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REPRESSION/1389: Wer braucht ein Aussteigerprogramm für "Linksextreme"? (SB)



Eine "Hotline für Linksextreme" direkt ins Herz des von ihnen bekämpften Systems soll, wie da Magazin Focus [1] meldet, im Rahmen eines Aussteigerprogramms für Linke im Herbst freigeschaltet werden. Nicht mehr nur Nazis und Islamisten sollen in den Genuß der Vergünstigungen kommen, die Vater Staat für die Rückkehr ihm entfremdeter Kinder in seinen Schoß gewährt. Auch Linksradikale bedürfen der Hilfe bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft, besagt die Logik der Aussteigerdoktrin, derzufolge vor persönliche Beziehungen, entwicklungspsychologische Schädigungen und andere Abhängigkeiten den Verbleib im Linksextremismus bedingen.

So ist schon die Existenz eines Aussteigerprogramms Beweis für die Irrelevanz systemüberwindender Ideologie, bedarf diese doch der Leugnung der wohlmeinenden Absichten des Staats so sehr wie der Mensch die Luft zum Atmen. Aussteigen um einzusteigen, etwa in eine Karriere als professioneller Aussteiger, der Schulkinder über seinen Irrweg aufklärt. Neue Existenzmöglichkeiten für Langzeiterwerbslose können sich eröffnen, wenn sie sich nur radikalisieren lassen, um erfolgreich aussteigen zu können.

Die Doktrin des Antiextremismus folgt den Ergebnissen einer sozialwissenschaftlichen Forschung, die mit dem Inhalt linker Kritik nichts anfangen kann, da sie sich überflüssig machte, wenn sie ihren herrschaftsichernden Charakter antizipierte. So konstruieren die Verfassungsschützer und ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter ein Äußeres der Gesellschaft, um ihr Inneres positiv bestimmen und sich selbst darüber unentbehrlich machen zu können.

Wer also braucht ein Aussteigerprogramm für Linksextreme? Diejenigen, die den Extremismusbegriff als illegitime Ausgrenzung demokratisch gesonnener Bürger verwerfen, werden durch ein solches Angebot zur Entmündigung eher herausgefordert, sich nicht durch einen Verfassungsschutz beirren zu lassen, der als Sachwalter kapitalistischer Apologie und nicht Garant demokratischer Grundrechte fungiert. Diejenigen, die rebellisches Aufbegehren als adoleszente Phase abarbeiten, um spätestens mit Ende 20 in Beruf und Familie anzukommen, bedürfen staatlicher Hilfe nicht. Das Mitlaufen in einer angesagten Jugendszene erledigt mit der Annahme des Angebots mehr oder minder erfolgreicher Anpassung von selbst, was der Staat seit Beginn des langen Marsches durch die Institutionen nicht besser hätte vollbringen können.

Denjenigen, die zum Telefon greifen und dem Beamten am andern Ende erklären, sie seien "Linksextremist" und suchten den Rückweg in die bürgerliche Existenz, ist nicht zu glauben. Sie sind bereits angekommen, indem sie das auf sie gemünzte Klischee übernehmen, und bedürfen der Hilfe nicht. Bleiben die vielen Beamten und Akademiker, die davon leben, daß sie die Gesellschaft als etwas betrachten, zu dem man gehört oder auch nicht. Als Priester einer Staatsräson, die partout keine Ideologie sein will und gerade deshalb wie ein Glaubensbekenntnis daherkommt, das mit inquisitorischen Mitteln durchgesetzt werden muß, haben sie allen Grund dazu, die Gültigkeit ihrer Doktrin zum alleinigen Maßstab für Gut und Böse in dieser Gesellschaft zu erheben.

Fußnote:

http://www.focus.de/politik/deutschland/aussteigerprogramm-hotline-fuer-linksextreme_aid_526410.html

5. Juli 2010