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REPRESSION/1406: Operativer Antiextremismus ... unterwandern, ausspähen, provozieren, spalten (SB)



Die Enttarnung eines verdeckten Ermittlers des Landeskriminalamts Baden-Württemberg in Heidelberg zeigt, daß die Staatsschutzbehörden es nicht bei der bloßen Observation der linken Szene durch offene Quellen und das reichhaltige Instrumentarium elektronischer Überwachung belassen. Der junge Polizist, der sich unter dem Namen Simon Brenner Zugang zu diversen Gruppen und Initiativen in der Universitätsstadt verschaffte, war mit allen erforderlichen Personaldokumenten und einer persönlichen Legende ausgestattet, die sein Auftreten als Student der Soziologie und Ethnologie unverdächtig erscheinen ließen. Wie ein Geheimagent forschte der V-Mann die linken Strukturen der Stadt systematisch aus, um, wie er nach seiner Enttarnung bekannte, ihre Akteure beim Namen zu nennen und Informationen über bevorstehende Demonstrationen oder andere Aktionen an seine vorgesetzte Dienststelle zu liefern. Dabei ging es offensichtlich nicht um die Ermittlung einer konkreten Straftat, die allein den gesetzeskonformen Einsatz von V-Leuten ermöglicht.

Einer früheren Urlaubsbekanntschaft aus der Zeit vor seinem Einsatz als verdeckter Ermittler des LKA Baden-Württemberg, der er sich als Polizist vorgestellt hatte, war es zu verdanken, daß Brenners Identität als Spitzel vor wenigen Tagen aufflog. Wie sich anhand der Auswertung seiner Aktivitäten durch die betroffenen Aktivistinnen und Aktivisten als auch seiner eigenen Angaben zeigt, war er von langer Hand auf die Ausforschung der Heidelberger Szene angesetzt worden und sollte sich insbesondere in die Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD) einschleichen. Im Verlauf seiner neunmonatigen Karriere als linker Aktivist engagierte er sich, wie aus Pressemitteilungen betroffener Organisationen, die seine Tätigkeit rekonstruiert haben, hervorgeht, unter anderem beim Studentenverband SDS-Die Linke und der Linksjugend solid, bei der Klimaaktionsgruppe Heidelberg, bei der Kritischen Initiative Heidelberg, beim Autonomen Medienkollektiv Rhein Neckar und beim Bildungsstreik Heidelberg. Brenner war auf Anti-Akw-Demonstrationen aktiv, er reiste zu den Blockaden gegen den Naziaufmarsch in Berlin und zum NoBorder-Camp nach Brüssel, er war an der Organisation der Proteste gegen den Castor-Transport beteiligt und konnte dort vermutlich umfassende Informationen über alle beteiligten Personen abschöpfen. Nicht nur diese öffentlichen Aktivitäten, sondern auch die sich daraus ergebenden freundschaftlichen Kontakte nutzte er dazu, Informationen über Aktivistinnen und Aktivisten zu sammeln und an seine Vorgesetzten weiterzugeben. Das hatte unter anderem, wie der V-Mann selbst erklärte, eine Hausdurchsuchung bei einer der von ihm ausgespähten Personen zur Folge.

Eine derart breit angelegte Unterwanderung und Ausforschung völlig legaler demokratischer Initiativen und Organisationen durch einen Polizeispitzel, der wie ein Geheimagent vorgeht, zeigt nicht nur, daß das Demokratieverständnis der Regierenden dieses Landes kaum mehr zu einem Lippenbekenntnis taugt. Als ob es nicht ausreichte, Menschen, Gruppen und Parteien, deren herrschaftskritisches Anliegen in bester humanistischer Tradition steht, durch einen Inlandgeheimdienst beobachten zu lassen und alljährlich staatsfeindlicher Umtriebe zu bezichtigen, werden sie mit massiver Polizeibrutalität traktiert, ihre Treffpunkte und Buchläden mit Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen überzogen, werden ihre Aktivitäten durch Antiterrorgesetze präventiv und kollektiv kriminalisiert.

