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REPRESSION/1497: Lebendig begraben - 7000 im Hungerstreik gegen Isolationsfolter in Kalifornien (SB)




Für 22,5 Stunden des Tages eingemauert in eine permanent von Neonlicht beleuchtete Zelle aus schierem Beton, deren Grundfläche 6 bis 8 Quadratmeter beträgt, für eine Stunde herausgelassen durch die ferngesteuerte Zellentür, um in einem Käfig von 40 Quadratmetern ein wenig Auslauf zu haben, zwei Mal täglich mit Nahrung versorgt durch einen Schlitz in der Tür, ohne mit den Wärtern, die den Teller hineinschieben, ein Wort wechseln zu dürfen, des Nachts vom Lärm schwer ins Schloß fallender Metalltüren, auf nacktem Boden auftrampelnder Stiefel des Wachpersonals und ihrer Kommandos am Schlafen gehindert, die Kontakte mit anderen Menschen auf gelegentliche Zurufe durch Zellentüren an andere Gefangene und Angehörigenbesuche, bei denen jede Berührung durch eine Glasscheibe verhindert wird, beschränkt, bei den häufigen und unvorhersehbaren Lockdowns mitunter tagelang auch noch des kleinen Ausflugs in den Bewegungskäfig beraubt - das Schicksal der Insassen sogenannter Security Housing Units (SHU), hochgradig gesicherter Sondertrakte innerhalb kalifornischer "Supermax"-Hochsicherheitsgefängnisse, entzieht sich jeder nachvollziehbaren Beschreibung.

Knapp 4000 Insassen sind in den vier SHUs der Supermax-Gefängnisse Pelican Bay, Corcoran, Tehachapi und Valley State Prison - letzteres für 120 weibliche Gefangene - verwahrt. Weitere 6200 Gefangene befinden sich in sogenannten Administrative Segregation Units (ASU) ebenfalls in völliger Isolation ohne jeden Kontakt nach außen. In ihnen warten die Gefangenen vor allem auf die Einweisung in eine der inzwischen so überbelegten Isolationstrakte, daß in einigen Fällen zwei Gefangene in einer für eine Person vorgesehenen Zelle leben. Auf insgesamt 80.000 wird die Zahl der unter unterschiedlichen Bedingungen in Isolation gehaltenen Gefangenen landesweit in den USA geschätzt.

Was die kalifornischen Behörden als Sicherheitsmaßnahme gegen die Bildung von Gangs in den Knästen bezeichnen, erweist sich bei genauerer Betrachtung als ein System der perfiden Zerstörung der Betroffenen und der Unterbindung jeglicher Form kollektiven Widerstands. Wer der Isolationsfolter, um die es sich bei dieser Maßnahmen der einhelligen Meinung von Menschenrechtsorganisationen und Gefangenenaktivisten handelt, durchschnittlich zwei Jahre lang ausgesetzt ist, ist akut von schwerwiegenden psychischen Schädigungen bedroht. Allein wenige Wochen in einem solchen Betonsarg, in dem die Ablenkungsmöglichkeiten auf maximal fünf Bücher und Fernsehen als besondere Vergünstigung beschränkt sind, würde die psychische Belastbarkeit der meisten Menschen überfordern.

Die angeblichen Gang-Mitglieder, politischen Gefangenen oder schlicht auf mißliebige Weise auffällig gewordenen Insassen der SHU sind der strafenden Grausamkeit des staatlichen Gewaltmonopols auf eine Weise ausgesetzt, die durch keine noch so schwerwiegende Straftat zu rechtfertigen ist. Da die Gefangenenbevölkerung des US-Strafvollzugs aus überdurchschnittlich vielen Afroamerikanern und Hispanics besteht und das Gros der weißen Gefangenen aus unterprivilegierten sozialen Verhältnissen stammt, kulminiert in der Isolationshaft die sozialrassistische Repression einer Gesellschaft, die sich auf diese Weise des potentiell widerständigen Teils der Bevölkerung entledigt.

