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REPRESSION/1515: Ein Jahr NSA-Spähaffäre - Sieg der Exekutive (SB)




Ein Jahr nach den ersten Enthüllungen zur NSA-Spähaffäre am 6. Juni 2013 kann bilanziert werden, daß der Überwachungs- und Sicherheitsstaat jenseits wie diesseits des Atlantik auf ganzer Linie gesiegt hat. Trotz eines regelrechten Bombardements mit immer neuen Informationen zur extensiven Massenobservation durch US-amerikanische und britische Geheimdienste bleibt es ruhig an der Front dagegen gerichteter Proteste. So empört sich mancher in seinem Glauben an den demokratischen Rechtstaat aufgescheuchter Bürger geben mag, so selbstverständlich erscheint den meisten Menschen inzwischen diese keineswegs abstrakte Bedrohung ihres sozialen und beruflichen Verkehrs. Achselzuckend wenden sie sich wichtigeren Dingen zu als einer im Zweifelsfall politischen Kontrolle durch informationstechnische Systeme, die nach dem erreichten Stand automatisierter Überwachung und Massenspeicherung inzwischen alles abschöpfen können, was überhaupt an datenelektronischer Telekommunikation anfällt.

Cybercrime und Wirtschaftsspionage sind zweifellos relevante Gründe für die Tätigkeit der virtuellen Schnüffler. Geht es jedoch um die Legitimation staatlicher Repression und ihre Ausweitung zu panoptischer Totalüberwachung, dann stehen stets terroristische Bedrohungen im Vordergrund. Wenn nicht islamistische Gruppen, so ist fast immer die revolutionäre Linke gemeint, der die unter Rechtsradikalen zum guten Ton gehörende Gewalt gegen Menschen nicht nachgewiesen werden muß, um ins Visier der Staatsgewalt zu geraten. Die dabei häufig eingesetzte Methode der Kriminalisierung personeller und organisatorischer Zusammenhänge nach dem Vereinigungsstrafrecht vermittelt einen Hinweis darauf, worum es bei dieser vermeintlichen Gefahrenabwehr vor allem geht.

Gefährlich für den Staat werden Menschen, wenn sie sich zusammenschließen und Formen der kollektiven Kommunikation und Handlungsfähigkeit entwickeln, die sich seinem Zugriff nicht durch Konspiration entziehen müssen, um Aufmerksamkeit bei den Staatsschutzorganen zu erwecken. Es ist der schlichte Widerstand gegen die kapitalistische Vergesellschaftung, die nicht eigens strafrechtlich gebrandmarkt werden muß, um präventiv verfolgt und dadurch stigmatisiert zu werden. Je tiefer die Krise der darauf aufbauenden Staatlichkeit ist, desto argwöhnischer achten ihre Sachwalter darauf, daß die ins individuelle Bewußtsein getriebenen Modalitäten des Teilens und Herrschens nicht an Wirksamkeit einbüßen.

Wenn der BND heute vorhat, mit der automatisierten Überwachung sozialer Netzwerke eben das zu tun, was die NSA in die Lage versetzt, das Aufkommen antagonistischer Strömungen in der Gesellschaft frühzeitig zu identifizieren, um, wie im Fall der Occupy-Bewegung geschehen, sie mit geheimdienstlichen Mitteln zu unterwandern und zu zerschlagen, dann wird dies vom SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuß Christian Flisek problemlos gutgeheißen [1]. Die dabei mitschwingende Rechtfertigung, dies erfolge nur im Ausland, darf getrost ignoriert werden, weiß doch jeder Facebook-Nutzer um den so ortlosen wie transnationalen Charakter der dort stattfindenden Kommunikation. Auch der im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Geheimdienste (PKG) sitzende CSU-Politiker Stephan Mayer [2] hält technologische Innovationen dieser Art für unverzichtbar für die Nachrichtendienste. Metadaten der Telekommunikation zu erheben, sei ein vergleichsweise geringer Eingriff in die Privatsphäre, meint Mayer. Ihm kann es nicht ungelegen kommen, daß mit den Aktivitäten der NSA neue Maßstäbe der Durchdringung verbliebener Privatheit gesetzt wurden, kann künftig doch fast jeder Spähangriff mit diesem Vergleich als kleineres Übel verharmlost werden.

"Wir haben ein rechtsstaatliches Strafrecht und kein politisches Strafrecht" [3], betont Justizminister Heiko Maas, um die geringe Begeisterung des Generalbundesanwalts zu verteidigen, in Sachen NSA-Spähaffäre gegen die US-Regierung zu ermitteln. Allein die Gesinnungsjustiz nach § 129 a und b belegt, daß der SPD-Politiker ein anderes Verständnis von politischer Justiz hat als diejenigen Menschen, die in ihre Mühlen geraten. Wo man bei den für die Verteidigung demokratischer Grundrechte in Amt und Regierung zuständigen Agenturen auch hinguckt, wird ein Ton beschwichtigender Rechtfertigung staatlicher Repression angeschlagen. Parlament, Justiz und Regierung sind sich einig darin, keine Gewaltenteilung zwischen sich geraten zu lassen, wenn so elementare Dinge wie die Beherrschbarkeit der Bevölkerung zur Disposition stehen. Wenn dieser Apparat an etwas Schaden nehmen könnte, dann am Verlust seiner den unterschwelligen Ausnahmezustand konkretisierenden Sonderrechte, die unter anderem die enge Zusammenarbeit mit jenen US-Geheimdiensten vorsehen, über die hierzulande seit einem Jahr auf eine Weise berichtet wird, als gebe es dergleichen in der Bundesrepublik nicht.

So mag das Ansehen staatlicher Autorität gelitten haben, doch was ihre konkrete Durchsetzung betrifft, da wirkt die NSA-Spähaffäre Wunder an effizienter Qualifizierung administrativer Verfügungsgewalt. Dagegen keinen Widerstand zu leisten, sondern sich in eine Privatheit zurückzuziehen, die das atomisierte Marktsubjekt einer Handelsware gleich dem Interesse unterwirft, nach Belieben wechsel- und tauschbar zu sein, sorgt für das Ende jeder unverwechselbaren Subjektivität und jedes unzugänglichen Eigensinns. Die Verteidigung einer Privatsphäre, auf deren Schutz der bürgerliche Liberalismus pocht wie auf das Eigentumsrecht, das zu Lasten all jener geht, die lediglich ihre Arbeitskraft besitzen, kann kaum im Interesse sozialer und linker Bewegungen liegen. Datenschutz ist kein emanzipatorisches Anliegen per se, sondern wird erst dazu, wenn damit Angriffe auf den solidarischen Widerstand gegen die Verabsolutierung von Staat und Kapital unterbunden werden können. Daß bei der Zerschlagung kollektiver Strukturen informationstechnische Systeme eingesetzt werden, in die sich über Arbeit und Konsum zu integrieren für Menschen, die in dieser Gesellschaft überleben wollen, immer unausweichlicher wird, ist von eigener Raffinesse, legen sich die meisten diese Fesseln doch freiwillig, um nicht zu sagen begeistert an.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/bnd-aufruestung-geheimdienste-duerfen-oeffentliche.694.de.html?dram:article_id=288015

[2] http://www.deutschlandfunk.de/bnd-ueberwachung-nachrichtendienste-muessen-auf-dem.694.de.html?dram:article_id=287924

[3] http://www.deutschlandfunk.de/nsa-ermittlungen-kein-druck-auf-range-ausgeuebt.694.de.html?dram:article_id=288201

4. Juni 2014