Der Einsatz von V-Leuten, die sich aktiv an der Arbeit der von ihnen infiltrierten Gruppen beteiligen, stellt dabei eine besonders infame Sabotage außerparlamentarischer politischer Arbeit dar. So ist keineswegs auszuschließen, daß sich verdeckte Ermittler an der Planung und Durchführung von Straftaten beteiligen, wie sich etwa anhand des berühmt-berüchtigten Celler Lochs und des Einsatzes von agents provocateurs auf Demonstrationen belegen läßt. Indem produziert wird, was es angeblich zu bekämpfen gilt, kann der Sicherheitsstaat zusätzliche Handlungsvollmachten erwirtschaften. Auch diese Gefahr ist ein Grund dafür, wieso das notorisch in Frage gestellte Trennungsgebot für Geheimdienste und Polizei ins Grundgesetz geschrieben wurde und sich keineswegs überlebt hat.

Vor allem jedoch wird mit dem Einsatz verdeckter Ermittler in offenen linken Szenen erhebliches Mißtrauen unter den dort aktiven Menschen gesät. Wie das Beispiel Brenners zeigt, der offensichtlich über alle seine Bekanntschaften wie deren Freunde Bericht erstattete, in ihren Wohnungen aus und ein ging und in einigen Fällen sogar im Haus ihrer Eltern zu Gast war, vergiftet ein Spitzel die sozialen Beziehungen von Menschen, die vom verordneten politischen Konsens abweichen, wirksam und nachhaltig. Das muß kein bloßer Nebeneffekt seiner Enttarnung sein, sondern könnte auch als gezielte Strategie zur systematischen Zerschlagung linker Gruppen eingesetzt werden.

Der Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V. verlangt daher von den zuständigen Polizeibehörden die vollständige Aufklärung über den Einsatz ihres verdeckten Ermittlers sowie eine Stellungnahme zur Rechtsgrundlage seines Vorgehens. Die Solidaritätsorganisation für politisch verfolgte Linke fordert darüberhinaus den Rücktritt des baden-württembergischen Innenministers Heribert Rech wie aller für den Spitzeleinsatz Verantwortlichen [1].

Wie etwa von den Karrieren polizeilicher Einsatzleiter bei Demonstrationen bekannt verdienen sich Beamte des Sicherheitsapparats durch besonders entschiedenes Vorgehen gegen linke Aktivisten eher eine Beförderung denn eine Rüge. In einem gesellschaftlichen Klima anwachsender Verachtung allem Schwachen und Verletzlichen gegenüber verpufft die begründete Forderung nach politischen Konsequenzen im Limbo einer Ignoranz, die ebenso Programm ist wie die Selbstermächtigung des staatlichen Repressionsapparats zur willkürlichen Unterdrückung der linksradikalen Opposition. Der von der Bundesregierung verfolgten Linie der Gleichsetzung kommunistischer und nazistischer Organisationen zwecks Etablierung einer Extremismusdoktrin, die die Stigmatisierung linksradikaler Gruppen als Staatsfeinde mit Hilfe einer die Empfänger staatlicher Mittel auf Gesinnungskonformität und Ausgrenzung Andersdenkender verpflichtenden Antiextremismuserklärung vorantreibt, entspricht die bürgerliche Presse, indem sie Repression gegen Linke wenn nicht offen befürwortet, dann zumindest unter der Schwelle öffentlicher Wahrnehmung hält.

In Anbetracht der rigorosen Sparpolitik, die sich andernorts in der EU wie zuletzt in Italien und Griechenland zu einer offenen Krise demokratischer Legitimation auswächst, rüstet der Sicherheitsstaat gegen die soziale Opposition auf, während die professionellen Wirklichkeitsproduzenten Deckung hinter ihren Schreibtischen nehmen. Die geheimdienstliche Unterwanderung verbliebener Felder sozialer Emanzipation bleibt auch dort nicht ohne bedrohliche Wirkung, wo man sich noch in sicherer Distanz zum zentralen gesellschaftlichen Konflikt wähnt.

Fußnote:

[1] http://www.rote-hilfe.de/static/news.php

16. Dezember 2010