Der sozialfeindliche Charakter des US-Justizwesens hat dieser Tage durch den Freispruch des des Mordes an dem 17jährigen Trayvon Martin in Florida angeklagten George Zimmerman einige Aufmerksamkeit erregt. Zwar steht der rassistische Charakter der US-Strafjustiz im Vordergrund der Debatte, doch ist ihr Klassencharakter nicht zu übersehen. Die Chancen, in Strafprozessen zu obsiegen oder zu unterliegen, hängen zu einem Gutteil von der finanziellen Bemittelung der Angeklagten wie ihrer Sozialprognose ab, das gilt auch für weiße Verdächtige. Wer aus "besseren" Verhältnissen stammt, kann sich kompetentere Anwälte leisten und wird insgesamt als weniger gefährlich für die Gesellschaft erachtet. Gesetze wie das Three Strikes Law, unter dem Wiederholungstäter schon bei kleinen Delikten nach der dritten Straftat eine obligatorische Zeitstrafe von mindestens 25 Jahren absitzen müssen, benachteiligen sozial schwache Menschen, während Täter im weißen Kragen für Steuerhinterziehung oder betrügerische Praktiken am Finanzmarkt mit nicht, wenn überhaupt, annähernd vergleichbarem Strafmaß belegt werden.

Am 8. Juli traten 30.000 Insassen kalifornischer Strafvollzugsanstalten in einen befristeten Hungerstreik, um die Erfüllung von fünf Forderungen an die Gefängnisverwaltung des US-Bundesstaates zu erwirken. Eine Woche später befinden sich immer noch 7000 Gefangene im Hungerstreik. Sie setzen damit ihren Kampf um ein Minimum an menschenwürdigen Haftbedingungen fort, den sie vor zwei Jahren mit zwei großen Hungerstreiks begonnen haben. Im Juli 2011 waren 6600 Gefangene in 11 der 33 kalifornischen Staatsgefängnisse in den Hungerstreik getreten, im September schwoll die Zahl auf 11.900 Gefangene an, weil das California Department of Corrections and Rehabilitation (CDCR) keine der Forderungen erfüllt hatte.

Dabei handelt es sich in Anbetracht der Härte der Bedingungen, die die Gefangenen in Isolation und sensorischer Deprivation zu erleiden haben, um moderate Forderungen:

So soll die kollektive Bestrafung der SHU-Insassen, zu denen es aufgrund von Regelbrüchen einzelner immer wieder kommt, eingestellt werden. Mit ihr werden in der Regel Gruppen gleicher Hautfarbe sanktioniert, um die ethnischen Gräben unter den Gefangenen zu vertiefen. Zudem wird eine mögliche Entlassung aus der unbegrenzten Isolationshaft, die bei rund 100 Gefangenen schon mehr als 20 Jahre dauert, in den normalen Vollzug mit jeder Bestrafung unwahrscheinlicher.
Das sogenannte Debriefing soll aufgehoben werden. Es hat zum Ziel, den Gefangenen zu einem Informanten des CDCR zu machen, indem ihm in Aussicht gestellt wird, auf diese Weise aus der unbefristeten Isolationshaft entlassen zu werden. Dabei werden notgedrungen falsche Angaben gemacht, die die davon Betroffenen immer länger in der SHU halten. Da jeder Insasse der Supermax-Knäste weiß, daß die Denunziation anderer Gefangener die einzige Möglichkeit ist, der Hölle der Isolationsfolter zu entkommen, sind daraus zurückkehrende Gefangene akut gefährdet, von den Mithäftlingen als Verräter angegriffen und umgebracht zu werden.
Die Gefangenen verlangen, daß die Empfehlung einer Bundeskommission, die Abtrennung von Gefangenen zum letzten möglichen Mittel zu erklären und die Bedingungen der Isolationshaft zu entschärfen, berücksichtigt werden.
Sie möchten eine ihren Bedürfnissen angemessene Ernährung erhalten anstelle des häufig schlechten und schimmligen Essens, mit dem sie abgespeist werden.
Sie verlangen allgemeine Verbesserungen der Haftbedingungen wie die Teilnahme an Ausbildungsprogrammen und Gottesdiensten, das Recht auf ein Telefongespräch in der Woche oder warme Kleidung, um in den ungeheizten Zellen nicht zu frieren.

