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REPRESSION/1674: USA und Chelsea Manning - Zwang, Gewalt und Widerstand ... (SB)



Ich erhebe Einspruch gegen diese Grand Jury ... sie ist ein Versuch, Journalisten und Verleger, die einem wichtigen öffentlichen Interesse dienen, einzuschüchtern. Ich halte diese Werte seit meiner Kindheit hoch, und ich hatte viele Jahre im Gefängnis Zeit, darüber nachzudenken. Einen Großteil dieser Zeit hing mein Überleben von meinen Werten, meinen Entscheidungen und meinem Gewissen ab. Ich werde sie jetzt nicht aufgeben.
Chelsea Manning (2019 in einem Brief an Richter Anthony J. Trenga) [1]

Chelsea Manning wird als Verräterin bezichtigt, da sie Greueltaten der US-amerikanischen Kriegsführung offengelegt hat, die niemals ans Licht der Öffentlichkeit dringen sollten. Wer an solchen Staatsgeheimnissen rührt, wird in einem Racheakt abgestraft, für sympathisierende Kreise verbrannt und den Medien als abschreckendes Beispiel vor Augen geführt. Insbesondere aber wird ihr angelastet, nicht zu Kreuze gekrochen zu sein und sich nie unterworfen zu haben. Daher zielt die Staatsgewalt darauf ab, sie wirtschaftlich, psychisch und physisch zu vernichten. Wie wirkmächtig diese Vorgehensweise ist, läßt sich am erheblichen Schwund der Unterstützung ablesen. Daß diese Strategie dennoch nicht auf ganzer Linie erfolgreich war, ist dem Widerstand Chelsea Mannings zu verdanken, die sich nicht brechen ließ.

Nun hat ein US-Bundesgericht überraschend die sofortige Freilassung der früheren Wikileaks-Informantin aus dem Gefängnis verfügt. In der Anordnung von Richter Anthony Trenga in Alexandria im US-Bundesstaat Virginia hieß es, Mannings Aussage vor dem Geschworenengericht sei nicht länger notwendig. Damit entfalle auch die Notwendigkeit der Beugehaft. Mannings Anwälte hatten am Vortag mitgeteilt, die Whistleblowerin habe versucht, sich im Gefängnis das Leben zu nehmen. Offenbar hatten sie die Wachen in ihrer Zelle mit einem Bettlaken um den Hals und nicht ansprechbar aufgefunden. Die 32jährige wurde demnach in ein Krankenhaus gebracht, um sich dort zu erholen. Bekanntlich hatte Manning bereits im Jahr 2016 zweimal versucht, sich das Leben zu nehmen, wie auch einen Hungerstreik durchgeführt.

Manning hatte mit einer kurzen Unterbrechung seit dem 8. März 2019 wegen Mißachtung des Gerichts in Beugehaft gesessen, weil sie eine Aussage zu Julian Assange vor einer sogenannten Grand Jury bei Ermittlungen zur Enthüllungsplattform Wikileaks verweigert hatte. Mit der Beugehaft sollte die ehemalige Geheimdienst-Analystin dazu gezwungen worden, doch noch auszusagen. Sie beharrte aber auf ihrer Position und sagte, sie würde lieber verhungern als auszusagen. Mannings Anwälte teilten mit, ihre Mandantin werde "ihre Prinzipien nicht verraten". [2] Sie halte "unerschütterlich an ihrer Weigerung fest, an einem geheimen Grand Jury-Verfahren teilzunehmen, das sie als außerordentlich missbrauchsanfällig betrachtet".

Zusätzlich zur Beugehaft war Manning zu einer Beugestrafe von täglich 500 Dollar für die ersten 30 Tage und danach 1.000 US-Dollar pro Tag verurteilt wurden. Diese Summe ist inzwischen auf 256.000 US-Dollar angewachsen. Mannings Antrag auf Erlassung dieser Beugestrafe gab Richter Trenga nicht statt, der vielmehr verfügte, daß die Zahlung sofort fällig sei. Da Manning aufgrund laufender Verfahrenskosten hoch verschuldet ist und bereits ihre Wohnung verloren hat, kann sie die Strafe nicht bezahlen. Eine Crowdfunding-Initiative versucht nun, Geld zur Begleichung der Beugestrafe zu sammeln. [3]

Bei der sogenannten Grand Jury, die sich aus Laien zusammensetzt, handelt es sich um ein geheimes Vorverfahren, das in den USA in der Regel erforderlich ist, bevor es zu einer bundesstrafrechtlichen Anklage wie der gegen Julian Assange kommen kann. Gehört werden dabei nur die Staatsanwaltschaft und von dieser geladene Zeugen, während der Beschuldigte davon ausgeschlossen ist. Die Staatsanwaltschaft hatte Chelsea Manning und Jeremy Hammond von der Anonymous-Bewegung als Zeugen vorgeladen, um Assange zu belasten. Beide verweigerten dies jedoch und wurden deswegen zu Beugehaft verurteilt, wobei Manning zunächst im März 2019 und dann nach einer kurzen Unterbrechung seit Mai 2019 im Gefängnis saß.

