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REPRESSION/1321: G8-Innen- und Justizminister greifen nach dem Internet (SB)



Der Gesetzesentwurf zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen bleibt nach der Anhörung vor dem Bundestagsausschuß für Wirtschaft und Technologie am 27. Mai zwar umstritten, doch haben die Verfechter der grundsätzlichen Einführung von Internetsperren für indizierte Webseiten keineswegs einen Rückschlag erlitten. So wurde die Frage der Speicherung personenbezogener Daten, die bei der Blockierung anfallen, unter den geladenen Experten weit umfassender diskutiert als die Frage, ob es überhaupt mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit vereinbar sei, eine Infrastruktur der staatlichen Blockade von Webseiten einzurichten, die sich für weitergehende Zensurmaßnahmen verwenden ließe. Die Regierungsparteien haben in dieser Hinsicht ganze Arbeit geleistet, hatte die SPD doch nach dem Vorstoß der Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, Internet-Service-Provider auf freiwilliger Basis zur Einrichtung derartiger Sperren zu veranlassen, doch die gesetzliche Verankerung des Vorhabens verlangt. Hinter diese Linie können und wollen die Sozialdemokraten nun nicht mehr zurück, so daß es wohl zur Verabschiedung eines auf diese oder jene Weise modifizierten Gesetzes kommen wird.

Dies ist um so wahrscheinlicher, als EU-Staaten wie Schweden, Dänemark, Finnland, Britannien und die Niederlande bereits das Modell der Ministerin verwirklicht haben, die Sperrung kinderpornographischer Webseiten durch die Provider vornehmen zu lassen. In Italien sind die Anbieter datenelektronischer Dienstleistungen sogar gesetzlich dazu verpflichtet, eine polizeilich erstellte Liste von Webseiten zu sperren. Ein vom EU-Parlament mit großer Mehrheit im November 2008 in das Telecompaket der EU zur Regulation des Telekommunikationsmarktes eingebrachter Zusatz, laut dem Internetsperren EU-weit nicht ohne gerichtliche Prüfung durchgeführt werden dürfen, wurde vom EU-Ministerrat ohne weitere Diskussion gestrichen (futurezone.orf.at, 12.12.2008). Zwar konnte das Parlament diese die vielbeschworene Demokratietauglichkeit der EU nicht eben bewerbende Selbstherrlichkeit Anfang Mai bei der 2. Lesung des Telecompakets stoppen, so daß es nun zum Vermittlungsverfahren zwischen Rat und Parlament kommt. Doch hat das EU-Parlament im gleichen Zug die ursprünglich eingenommene Position, laut der die Provider praktisch alle im Internet verfügbaren Inhalte übermitteln sollen, aufgegeben und damit der Einschränkung des Angebots auf dieser Ebene Tür und Tor geöffnet (heise online, 06.05.2009).

Ohnehin bleibt den Regierungen bei Widerstand auf parlamentarischer Ebene die Möglichkeit, auf andere Entscheidungsgremien wie das der G8 auszuweichen. Deren Innen- und Justizminister haben sich bei ihrem Treffen in Rom am Pfingstwochenende darauf geeinigt, die angeblich für Terroristen so nützlichen sozialen Netzwerke einer stärkeren Kontrolle zu unterwerfen und auf der Ebene der G8 "schwarze Listen" für kinderpornographische Webseiten zu erstellen, die dann von Interpol oder anderen internationalen Organisationen wirksam gemacht werden sollen.

Ersteres bedeutet nichts anderes als eine stärkere Überwachung offener Foren inklusive der Ermittlung der IP-Adressen von Personen, die den Sicherheitsbehörden auf welche Weise auch immer auffallen. Dazu gehört im Zeitalter des Vorverdächtigung bekanntlich nicht viel, zeichnet sich doch der sogenannte terroristische Schläfer gerade dadurch aus, daß er sich besonders unauffällig verhält. Letzeres betrifft die Implementierung einer Infrastruktur zur Internetzensur, die auf mehreren Ebenen, etwa durch von der Privatwirtschaft angebotene Filter für Schüler und Jugendliche, aus denen politisch prekäre Angebote entfernt werden, durch Interventionen bei Suchmaschinen, rechtlich fragwürdige Angebote nicht mehr auffindbar zu machen, oder eben durch Sicherheitsbehörden wie das Bundeskriminalamt verfügte Sperrverordnungen gegen den seiner Informationsfreiheit Stück für Stück beraubten Bürger in Stellung gebracht wird.

Dabei ist der vorgeblich rechtsfreie Raum des Internets längst durch gesetzliche Handhabungen aller Art gegen groben Mißbrauch strafbewehrt, wie etwa Hausdurchsuchungen bei Urheberrechtsverletzungen oder Strafanzeigen bei Verstößen gegen den Persönlichkeitsschutz belegen. Dennoch gibt es in Gesellschaften, in denen soziale und politische Widersprüche massenmedial moderiert werden, stets weiteren Handlungsbedarf, ihren Regierungen zu ermöglichen, gegen die Mehrheit der Bevölkerung gerichtete Interessen durchzusetzen. Kein Wunder also, wenn die Innen- und Justizminister der G8-Staaten beschließen, die vorbeugende Überwachung des Internets "zu intensivieren und zu vernetzen".

Natürlich ist den Menschenrechten in der Pressemitteilung (30.05.2009) der italienischen Regierung zu diesem Treffen eine kleine Nische vorbehalten. Zwar nicht in dem Absatz zur Immigrationspolitik, sprich Flüchtlingsabwehr, in dem es besonders notwendig wäre, auf die Rechte von staatlicher Gewalt betroffener Menschen zu verweisen, aber immerhin im Zusammenhang mit der Terrorismusabwehr heißt es dort: "Dennoch sollten Sicherheitserfordernisse gegen eine stärkere Beachtung der Menschenrechte austariert werden" (However, security requirements must be balanced against greater compliance with human rights).

Es lohnt sich, genau hinzuhören. Wenn universelle, unteilbare Menschenrechte gegen Interessen staatlicher Exekutivorgane austariert respektive ausbalanciert werden, dann werden sie in ihrer Gültigkeit gerade dort relativiert, wo ihre Wirksamkeit in besonderer Weise vonnöten ist. Die Forderung nach ihrer stärkeren oder größeren Beachtung drückt eben dies aus - die Rechte dem supranationalen Sicherheitsstaat weit unterlegener Menschen stehen zur Disposition ihrer Einschränkung nach Maßgabe seines Gewaltmonopols.

2. Juni 2009