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REPRESSION/1658: Grup Yorum - Auftrittsbehinderung ... (SB)



Der liberale Rechtsstaat gibt sich gerne weltoffen und fördert zum Beispiel interkulturelle Projekte. Im Falle der Türkei allerdings zeichnet er sich durch eine Verbotspraxis aus, mit der die Arbeit der linken kurdischen und türkischen Opposition wirksam unterbunden wird. Das Verbot des Mezopotamien Verlages [1], der neben Büchern zu Fragen der kurdischen Freiheitsbewegung auch zahlreiche Klassiker der Weltliteratur, die ins Kurdische übertragen wurden, als auch für das Erlernen der Sprache erforderliche Wörterbücher herausgab, besteht seit anderthalb Jahren mit wenig Aussicht darauf, daß sich daran etwas ändert. Der Vorwurf, der Verlag richte sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung, läßt tief blicken, wenn man an das internationalistische Grundverständnis gerade auch migrantischer AktivistInnen in der Bundesrepublik und den hohen interkulturellen Wert von Schrift und Sprache, von Literatur und Musik denkt. Wie im Fall der in der Türkei sehr populären Musikgruppe Grup Yorum, deren Konzerte in Deutschland mit der Begründung unmöglich gemacht werden, es bestehe Verdacht auf die Unterstützung der in der Türkei wie in der Bundesrepublik verbotenen DHKP-C, scheint das Eintreten für Solidarität zwischen Menschen in aller Welt bei den Staatsschutzbehörden alle Alarmglocken klingeln zu lassen.

Obwohl zwei Gerichte in Hessen der Behauptung, Grup Yorum sei Teil dieser Partei, widersprachen [2], und die Musikgruppe in ihren mehrsprachigen Liedern vor allem Krieg und Rassismus verdammt, finden ihre Konzerte in Deutschland, wenn überhaupt, nur unter schärfsten polizeilichen Auflagen statt oder werden, etwa mit Hilfe von Einreiseverboten, von vornherein verhindert. Das gilt auch für Solidaritätsveranstaltungen für die in der Türkei inhaftierten und im Hungerstreik befindlichen MusikerInnen Grup Yorums. So wurde ein Konzert, auf dem am gestrigen Sonntag in Köln verschiedene MusikerInnen im Namen der Gruppe als Zeichen der Solidarität auftreten wollten, nur eine Stunde vor Beginn von der Polizei mit der Durchsetzung einer Verbotsverfügung verhindert. Dabei wurde das bereits ausgelegte Material - Bilder, Flyer, Buttons, T-Shirts - fotografiert und zumindest teilweise beschlagnahmt. Die bereits anwesenden MusikerInnen meldeten dann eine Versammlung vor dem Gebäude an und improvisierten dort ein kleines Konzert vor dem noch nicht von der Polizei abgewiesenen Publikum.

Wenn es Grup Yorum heute in der Bundesrepublik nicht minder schwer hat als in der Türkei, überhaupt öffentlich aufzutreten, obwohl die Band von zahllosen Menschen gerade wegen ihrer antirassistischen und multiethnischen Botschaften geliebt wird, während die Bundesregierung das Erdogan-Regime hofiert, das Tausende von Oppositionellen in den Knast geworfen hat und mit Fußtruppen aus dem Dunstkreis des IS einen völkerrechtswidrigen Krieg in Nordsyrien führt, dann kann es über die Prioritäten deutscher Regierungspolitik kaum Mißverständnisse geben. Die Wahrnehmung nationaler Interessen zu Lasten von Bevölkerungen, denen es materiell weit schlecher geht als den meisten BundesbürgerInnen und die zudem politischer Repression sogar mit Todesfolge ausgesetzt sind, steht im Zentrum einer Staatsräson, der der Krieg nach außen wie innen probates Mittel zur Durchsetzung einer vertikal immer weiter aufgespreizten Klassengesellschaft ist.

Wenn in Deutschland jedes Jahr Hunderte von Nazibands mit rassistischen Haßparolen öffentlich und ungestraft blutige Stimmung gegen Menschen anderer Hautfarbe und Staatsangehörigkeit machen dürfen, während eine linke Musikgruppe, die gegen Faschismus und Rassismus, für Frieden und Völkerverständigung singt, im gleichen Land wegen des unbewiesenen Verdachts auf Unterstützung einer Partei nicht auftreten darf, die in der Türkei zur vielfältigen Opposition gegen das AKP-MHP-Regime gehört, über deren Legalität oder Verbotswürdigkeit im demokratischen Sinne zu befinden eigentlich Sache der Bevölkerung dieses Landes sein sollte, wird eben nicht mit zweierlei Maß gemessen. Das unterstellte eine ideologisch neutrale Bewertung gesellschaftlich relevanter Musik, bei der vielleicht auch einmal Fehler gemacht werden, mit der in der Regel jedoch unbestechlich und gesetzeskonform gegen schlimmste Auswüchse von Haß und Menschenfeindlichkeit vorgegangen wird. Die am Beispiel Grup Yorum vorexerzierte Verbotspolitik allerdings ist einseitig und parteilich - völkischer Nationalismus und antimigrantischer Rassismus scheinen weithin akzeptabel zu sein, weil der autoritäre Staat mit diesen Ressentiments zumindest keine Schwierigkeiten hat, während die Gründe dafür, internationalistische und antikapitalistische Kulturarbeit zu unterdrücken, so zahlreich sind, daß sie auf der Straße zu liegen scheinen.


Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbrb0101.html

[2] https://www.kontextwochenzeitung.de/kultur.html?tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews%5D=5947&cHash=4ca07dc1b70044a22d733e6051434148

25. November 2019


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