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REPRESSION/1351: Ob Terrorkrieg oder Strafvollzug ... Folter muß dabei sein (SB)



Guantanamo, Bagram, Abu Ghraib - die Symbole der US-amerikanischen Folterpraxis tragen Namen, die auf einen Standort außerhalb des Landes verweisen. Nichts wäre irreführender als anzunehmen, daß in den USA selbst nicht gefoltert würde. Der Fall des 53jährigen Todeskandidaten Romell Broom, dessen für Dienstag vorgesehene Hinrichtung im US-Bundesstaat Ohio um eine Woche aufgeschoben wurde, weil das Exekutionspersonal trotz intensiver zweieinhalbstündiger Bemühungen keine Vene fand, in die die Kanüle eingeführt werden konnte, über die die zum Tode führenden Medikamente injiziert werden, ist von so exemplarischer Grausamkeit, daß sie durch den Begriff der Folter kaum zu fassen ist.

Der Akt der willkürlichen Tötung eines Gefangenen wird als Vollstreckung geltenden Rechts in Form einer technischen Maßnahme inszeniert, die frei von willkürlich zugefügter Grausamkeit sein soll. Dies ist in den USA verfassungsrechtlich geboten und entspricht dem Ethos des humanen Tötens. Die Hinrichtung verurteilter Straftäter gilt zwar als Strafe, die jedoch im Unterschied zu einem Racheakt, wie ihn etwa der Angehörige eines Mordopfers im Affekt am Täter begehen könnte, auf so objektive und sterile Art wie möglich vollzogen werden soll. Es gilt, Staat und Justiz als Sachwalter der strafenden Gewalt von jeglicher Parteilichkeit frei zu halten, um die Legitimität dieser Strafnorm nicht zu beschädigen. Wo früher ein Strick oder ein Erschießungskommando gereicht hätten, wird aus diesem Grund heute erheblicher technischer Aufwand betrieben.

Dazu gehört auch die Einbeziehung medizinischer Erkenntnisse wie Praktiker. Das methodisch ausgeklügelte Umbringen eines Menschen ist ein Ergebnis, auf das die medizinische Wissenschaft zwar nicht besonders stolz ist, die aber auch ihre Unentbehrlichkeit für die Anwendung des staatlichen Gewaltmonopols belegt. Um so peinlicher ist der Fall dieses schwarzen Delinquenten, der das Personal bereitwillig dabei unterstützte, die Kanüle zu setzen, um schließlich weinend aufzugeben. 25 Jahre sitzt Broom, der 1984 ein Mädchen vergewaltigt und umgebracht hatte, bereits in der Todeszelle und führt ein Leben, dessen Frist allein dem langsamen Mahlen der Mühlsteine der Justiz geschuldet ist. Das Damoklesschwert ständig über dem Kopf und unter besonders harten Haftbedingungen in Einzelhaft gehalten entwickeln Todeskandidaten häufig schwere Psychosen. Die Aussichtslosigkeit ihrer Situation ist eine so schwere Belastung, daß der schlußendliche Vollzug der nominellen Strafe lediglich realisiert, was im Vorwege bereits als quälender Schmerz des lebendig Begrabenseins den Alltag bestimmte.

Der Fall Brooms erinnert an zahlreiche Affären der US-amerikanischen Todesjustiz, die die unterstellte Abwesenheit grausamer Rache als besonders perfide Form ihrer Anwendung markiert. Doch auch im normalen Vollzug sind Folterpraktiken an der Tagesordnung, wie eine 2005 ausgestrahlte Dokumentation des britischen Fernsehsenders Channel 4 belegt.

Unter dem Titel "Torture: America's Brutal Prisons" präsentierte Autorin Deborah Davies zahlreiche Belege für die Anwendung der Folter im amerikanischen Strafvollzug. Dabei nutzten sie die in vielen US-Bundesstaaten geltende Vorschrift, daß Zellendurchsuchungen oder andere Zwangsmaßnahmen an Gefangenen auf Video aufgezeichnet werden müssen, um deren ordnungsgemäße Durchführung zu dokumentieren. Tatsächlich bezeugen diese Aufnahmen häufig das Gegenteil. Die Anwälte, mit denen Davies in Kontakt getreten ist und die ihr das Videomaterial zur Verfügung gestellt haben, bestätigten allesamt, daß die Zustände in Guantanamo der Folterpraxis in US-Gefängnissen entsprechen.

So beschreibt Davies in einem Artikel zu ihrem Film eine Szene aus einem texanischen Gefängnis, die sich im Jahre 1996 unter Gouverneur George W. Bush ereignet hat. Man sieht Wärter, die die zum Teil nackten, am Boden liegenden Gefangenen anbrüllen, schneller zu kriechen. Wenn deren Anstrengungen den Wärtern als zu gering erscheinen, treten sie ihnen mit ihren schweren Stiefeln in den Rücken. Ein Gefangener wird von einem Hund ins Bein gebissen, ein anderer hat einen gebrochenen Knöchel und kann daher nicht so schnell krabbeln wie die anderen. Er wird von der Elektroschockwaffe eines Wärters so heftig mitgenommen, daß er noch Stunden später am ganzen Körper zittert.

