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REPRESSION/1358: Internet Eyes ... Videoüberwachung als Nebenjob (SB)



Mit der extensiven Videoüberwachung des öffentlichen Raums stellt sich die Frage, wie die dabei anfallenden Massen an Bildmaterial überhaupt ausgewertet werden können. So lange es noch keine automatisierten Verfahren gibt, mit denen die Regelverletzungen, auf deren Unterbindung die Rundumobservation abzielt, identifiziert werden können, bleibt die Hardware der Kameras auf die Wetware angewiesen, deren Augen die Monitore nach Auffälligkeiten absuchen. Wie die britische Tageszeitung The Guardian (07.10.2009) berichtet, scheint ein von drei Personen betriebenes Start Up die Lösung für die Auswertung der Bilder gefunden zu haben, die die 4,2 Millionen Kameras auf den britischen Inseln produzieren.

Internet Eyes will die Betreiber von Überwachungskameras dazu veranlassen, ihren Bilderstrom gegen eine Gebühr auf die Website dieses Namens zu leiten, damit der Teil der Bevölkerung, der ohnehin nichts besseres zu tun hat als vor dem Fernseher zu sitzen, das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden kann. So sollen, anschaulich ins Bild gesetzt mit einer jungen Frau, die mit ihrem Notebook auf dem Sofa liegend, leichter Observationstätigkeit nachgeht, Menschen wie du und ich sich der Bilderflut bemächtigen, um das irreguläre und störende, das antisoziale und kriminelle Element auszumachen. Wer Menschen dabei entdeckt, wie sie im Supermarkt ins Regal greifen und die Ware in die Jacke stecken, anstatt sie zur Kasse zu tragen, wie sie in der Öffentlichkeit trinken oder Abfall auf die Straße werfen, wie sie herumgrölen und Passanten belästigen, der benachrichtigt den Betreiber der jeweiligen Kameras. Im Erfolgsfall, sprich bei Sanktionierung oder Ergreifen des oder der Übeltäter, erhält der Observateur dafür von Internet Eyes Punkte gutgeschrieben. Am Monatsende winkt demjenigen, der die meisten Punkte gesammelt hat, die gesamte Summe aus den Prämien, die die Betreiber für erfolgreiche Observationen ausgesetzt haben.

Ob sich die Vorgabe, den Hilfsdetektiven lediglich drei Alarmrufe kostenlos zur Verfügung zu stellen und ihre Aufmerksamkeit dadurch zu bremsen, daß jede weitere Übermittlung eines Vorgangs an den Betreiber einer Kamera, angeblich um Mißbrauch des Systems vorzubeugen, kostenpflichtig sein wird, als günstig erweist, darf bezweifelt werden. Auch dürfte sich der Wettkampf um die größte Zahl erfolgreicher Ermittlungen nicht gerade förderlich auf den Zuspruch auswirken, den die Betreiber von Internet Eyes erwarten. Dennoch haben sie mit dem Versuch, die Videoüberwachung quasi als eine Form von informeller Arbeit zu vergesellschaften und die ansonsten müßigen Teilzeitbeschäftigten und Erwerbslosen in eine Armee von Hilfssheriffs zu verwandeln, den Nerv der Privatisierung des Sicherheitsstaats getroffen.

Zudem trägt die Abrichtung des Menschen auf ein am Monitor sitzendes Augentier erheblich dazu bei, die zusehends explosive Luft aus dem Sozialkampf zu lassen und in geordnete, sicherheitstechnisch produktive Bahnen zu lenken. Wenn das überflüssig gemachte Subproletariat neuen Lebenssinn darin entdeckt, seinesgleichen auf die Finger zu schauen, um sich auf der Seite des Rechts zu wissen und die Welt noch überzeugter in Gut und Böse einteilen zu können, dann erfüllt diese Varietät des Sozialprangers allemal integrative Zwecke. Mit der anwachsenden Zahl verhaltensregulativer Auflagen - Rauchverbot, Verbot bestimmter Nahrungsmittel, Spuckverbot, Verbot von Kapuzenpullis, Verbot des Fotografierens bestimmter Gebäude, Fahrzeuge und Personen, Sanktionierung antisozialen Verhaltens aller Art - wächst nicht nur der Kontrollaufwand, sondern auch der Bedarf an pädagogischen Methoden, mit Hilfe derer der optimal konditionierte Bürger zur Einsicht gebracht wird, daß all dies zu seinem besten ist.

So entwickelt sich die panoptische Gesellschaft allmählich zu einem Soziallabor, in dem irreguläre Delinquenz durch die Einbindung der potentiellen Täter in ihre Beaufsichtigung in eine Form von Autorepression verwandelt wird, die als Anspruch auf Partizipation am staatlichen Gewaltmonopol neuen Glauben an Freiheit und Demokratie weckt. Das Prinzip, zu tun und zu lassen, was man will, so lange man die Freiheit des anderen nicht einschränkt, schlägt um in die Freiheit, zu tun und zu lassen, was einem gesagt wird, weil der freie Wille von vornherein als Störfaktor im geordneten Verlauf der Dinge ausgemacht wird. Wo der rundum umweltangepaßte Mensch plötzlich ausbricht und die Agenten der ihn auf Spur haltenden Prozeßlogik angreift, da zeigt sich der freie Willen in seiner ganzen Destruktivität. Das gleiche gilt, wenn der optimal auf die Bedingungen seiner Verwertung zugerichtete Mensch den ihm unter dem Vorbehalt bereitwilliger Einspeisung in Produktion und Reproduktion überlassenen Körper mißbraucht, indem er dessen Synapsen mit neurotoxischen Substanzen überflutet oder die Matrix der Kontrolle anderweitig, etwa durch Verstoß gegen die leistungsbilanzierte Essensordnung, sabotiert.

Demokratie bedeutet dementsprechend nicht, die Verhältnisse aus der Position eines Subjekts heraus zu bestimmen, das seinen Willen unverfügt und unkontrolliert artikuliert, sondern einen allgemeinen Willen zu totaler Vergesellschaftung vorauszusetzen, um den andern - und damit sich selbst - an ihm auszurichten. Wenn Internet Eyes tatsächlich neue Wege der Arbeitsteilung in der Repression eröffnet, könnte damit ein Schritt auf dem Weg zu einer Qualifizierung der Verfügungsgewalt vollzogen werden, die es dem Gros der Menschen unmöglich macht herauszufinden, wer über wen gebietet.

21. Oktober 2009