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REPRESSION/1289: Guantánamo war nur eine Zwischenstation (SB)



Wollte man Barack Obamas Wahlversprechen, das Gefangenenlager im US-Stützpunkt Guantánamo Bay zu schließen, für bare Münze nehmen, müßten sämtliche Insassen sofort und bedingungslos freigelassen werden. Das wird nicht geschehen, hieße es doch, das Rad der Repression zurückzudrehen und das unsägliche Konstrukt des "feindlichen Kombattanten" als Instrument grenzenloser Verfügung zu brandmarken und zu bannen. Da man im Dienst globaler und unumkehrbarer Herrschaftssicherung nicht darauf verzichten will, Menschen auch künftig an jedem beliebigen Ort festzunehmen, zu verschleppen, ohne Anklage und Rechtsbeistand in Geheimgefängnissen festzuhalten, unter Folter zu den gewünschten Geständnissen zu erpressen oder umzubringen, steht das Ende von Guantánamo im Zeichen verfeinerter Sortierung und Drangsalierung der Opfer.

Das geht nicht ohne heftig aufbrechende Widersprüche ab, die in hitzigen Kontroversen um die Frage kreisen, wie Schuld und Unschuld, Gefährlichkeit und Harmlosigkeit künftig zu definieren seien. Angestrebt wird nichts weniger als eine neue Stufe der Verfügungsgewalt, die alle Einwände aus dem Feld geschlagen, die Brachialgewalt um das Element der Raffinesse ergänzt und die widerstrebenden Fraktionen versöhnt hat. Das Feindbild des "Terroristen" als Inbegriff des von allen nachvollziehbaren Interessen, Motiven und Bedürfnislagen entkleideten "bösen Menschen" bleibt nicht nur unangetastet, es wird darüber hinaus zu einem administrativen Axiom versachlicht und verdichtet.

Da der religiös, kulturkämpferisch und rassistisch daherkommende Wahnwitz der Bush-Ära noch zu viele Ecken und Kanten aufwies, die Ansatzpunkte für Kritik boten, obliegt es der Präsidentschaft Obamas, die Willkür geschmeidig, rational und rundum akzeptabel darzubieten. Die Vereinigten Staaten müssen wieder als Hort der Menschenrechte und eines Gesetzes, das über allem steht, salonfähig werden, wollen sie ihre Führerschaft behaupten und verewigen. Das zu leisten, hat Obama der Welt angedroht, die wie das Kaninchen vor der Schlange in Richtung Washington starrt, wo der große Illusionist das Publikum in seinen Bann schlägt.

Unterdessen dreht und wendet eine Heerschar von Politikern, Juristen, Journalisten, Menschenrechtlern und anderen Teilhabern an der Gestaltung von Recht und Ordnung das Thema, wie mit den Gefangenen aus Guantánamo zu verfahren sei. Vertreter der neuen Administration haben bereits durchblicken lassen, daß sie gewissen "Al-Kaida-Verdächtigen" nicht vor Sondergerichten, sondern vor regulären Militärgerichten oder Bundesgerichten den Prozeß machen wollen. Auch könne man viele der verbliebenen 245 Häftlinge in ihre Heimatländer abschieben, wo sie weiter inhaftiert bleiben oder freigelassen werden. Sollte man das allen Ernstes als grandiosen Fortschritt feiern?

Wie aber steht es mit all jenen Gefangenen, die man mangels Beweisen freilassen müßte, aber nicht will, weil sie als "gefährlich" eingestuft werden? Diese Kategorie einzuführen, hieße die Politik der Bush-Ära fortzusetzen und Menschen ohne Anklage unbegrenzt festzuhalten. Hier kommt wieder der systematisch hochgezüchtete Angstfaktor angeblicher "Terrorgefahr" ins Spiel, die jedes Mittel rechtfertigt, um präventiv zuzuschlagen.

Die vermeintlich pragmatische Lösung, im Falle vorhandener Beweismittel Prozesse zu führen und bei Fehlen solcher Handhabe die Freilassung in die Wege zu leiten, unterschlägt natürlich, daß sämtliche Geständnisse und Bezichtigungen unter Folter gewonnen wurden, also gegenstandslos sind. Längst ist man dabei, unterschiedliche Grade von Folter zu definieren und ein Übergangsfeld zu Formen harter Verhörmethoden zu gestalten, die für weniger gravierend und somit zulässig erachtet werden.

Da schlägt die Stunde der studierten und selbsternannten Rechtsexperten, die sich um den Vollzug der Sanktionen streiten und eifrig mitsortieren, an wem man unbedingt ein Exempel statuieren und wen man davonkommen lassen sollte. Will man etwa Khaled Shaikh Mohammed auf freien Fuß setzen, fragen viele empört, obwohl dieser gestanden hat, der Kopf hinter den Anschlägen vom 11. September 2001 gewesen zu sein? Allerdings haben selbst Regierungsvertreter eingeräumt, daß dieser Gefangene mit "harten Verhörmethoden" bis hin zum Waterboarding gequält wurde. Oder wie steht es mit Mohammed Qahtani, dem angeblichen 20. Flugzeugentführer, der nicht in die USA einreisen durfte und später in Afghanistan gefangengenommen wurde? Auch er zweifellos ein Folteropfer, was die Bush-Administration nicht davon abhielt, ihn als "gefährlichen Mann" einzustufen.

Jetzt ist die neue Regierung gefordert, ein innovatives System zur Bewertung "gefährlicher Häftlinge" zu entwerfen. Auch fehlt es in dieser Debatte nicht an Ratschlägen, man könne Verdächtige ja freilassen, aber von den Geheimdiensten weiter überwachen lassen, um sie zu schnappen, sobald sie wo auch immer auf der Welt ihre wahren Absichten zu erkennen geben. So könnte man aus der Freilassung sogar den unschätzbaren Nutzen ziehen, ausländische "Terrororganisationen" und "internationale Netzwerke" zu infiltrieren.

Diese und andere genialen Vorschläge berufener und unberufener Sicherheitswächter gilt es zu sortieren, zu bündeln und zu einem Paket zu verschnüren, das Barack Obama als erste bahnbrechende Leistung seiner Amtszeit präsentieren kann. Man wird den Menschen weismachen, daß wirklich nur dann verhaftet, eingesperrt, ein wenig gefoltert und schließlich abgeurteilt wird, wo dabei alles mit rechten Dingen zugeht. Der neue US-Präsident, so steht zu befürchten, könnte der richtige Mann am richtigen Ort sein, um der Welt diese Zuspitzung des Verhängnisses schmackhaft zu machen.

22. Januar 2009