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REPRESSION/1384: Britische Justiz soll keine Kriegsverbrecher mehr verfolgen (SB)



Die Regierung in London plant, das britische Gesetz zur Universellen Justiz zu entschärfen, weil es hochrangige israelische Politiker und Militärs daran hindern könnte, in das Vereinigte Königreich einzureisen. So wurde im Dezember 2009 aufgrund dieses 1999 verabschiedeten Gesetzes, das eine Anklageerhebung gegen Personen ohne Inlandbezug etwa für den Verdacht auf das Begehen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermöglicht, ein Haftbefehl gegen die ehemalige israelische Außenministerin Tzipi Livni im Zusammenhang mit dem Überfall Israels auf Gaza im Dezember 2008 ausgestellt. Was die Betroffene, die es daraufhin vorzog, ihre Reise nach London abzusagen, als einen "Mißbrauch des britischen Rechtssystems" geißelte, wurde ursprünglich als Errungenschaft eines Weltrechtsprinzips gefeiert, das verhindere, daß immer nur die kleinen Kriegsverbrecher belangt werden, während die großen straffrei ausgehen.

Schon die Labour-Regierung hat die Entschärfung des Gesetzes eingeleitet, um sich nicht durch unliebsame juristische Interventionen ins außenpolitische Handwerk pfuschen zu lassen. Nach ihren Plänen, die nun die liberalkonservative Regierung möglichst schnell umsetzen will, soll künftig jede Anklageerhebung von der Zustimmung des Justizministers abhängig gemacht werden. Das erinnert stark an das Vorgehen der Regierung in Brüssel, die 2003 vor dem Problem stand, daß gut begründete Klagen gegen den israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon wegen der Massaker in den Beiruter Palästinenserlagern 1982 und gegen mehrere ehemalige Mitglieder der US-Regierung inklusive des damaligen Präsidenten George H. W.Bush wegen Kriegsverbrechen im Irakkrieg 1991 nach dem belgischen Weltstrafgesetz erhoben wurden. Um politische Belastungen im Verhältnis zu Israel und den USA zu verhindern, wurde das Gesetz durch einen Zusatz ergänzt, laut dem die belgische Justiz die Klage in Fällen, in denen weder Kläger noch Bezichtigte belgische Staatsbürger sind, den Justizorganen der betreffenden Länder übergeben kann.

Zudem wurde der belgischen Regierung das Vorrecht zugebilligt, die Klageeröffnung in Fällen zu unterdrücken, in denen die Angeklagten aus Staaten stammten, die ein rechtsstaatlich korrektes Prozedere garantierten, so daß ihnen dort der Prozeß gemacht werden könnte. Die Betonung liegt auf der Möglichkeitsform, wie die kaum erfolgte Strafverfolgung US-amerikanischer Agenten und Soldaten trotz zahlreicher von ihnen im Terrorkrieg begangener Folterungen und Morde belegt.

Vollends unwirksam gemacht wurde das belgische Weltstrafgesetz, nachdem US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bei seinem Besuch im NATO-Hauptquartier bei Brüssel im Juni 2003 dessen Umzug in ein anderes Land androhte, in dem US-Soldaten keine juristischen Nachstellungen zu befürchten hätten. Nur zwei Tage später wurde das Gesetz durch einen zwingenden Inlandsbezug ergänzt, so daß sein Anspruch, internationale Strafverfolgung von Folterern und Kriegsverbrechern zu ermöglichen, praktisch aufgegeben wurde. Der damalige belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt prangerte die "offen mißbräuchliche politische Verwendung" des Weltstrafrechts an, als gelte die Universelle Justiz nicht für Verbündete.

Als mehrere Mitglieder der Regierung der Bundesrepublik Jugoslawien während des völkerrechtswidrigen Überfalls der NATO auf ihr Land vom Den Haager Kriegsverbrechertribunal unter Anklage gestellt wurden, feierte man diesen Schritt des juristischen Arms der westlichen Militärallianz noch als großen Sieg der Gerechtigkeit. Seitdem ist der Jubel über die diversen nationalen Gesetze zum Weltstrafrecht und die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs weitgehend verflogen. Was am Beispiel des jugoslawischen Präsident Slobodan Milosevic noch mit jener selbstgerechten Inbrunst durchexerziert wurde, ohne die ein Aggressor seine Taten nicht rechtfertigen kann, erweist sich heute zusehends als Hemmschuh eigener Kriegführung.

So ist nicht zu erwarten, daß der Forderung des rechtspolitischen Sprechers der Linksfraktion im Bundestag, Wolfgang Neskovic, nach Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen die am Überfall auf die Gaza Freedom-Flottille beteiligten israelischen Soldaten und die für die Aktion verantwortlichen Politiker und Militärs von Generalbundesanwältin Monika Harms entsprochen wird. Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch erhielt im Aufwind des Jugoslawienkriegs viel Zustimmung, hat jedoch vor allem die Funktion, die Strafverfolgung deutscher Soldaten im Auslandseinsatz durch die Justizorgane anderer Staaten oder den Internationalen Strafgerichtshof zu verhindern. Ansonsten scheint das internationale Strafrecht zusehends den Interessen derjenigen zuzuarbeiten, die sich die Definitionshoheit über Recht und Unrecht anmaßen, weil sie sie machtpolitisch durchsetzen können.

3. Juni 2010