Das Channel 4-Team hat 20 Fälle von Gefangenen dokumentiert, die gestorben sind, weil sie stundenlang an einen auch in den Folterlagern der US-Geheimdienste verwendeten Spezialstuhl gefesselt waren, der das Fixieren in besonders schmerzhaften Körperpositionen ermöglicht. Gezeigt wird der Fall eines Mannes, der nackt mit Hand- und Fußfesseln sowie einem Gurt über der Brust auf ein solches Monstrum gebunden wird und 16 Stunden ohne Raum für entlastende Bewegungen in dieser schmerzhaften Position verharren muß. Zwei Stunden, nachdem man ihn wieder losgebunden hat, stirbt er an einer Embolie, die sich in direkter Folge dieser Mißhandlung gebildet hat. Die Tortur wurde als Strafe dafür angeordnet, daß der als schizophren diagnostizierte Mann nicht das Kissen von seinem Kopf nehmen wollte, unter dem er sich in seiner Zelle verkrochen hatte.

In der Dokumentation kommen auch Folterungen vor, die unter dem auch in Deutschland zu gewisser Berühmtheit gelangten Sheriff Joe Arpaio stattfanden. Er brüstet sich, Amerikas härtesten Strafvollzug zu betreiben, weil er eine Zeltstadt für verurteilte Straftäter in der Wüste von Arizona eingerichtet hat, deren Insassen ihre Haftzeit unter härtesten klimatischen Bedingungen und körperlichen Entbehrungen verbringen müssen. Gezeigt wird die im Jahr 2001 erfolgte Mißhandlung des Drogenkonsumenten Charles Agster. Der geistesgestörte Mann wurde wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses in einem Laden, der zur Nachtzeit geöffnet hat, festgenommen. Weil der eher kleinwüchsige Agster Widerstand leistete, wurde er von neun Beamten auf den Stuhl gefesselt. Die Streßposition mit auf den Rücken gebundenen Armen und tief nach vorne gebeugtem Kopf ließ ihm so wenig Raum zum Atmen, daß er nach 15 Minuten das Bewußtsein verlor und drei Tage später im Krankenhaus starb. Ebenfalls dokumentiert wird der Fall von Scott Norberg, der 1996 auf gleiche Weise im gleichen Knast starb. Auch der Tod von Brian Evans erfolgte im Zuständigkeitsbereich Sheriff Arpaios. Bei einem Streit mit Wachbeamten wurde er von diesen geschlagen. Nachdem er sich beim Gefängnisarzt beschwert hatte, fand man ihn sechs Tage später bewußtlos am Boden liegend. Er wies einen Nackenbruch, mehrere gebrochene Zehen und innere Verletzungen auf und starb nach einem Monat im Koma.

Eine andere Szene der Dokumentation zeigt einen Häftling, der auf einer Liege im Untersuchungsraum der Krankenabteilung eines Gefängnisses liegt. Die Wärter weisen ihn an, sich zu erheben und in einen Rollstuhl zu steigen. Nachdem der Mann verzweifelt ruft, daß er dies nicht könne, weil er starke Schmerzen im Rücken habe, versetzt ihm ein Beamter mit der Elektroschockwaffe einen Stromstoß. Der Gefangene schreit auf, ist aber dennoch nicht in der Lage, sich in den Rollstuhl zu setzen. Daraufhin greifen ihn die Wärter und pressen ihn in den Stuhl, ohne sich an seinen lauten Schmerzensschreien zu stören. Später ist auf dem gleichen Band zu sehen, wie sie versuchen, den offensichtlich schwerbehinderten Mann an einem Gestell zum Gehen zu nötigen. Jedesmal, wenn er hinfällt, erhält er einen Stromstoß, bis er heulend am Boden liegenbleibt.

Szenen wie diese stellen laut Davies eine kleine Auswahl aus dem umfangreichem Videomaterial dar, das Folter in US-Gefängnissen dokumentiert. Berichte jüngeren Datums aus US-Knästen lassen nicht erkennen, daß sich an der Menschenfeindlichkeit dieser Institutionen in den letzten Jahren irgend etwas geändert hätte. Es ist allerdings nicht erstaunlich, daß in einer Gesellschaft, die Gestalten wie Charles Graner hervorbringt, der als Gefängniswärter bereits in den USA Strafgefangene kujonierte, um im irakischen Abu Ghraib zu menschenverachtender Hochform aufzulaufen, auch in sogenannten besseren Kreisen diejenigen das Sagen haben, die den Willen, zur Durchsetzung ihrer Ziele zu extremen Mitteln zu greifen, unmißverständlich demonstrieren.

18. September 2009