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REPRESSION/1473: Nicht nur Weißrußland - Exportschlager deutsche Polizeiausbildung (SB)




Bei der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols nach innen und dessen Export nach außen arbeiten Polizei, Justiz, Strafvollzug, Militär sowie private Rüstungsunternehmen und Sicherheitsdienstleister teils durch gesetzliche Vorgaben demokratischer Staatlichkeit formal voneinander getrennt, teils auf dem Wege zunehmender Aufweichung solcher Trennungsgebote oder eines Unterlaufens derselben Hand in Hand. Rechtsstandards, parlamentarische Kontrolle, politische Richtungsentscheidungen und ideologische Verbrämung sind im Fluß, wobei dieser aufgrund partieller Widerspruchslagen zwar mitunter unüberschaubar zu mäandern scheint, jedoch in der Konsequenz zu einem Strom konzentrierter Repression anschwillt.

Die Grünen-Fraktion im Bundestag beschloß im April 2011 ein Positionspapier zur Ausbildung von Sicherheitskräften im Ausland durch die deutsche Polizei als auch die Bundeswehr. [1] Wie es darin heißt, sei eine loyale, nach demokratischen Grundsätzen operierende, durchsetzungsfähige und vertrauenswürdige Polizei für die Stabilität eines Staates ebenso unverzichtbar wie es Justiz und Strafvollzugsbehörden sind. Deshalb gehöre der Aufbau von demokratieverträglichen Polizei-, Justiz- und Verwaltungsstrukturen inzwischen unabdingbar zu den Kernbereichen internationaler Friedensmissionen der UN, EU oder OSZE wie auch auf bilateraler Ebene mit anderen Staaten. Diese Kooperationen betreffen Schutzaufgaben in Krisengebieten, grenzpolizeiliche Unterstützung, Dokumenten- und Visumsberatung sowie polizeiliche Aufbauhilfe, so auch durch die Spezialeinheit GSG 9 der Bundespolizei. Ferner entsendet das Bundeskriminalamt sogenannte Verbindungsbeamte in eine Vielzahl von Staaten.

Dieses Konzept grüner Sicherheitsstrategie ist insofern beispielhaft, als darin eine durchweg positive Konnotation mittels plakativer Schablonen wie "Aufbau von friedlichen Gesellschaften", "Sicherheitssektorreform", "Gewaltprävention", "politischer und ökonomischen Wiederaufbau" oder "Friedenssicherung" vorgenommen wird. Ziel sei es, "der weltweiten Erosion staatlicher Strukturen entgegenzuwirken und zur Erhaltung eines an Menschenwürde, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit orientierten staatlichen Gewaltmonopols beizutragen". Die Bundesrepublik, so die Kernaussage, sollte ihr internationales ziviles Engagement intensivieren, da eine frühzeitige präventive polizeiliche Zusammenarbeit und Aufbauhilfe einem militärischen Engagement stets vorzuziehen sei.

Den polizeilichen Anteil an der Wiederherstellung und Exekutierung des staatlichen Gewaltmonopols als ziviles Engagement auszuweisen und einem militärischen diametral entgegenzusetzen bezieht sich affirmativ auf die dabei ausgeblendeten Herrschaftsverhältnisse, da deren Sicherung im Inland und expansionistischer Übergriff auf andere Regionen nicht nur als unabdingbar vorausgesetzt, sondern geradezu als Auftrag deutscher Politik in den Rang einer Mission erhoben wird.

Vor diesem Hintergrund droht die aktuell hochkochende Kontroverse um die Schulung von etwa 500 weißrussischen Sicherheitskräften in Deutschland und Minsk in eine Scheindebatte zu münden, die in diesem speziellen Fall im Brustton der Entrüstung verurteilt, was sie in anderen nicht zur Kenntnis nimmt oder sogar ausdrücklich bejaht. Von 2008 bis 2011 wurden Grenzschützer, leitende Polizeioffiziere und Kriminaltechniker zur "Heranführung der belarussischen Miliz an die EU-Standards am Beispiel der deutschen Polizei" ausgebildet, heißt es dazu im Bundesinnenministerium. "Hauptthema war die Bewältigung von polizeilichen Lagen aus besonderem Anlass, besonders aus Anlass von (Sport-)Großveranstaltungen." Um den weißrussischen Kollegen "das transparente und bürgernahe Verhalten der Polizei" nahezubringen, durften diese unter anderem im November 2010 mehrere Tage lang den Castor-Transport nach Gorleben beobachten, bei dem den Atomkraftgegnern unter Einsatz von Schlagstöcken, Wasserwerfern und Reizgas eingebleut wurde, wer Herr im Haus ist. Mehr als 500 Menschen wurden verletzt, Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann verteidigte den Einsatz als "richtig und angemessen". [2]