Wie die kollektiven Bestrafungen und das Debriefing zeigen, ist das Isolationsregime darauf abgestellt, jeden auch in dieser Situation noch möglichen Widerstand der Gefangenen zu brechen. Schon bei der Einweisung in die SHUs zeigt sich, daß das kalifornische Strafvollzugssystem insbesondere gegen politisch aktive Häftlinge vorgeht. So reicht der Besitz politischer Schriften, das Zitieren politischer Aktivisten aus dem Gefangenenwiderstand oder der kurze Kontakt mit einem Mitglied der diversen, vom radikal linken bis rechten Spektrum reichenden Gefangenenorganisationen aus, um womöglich auf viele Jahre in Isolationshaft gesteckt zu werden. Insbesondere die Black Guerilla Family, eine von dem Sozialrevolutionär George Jackson gegründete Gruppe linker schwarzer Aktivisten, scheint im Visier der kalifornischen Behörden zu stehen. So bezichtigte der ehemalige kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger den Gefangenenaktivisten Tookie Williams, sich in seinen Memoiren mit George Jackson solidarisch erklärt zu haben. Schwarzenegger verwarf das Gnadengesuch des im Dezember 2005 hingerichteten Williams unter anderem mit der Begründung, daß "die Einbeziehung von George Jackson auf dieser Liste [prominenter schwarzer Justizopfer, Anm. d. Red.] wider die Vernunft und ein signifikanter Indikator dafür ist, daß Williams nicht resozialisiert wurde und daß er immer noch Gewalt und Gesetzlosigkeit als legitimes Mittel betrachtet, soziale Probleme zu adressieren."

Die Mitglieder der Black Guerilla Family waren und sind an vorderster Stelle an den Hungerstreiks beteiligt, die nun, da die CDRC keine der Forderungen vollständig erfüllt hat, erst recht die einzige Möglichkeit für die Gefangenen darstellen, ihre Lage zu verbessern. Wie gravierend diese sein kann, zeigt das Schicksal des Gefangenenaktivisten Hugo Pinell. Er wurde 1965 mit 19 Jahren unter der Vorspiegelung, er werde bald entlassen, wenn er das Begehen einer Vergewaltigung gestehe, zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Im Knast entwickelte er sich zum Sozialrevolutionär und beteiligte sich 1971 an einer Gefangenenbefreiung in St. Quentin, bei der George Jackson erschossen wurde. Pinell sitzt seit 42 Jahren in Einzelhaft, seit 1990 unter den verschärften Bedingungen des SHU in Pelican Bay. Mit insgesamt 48 Jahren ununterbrochener Haft ist Pinell nicht nur einer der am längsten einsitzenden Insassen des US-amerikanischen Strafvollzugs, seine fortdauernde Isolation ist seinen Unterstützern zufolge seiner politisch widerständigen Haltung geschuldet, so daß er auch der am längsten eingesperrte politische Gefangene des Landes ist.

Das ganze Ausmaß der Drangsalierung, Erniedrigung und Folterung zu beschreiben, mit dem im US-Strafvollzug im allgemeinen und in den kalifornischen Isolationstrakten im besonderen Gefangene geschunden werden, sprengt den Rahmen jedes Zeitungsartikels. Das dürfte jedoch kaum der Grund sein, daß der Widerstand gegen die Isolationsfolter in Kalifornien schon vor zwei Jahren in deutschen Medien trotz der großen Zahl von Hungerstreikenden fast vollständig ignoriert wurde. Auch der dritte Versuch, den kalifornischen Behörden Hafterleichterungen abzuringen, findet hierzulande wenig Resonanz, obwohl über den Freispruch von George Zimmerman in aller Ausführlichkeit berichtet wurde. Sich über rassistische Justizwillkür zu empören, scheint noch ins Konzept der transatlantischen Freundschaft zu passen. Die systematische Entmenschlichung tausender Gefangener anzuprangern hingegen, könnte Fragen grundsätzlicher Art aufwerfen. Mit welcher Konsequenz der soziale Krieg in den USA, wo 47 Millionen Menschen nicht genug zu essen haben, weshalb ihnen nun auch noch die staatliche Nahrungsmittelhilfe gekürzt werden soll, geführt wird, will man hierzulande lieber nicht so genau wissen.


Fußnoten:

Prisoner Hunger Strike Solidarity
http://prisonerhungerstrikesolidarity.wordpress.com/

Solitary in Iran Nearly Broke Me. Then I Went Inside America's Prisons.
http://www.motherjones.com/politics/2012/10/solitary-confinement-shane-bauer

Sacramento hearing exposes CDCR's hidden agenda
http://sfbayview.com/2013/sacramento-hearing-exposes-cdcrs-hidden-agenda/

Prisoners' Struggle Against "Cruel and Unusual Punishment Amounting to Torture"
http://www.revcom.us/a/309/interview-with-Carol-Strickman-en.html

Rural Prison as Colonial Master
http://www.zcommunications.org/rural-prison-as-colonial-master-by-christian-parenti

16. Juli 2013