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REPRESSION/1353: "Gesetzesentschärfungen" in Zeiten der Krise? FDP wird einlenken (SB)



Man darf gespannt darauf sein, wie schnell die FDP die Flagge der Bürgerrechte streichen und auf ein Freiheitsverständnis einschwenken wird, wie es etwa der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach zum Besten gibt: "Die Menschen sind dann frei, wenn sie auch frei vor Furcht sind, wenn sie frei sind vor Verbrechen und Terrorismus" (02.10.2009, Deutschlandfunk). Zweifellos einig sind sich Liberale und Unionschristen darin, daß die Furcht vor dem sozialen Absturz weit weniger zur Einschränkung der Freiheit beiträgt als die Angst vor dem demgegenüber sehr unwahrscheinlichen Fall, in Deutschland einem terroristischen Anschlag zum Opfer zu fallen. Auch stellt sich das Problem von Eigentumsdelikten unter den Menschen, die dem Raubzug des Kapitals zum Opfer gefallen sind, weit weniger, als sie Probleme damit haben, ihre Rechnungen zu bezahlen.

Zu den wenigen unterstützenswerten politischen Forderungen der FDP zählt, den Marsch in den totalen Sicherheitsstaat zu beenden und sich auf die in Vergessenheit geratene demokratische Tugend zu besinnen, den Bürger nicht zum Objekt tiefsitzenden Mißtrauens zu machen, sondern den von ihm ausgehenden Anspruch auf ein Leben in Freiheit gegen den Staat durchzusetzen. Die von der bayerischen FDP-Vorsitzenden Sabine Leutheusser-Schnarrenberger verlangten "Gesetzesentschärfungen" etwa im Bereich der Vorratsdatenspeicherung und des BKA-Gesetzes stoßen nicht von ungefähr auf entschiedenen Widerstand unter Unionspolitikern. So verlangt der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktionen in Bund und Ländern, Hans-Christian Biallas, daß sich die Liberalen nicht den "extremen Positionen" der früheren Bundesjustizministerin anschließen: "Die FDP ist nicht Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Die Frau hat ihre Zeit gehabt." (Bild-Zeitung, 02.10.2009).

Als "diese Frau" 1996 aus Protest gegen die zustimmende Haltung ihrer Partei in Sachen Großer Lauschangriff vom Amt der Bundesjustizministerin zurücktrat, gab sie eine Gradlinigkeit zu erkennen, die ihre Nachfolgerinnen schmerzlich vermissen ließen. Gerade deshalb repräsentiert sie in Rechts- und Justizfragen nicht die Mehrheit einer Partei, die insbesondere in der alten Bundesrepublik dafür bekannt war, ihr Fähnchen in den Wind zu hängen und das besitzbürgerliche Interesse ihrer Mitglieder und Wähler an der Mehrung des Eigenen zum einzig verläßlichen Prinzip zu erheben.

Nichts könnte besser belegen, wie weit diese Republik nach rechts gedriftet ist, wenn heute eine Politikerin wie Leutheusser-Schnarrenberger des Extremismus bezichtigt wird. Das einzige, was Bundesbürgern, die tendenziell links gewählt haben, ein Lichtblick an der künftigen Regierungskoalition sein könnte, soll unter allen Umständen verhindert werden. Das meint auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG), deren Vorsitzender Rainer Wendt angesichts der von ihr verlangten Entschärfung der Sicherheitsgesetze Alarm schlägt. Er müsse die FDP "dringend davor warnen, zur linksliberalen Geisterfahrerin zu werden. Die Bürger erwarten eine verantwortungsvolle Sicherheitspolitik statt Frontalopposition in der Regierung" (Neue Osnabrücker Zeitung, 30.09.2009). Bei dieser Gelegenheit erklärte der Gewerkschafter nicht nur die bisher erlangten Errungenschaften des Sicherheitsstaats für unantastbar, sondern erhob weitere Forderungen wie die Einrichtung eines zentralen Einwohnermelderegisters und den Zugriff der Polizei auf LKW-Mautdaten.

Die FDP hätte viel zu tun, wenn sie sich in diesem Punkt ihres Wahlprogramms in den Koalitionsverhandlungen gegen die Union durchsetzen wollte. Es ist davon auszugehen, daß sie der mit Vehemenz erhobenen Forderung, den Abbau der Bürgerrechte fortzusetzen, den die Union mit einer machtopportunen, nicht einmal gegen besonders prekäre Sicherheitsmaßnahmen wie die geplanten Internetsperren entschieden Widerstand leistenden SPD betrieben hat, weitgehend stattgeben wird. Die Umwandlung der Republik in eine Festung nach innen wie außen nützt schließlich auch der Klientel einer Partei, die unter dem Mäntelchen eines neoliberalen Freiheitsethos soziale Grausamkeiten beschließen will, die sich in letzter Konsequenz nur mit Zwang und Gewalt durchsetzen lassen.

Auch wenn es dem liberalen Selbstverständnis einer Leutheusser-Schnarrenberger nicht in den Sinn kommt, daß der von ihr kritisierte Sicherheitsstaat ein Zwilling des von ihr gleichermaßen gutgeheißenen Marktliberalismus ist, sind sich viele FDP-Politiker darin einig, daß ihnen der gutgefüllte Bauch am Ende näher ist als der leere Magen des anderen. Bis auf einige symbolische Zugeständnisse sind keine grundlegenden Veränderungen der herrschenden Repressionsdoktrin zu erwarten. Dagegen sprechen nicht nur die sich zuspitzenden Klassenwidersprüche, sondern auch die Einbindung der Bundesrepublik in das Sicherheitsregime der EU sowie weiterer inter- und supranationaler Abkommen und Institutionen, mit Hilfe derer die Architektur globaler Repression konzipiert und umgesetzt wird.

2. Oktober 2009