Auf welche Weise den weißrussischen Milizionären dabei EU-Standards, Transparenz und Bürgernähe nahegebracht wurden, reizt natürlich zu beißendem Spott. Beschränkte sich dieser allerdings darauf, deutsche Unterstützung des Repressionsapparats der autoritären Regierung Alexander Lukaschenkos als eklatante Fehlleistung im Kontext eines ansonsten wünschenswerten Polizeiexports zu verhöhnen, leistete man vollends der Verkennung Vorschub. Wenngleich die Definition des Verhältnisses zur weißrussischen Führung von EU-Sanktionen (2006) über eine Aufnahme in die Östliche Partnerschaft (2008) zu erneuter Abkühlung (2010) erheblich schwankte, diente die polizeiliche Zusammenarbeit demselben Zweck wie die politische Strategie, Weißrußland einzubinden und für den Westen zu vereinnahmen.

Geschult wurden vor allem Grenzschützer in der Bekämpfung "illegaler Migration" und Kontrolle auf Flughäfen wie auch im Kampf gegen "Terrorismus und schwere Kriminalität". Initiiert wurde das Projekt vom Auswärtigen Amt, was die enge Verzahnung mit der deutschen Außenpolitik in Osteuropa unterstreicht. Der im Juli 2012 abgesetzte Bundespolizeichef Matthias Seeger war selbst 2009 zweimal in Weißrußland, bei vier Schulungen in Minsk trat jedesmal Jürgen Schubert als Redner auf, damals Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder und in dieser Funktion zuständig für die Unterstützung anderer Staaten "bei der Bewältigung von Lagen aus besonderem Anlaß". Schubert, heute Vize-Chef der Bundespolizei, war es auch, der bei den Seminaren für Offiziere der weißrussischen Miliz in Deutschland Vorträge hielt. Wäre das Kalkül aufgegangen, Lukaschenko zu einem Kurswechsel zu drängen, hätte die Ende 2011 beendete bilaterale polizeiliche Zusammenarbeit noch heute Bestand und würde vermutlich als erfolgreicher Beitrag zum Reformprozeß gewürdigt.

Welch bedeutsame Rolle Deutschland beim polizeilichen Export spielt, läßt sich am Beispiel Afghanistan ablesen. Dort sind deutsche Ausbilder nach den USA der zweitgrößte Akteur beim Aufbau der afghanischen Nationalpolizei. Seit Beginn der Mission im Jahr 2002 hat die Bundesrepublik rund 380 Millionen Euro dafür aufgewendet, etwa 52.000 Afghanen zu schulen. Die 200 Polizeiausbilder aus Bund und Ländern arbeiten für das bilaterale Polizeiprojekt mit dem Titel "German-Police-Project-Team" (GPPT). Zudem beteiligt sich die Bundesrepublik noch an der Europäischen Polizeimission "Eupol" mit momentan 25 Polizisten. Bis 2014 sollen auch die deutschen Polizeiausbilder bis auf ein Restkontingent von schätzungsweise 20 bis 30 Polizisten abgezogen werden. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, geht davon aus, daß es künftig nicht weniger, sondern noch mehr Auslandsmissionen geben werde. Er fordert deshalb eine stärkere parlamentarische Kontrolle durch ein "Entsendegesetz", um den Einsatz und Abzug von Polizisten genau zu regeln. [3]

Obgleich eine Fortsetzung der Kriegführung und Besatzung mit modifizierten Mitteln wird der Aufbau der afghanischen Polizei in der deutschen Öffentlichkeit zumeist als gutzuheißende Alternative befürwortet, wenngleich man deren Erfolg nicht selten in Zweifel zieht. Herbe Schelte setzt es allenfalls dann, wenn vermummte deutsche Polizisten als Leibwächter mit einer Totenkopfflagge vor der Residenz des Botschafters posieren. Wie es heißt, habe der Verzicht auf Disziplinarmaßnahmen ebenso zur Entlassung von Matthias Seeger als Chef der Bundespolizei beigetragen wie dessen Aktivitäten in Weißrußland. Was für Innenminister Hans-Peter Friedrich das Faß zum Überlaufen gebracht hat, dürfte von anderen personalpolitischen Schachzügen abgesehen in beiden Fällen die kontraproduktive negative Resonanz in den Medien gewesen sein, die das Image des Polizeiexports als solches in Mitleidenschaft zu ziehen drohte.

