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REPRESSION/1296: Kindern wird nicht nur mit Pornografie Gewalt angetan (SB)



Im Kampf gegen Kinderpornografie nimmt Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen eine Position der moralischen Unantastbarkeit in Anspruch, die alle Kritiker der geplanten Blockierung indizierter Webseiten in die Ecke virtueller Kinderschänder stellt.

"Es geht um Kinderpornografie, und es macht mich schon zornig, wenn die Diskussion immer wieder versucht wird, abzudrängen in allgemeine Diskussionen über Internet- und Kommunikationsfreiheit. Wo die Menschenwürde so mit Füßen getreten wird, wo das Menschenrecht eines Kindes auf körperliche Unversehrtheit so schwer mißachtet wird, kann man nicht mehr über Kommunikationsfreiheit, sich diese Bilder reinzuziehen, sprechen."
(Deutschlandfunk, Hintergrund Politik, 24.02.2009)

Tatsächlich verzichtet keiner der Kritiker von der Leyens darauf zu betonen, daß man selbstverständlich etwas gegen kinderpornografische Darstellungen im Netz unternehmen müsse. Anstelle des Aufbaus einer ohnehin umschiffbaren Zensur, die zudem vielerlei Begehrlichkeiten verschiedenster Interessengruppen und Behörden zur Blockierung mißliebiger Inhalte weckte, müsse man die Täter verfolgen und ihr Treiben unterbinden, lautet die Forderung der Verfechter eines freiheitlichen Umgangs mit dem Datennetz. Der dagegen von Polizeivertretern wie dem Europol-Chef Max Peter Ratzel erhobene Einwand, konventionelle Repression sei in diesem Fall zu aufwendig, daher müsse man sich präventiver Zensurmaßnahmen bedienen, leuchtet weder hinsichtlich der angeblich größeren Wirksamkeit der Prävention noch hinsichtlich der von der Familienministerin geltend gemachten Dringlichkeit ein.

Man hat eine gigantische Militärmaschinerie in Bewegung gesetzt, angeblich um Kosovo-Albaner und afghanische Mädchen zu befreien, man ist zu weltumspannenden Absprachen in der Lage, um den Terrorismus zu bekämpfen, will aber keine Straftäter verfolgen, die ihre Verbrechen an einem Computer begehen, weil dies zu viele Mittel verschlinge. Es liegt auf der Hand, daß gerade eine Polizeibehörde wie Europol, deren Geschäft unter anderem in der Überwachung krimineller Aktivitäten via Internet besteht, Interesse daran hat, ihre Zuständigkeiten zu erweitern und den Informationsverkehr in ihrem Sinne zu regulieren.

Auch von der Leyens Motive sind hochmoralisch nur in dem Sinn, als daß sie hinsichtlich der Menschenwürde mit Scheuklappen argumentiert. An entschiedenem Einsatz zur Behebung der Armut aller Kinder in der Bundesrepublik läßt es die Bundesfamilienministerin ebenso mangeln wie an der Bekämpfung des Sextourismus, der maßgeblich zum Boom der Kinderprostitution in den Zielorten beiträgt. Auch Stellungnahmen zu außenpolitischen Ereignissen, bei denen nicht nur die Menschenwürde von Kindern verletzt, sondern ihr Leben vernichtet wird, sind ihre Sache nicht. Die Unionsparteien haben sich nicht nur hinter die Bombardierung Jugoslawiens und Afghanistans gestellt und trumpfen mit erheblichem finanziellen Einsatz militärisch in einem Land auf, in dem Millionen Menschen hungern, sie haben den Wirtschaftsboykott des Iraks, der Hunderttausende irakischer Kinder das Leben gekostet hat, ebenso gutgeheißen, wie sie zum Tod palästinensischer Mütter und Kinder sowie der Traumatisierung einer ganzen Bevölkerung, die zu mehr als der Hälfte aus Kindern und Jugendlichen besteht, vor wenigen Wochen geschwiegen haben. Man hat nicht vernommen, daß Frau von der Leyen ihre Parteichefin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, dafür kritisiert hat, daß sie den Überfall der USA auf den Irak politisch gebilligt und nichts gegen die Bombardierungen des Libanons und des Gazastreifens unternommen hat. Man wartet vergeblich auf eine entschiedene Stellungnahme von der Leyens für die Rechte von Flüchtlingen, zu denen immer auch Mütter und Kinder gehören, obwohl die Bundeskanzlerin die "Flüchtlingsbekämpfung" kürzlich zum politischen Ziel erhoben hat.

Der Zensur des Internets Vorschub leisten dient auch dem Ziel, derartige Zusammenhänge immer weniger thematisieren und skandalisieren zu können. Populistische Kampagnen, die den Ausbau des autoritären Sicherheitsstaats betreiben, sind desto schwieriger zum Erfolg zu führen, je mehr Gegenöffentlichkeit sich unter anderem im Internet formiert. Die Kommunikationsfreiheit - und damit letztendlich immer auch die Meinungsfreiheit - nicht zu verteidigen auch in einem Fall, in dem die abscheuliche Mißhandlung von Kindern unterbunden werden soll, bedeutet, diesen und anderen Verbrechen Vorschub zu leisten. Kinder und andere benachteiligte und schutzlose Menschengruppen leiden nicht nur unter sexueller Ausbeutung, ihnen wird Gewalt durch Armut und Not, durch Lohnarbeit und Sklaverei, durch Krieg und Vertreibung angetan. Daran sind wohlhabende Länder wie die Bundesrepublik mittelbar bis direkt beteiligt. Eben das soll nicht kommuniziert und Anlaß zu politischer Aktion werden, auch darum will sich die Familienministerin kümmern.

25. Februar 2009