie ist mit dem Scheitern sozialer Emanzipation nicht nur auf innige Weise verknüpft, sie ist quasi deren Ergebnis und könnte daher als Anlaß verstanden werden, die ohnehin unabgegoltene Überwindung von Ausbeutung und Unterdrückung in einem Quantensprung menschlicher Entwicklung doch noch zu schaffen.


Fußnoten:

[1] deutsche Übersetzung aus Ivan Illich: Selbstbegrenzung - Eine politische Kritik der Technik, Reinbek, 1980, S. 145

[2] REZENSION/040: "Die Erdzerstörer" - Arte-Dokumentarfilm (SB)
http://schattenblick.de/infopool/medien/redakt/mrrz0040.html

[3] http://tinyurl.com/yxomre3b

10. September 2019


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