Für beträchtlichen Wirbel sorgten auch Ende Juni aktualisierte Recherchen zum Einsatz deutscher Bundespolizisten in Saudi-Arabien. Stein des Anstoßes war die Zusammenarbeit mit Religionspolizisten, die für schwere Menschenrechtsverletzungen bis hin zu öffentlichen Bestrafungen und Hinrichtungen verantwortlich gemacht werden. Sie kontrollieren die Arbeit in den Kommandozentralen der Hightechgrenze, die vom Rüstungskonzern EADS aufgebaut wird. Damit kommen sie in Kontakt mit Bundespolizisten, die vor Ort saudische Grenzbeamte schulen. Deutsche Bundespolizisten waren demnach sogar bei öffentlichen Bestrafungen in der Hauptstadt Riad anwesend. Das Bundesinnenministerium zog sich auf die Ausflucht zurück, die Religionswächter würden nicht von der Bundespolizei geschult. [4]

Das eigenwillige Kooperationsmodell sieht vor, daß die Bezahlung der seit Februar 2009 eingesetzten Bundespolizisten über den privaten deutsch-französischen Rüstungskonzern EADS läuft, dessen Tochterfirma Cassidian dem reaktionären saudischen Regime umfangreiche Technologie zur Grenzsicherung liefert. Im Zuge der Kontroverse um das Vorhaben, 200 Leopard-Panzer nach Saudi-Arabien zu liefern, fiel das Schlaglicht auch auf die bislang beispiellose Vermengung privatwirtschaftlicher Interessen mit hoheitlichen Aufgaben. Daß es dafür eine ausreichende rechtliche Grundlage gibt, bezweifelt die Polizeigewerkschaft. Ein deutsch-saudisches Abkommen über "Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich" vom Mai 2009 hat die Bundesregierung dem Bundestag bislang nicht zur Ratifizierung vorgelegt. [5]

Auf Anfrage der Linkspartei, ob die Polizeiausbildung Bedingung für die Auftragserteilung an EADS gewesen sei, vermied die Bundesregierung eine klare Antwort. Der Konzern erwiderte auf eine gleichlautende Presseanfrage nebulös, die Schulung der Saudis an den Geräten sei "ein wichtiger Teil" der Ausbildung, aber "nicht mit der Polizeischulung gleichzusetzen". Da dem Bundesinnenministerium die Publizität dieser Verstrickung sichtlich unangenehm ist, strebt man einen direkten Geldfluß zwischen beiden Regierungen an. Nicht mit der massiven Aufrüstung des saudischen Regimes zum regionalen Handlanger westlicher Interessen hat deutsche Staatlichkeit als Sachwalter kapitalistischer Verwertung und imperialistischer Expansion ein Problem, sondern allenfalls mit einer Widerstand provozierende vorzeitige Aufdeckung der konkreten Praktiken. Deutschland als Exportweltmeister auch auf dem Gebiet polizeilicher Ausbildung leistet einen Beitrag zur zivil-militärischen Zusammenarbeit, den es erst noch zur nicht länger hinterfragten Selbstverständlichkeit festzuzurren gilt.

Fußnoten:

[1] http://www.nouripour.de/index.php?option=com_content&id=422%3Apolizeiausbildung-im-ausland&Itemid=4

[2] http://www.tagesspiegel.de/politik/500-sicherheitskraefte-geschult-deutsche-polizei-half-lukaschenkos-miliz/7047196.html

[3] http://www.welt.de/politik/article108774104/Deutsche-Polizeiausbilder-ziehen-aus-Afghanistan-ab.html

[4] http://www.mdr.de/fakt/religionspolizei100.html

[5] http://www.sueddeutsche.de/politik/bundespolizei-in-saudi-arabien-hart-an-der-grenze-1.1120387

24. August 2012