Das unerwartete Ende des Grand-Jury-Verfahrens legt die Vermutung nahe, daß daraus eine weitere rechtsgültige Anklage gegen Assange hervorgegangen ist, die noch geheimgehalten wird. Da die Grand Jury nicht mehr tagt, entfällt die Rechtsgrundlage einer Beugehaft von Manning und Hammond. Daher wurde Manning freigelassen, während Hammond trotz Aufhebung der Beugehaft im Gefängnis bleiben muß, da er eine zehnjährige Haftstrafe verbüßt. Es ist durchaus möglich, daß beide im eigentlichen Strafverfahren gegen Julian Assange erneut als Zeugen vorgeladen werden.

Als US-Soldat und Geheimdienst-Analyst hatte Manning im Jahr 2010 Assange Hunderttausende geheime Regierungs- und Militärdokumente zukommen lassen, die der Australier in der Folge bei Wikileaks veröffentlichte. Dabei geht es maßgeblich um US-Militäreinsätze und Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak. So wurde unter anderem ein Angriff auf Zivilisten und Journalisten der Agentur Reuters durch einen US-Kampfhubschrauber in Bagdad enthüllt. Hammond war als Teil der Anonymous-Bewegung in fremde Computersysteme eingedrungen, um Beweise zu sammeln. Dafür wurde der Aktivist zu zehn Jahren Haft verurteilt. Manning wurde 2010 in Untersuchungshaft genommen und im August 2013 von einem Militärgericht zu 35 Jahren Haft verurteilt. Nach sieben Jahren wandelte Präsident Barack Obama in einer seiner letzten Amtshandlungen Ende 2017 ihr Urteil um, so daß sie kurzzeitig freikam, aber nicht begnadigt wurde und weiterhin als vorbestraft gilt.

Julian Assange sitzt im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh und wehrt sich vor Gericht gegen seine Auslieferung an die USA. Aus Angst davor hatte er sich 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London geflüchtet. Die britische Polizei verhaftete ihn im April 2019 unter dem fadenscheinigen Vorwurf, er habe mit der Flucht in die Botschaft gegen Kautionsauflagen verstoßen. Die USA beschuldigten Assange zunächst nur der Verschwörung zum Angriff auf Regierungscomputer. Im Mai 2019 wurde die Anklage erheblich verschärft. Die US-Justiz wirft Assange seither vor, Manning geholfen zu haben, geheimes Material von US-Militäreinsätzen zu veröffentlichen. Dabei soll Washington zufolge insbesondere die Sicherheit von US-Informanten aufs Spiel gesetzt worden sein. Wegen Verstoßes gegen Anti-Spionage-Gesetze wurde Anklage in 17 weiteren Punkten erhoben. Assange bestreitet die Vorwürfe. Bei einer Verurteilung in den USA in allen Anklagepunkten drohen dem gebürtigen Australier bis zu 175 Jahre Haft.

Obgleich es sich bei Chelsea Manning zuletzt um Beugehaft handelte, wurde sie in der Hochsicherheitsabteilung SHU (SecureHousing Unit) festgehalten, die auch als "administrative Isolation", "Einzelhaft", "getrennte Unterbringung", "Verwaltungseinschluß" oder das "Loch" bekannt ist. Sie besteht aus kalten, fensterlosen Betonzellen, in denen die Gefangenen gezwungen sind, 22,5 Stunden am Tag allein zu verbringen. Insassen mit diesem Status erhalten in der Regel eine Stunde Zeit zum Duschen, bevor sie für den Rest der ihnen zustehenden Zeit nach draußen gehen dürfen. Das erlaubte Lesematerial ist stark eingeschränkt, ebenso die Besuchszeiten.

Obgleich Manning bereits 2016 im Militärgefängnis versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, wurde sie abermals einer Folterhaft ausgesetzt. Da sie aufgrund ihrer früheren Haftbedingungen seit Jahren mit Depressionen und Panikattacken kämpft, worüber sie des öfteren in den sozialen Netzwerken berichtet hat, hatten ihre Anwälte eine Freilassung beantragt und gefordert, daß die Whistleblowerin aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes nur Hausarrest erhält. Auch ihre Unterstützergruppen und Menschenrechtsorganisationen hatten die Haftbedingungen immer wieder kritisiert.

Es geht um eine Form der Bestrafung, die von Insassen als "schleichender Tod" beschrieben wird. Zu den Auswirkungen längerer Einzelhaft gehören Depressionen, Psychosen, Panikattacken, Paranoia, verminderte Impulskontrolle, Überempfindlichkeit gegenüber äußeren Reizen und Schwierigkeiten mit dem Denken, der Konzentration und dem Gedächtnis sowie Suizidgedanken. In einem Bericht vom November 2019 erklärte Dr. Nils Melzer, der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Folter, Mannings fortgesetzte Inhaftierung erfülle "alle konstitutiven Elemente von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung".

Melzer hat sich wiederholt in Wort und Schrift entschieden für Julian Assange und Chelsea Manning eingesetzt, indem er auf ihre willkürliche Inhaftierung und die groben Verstöße gegen das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren hinwies. Keiner der beiden wird sich von den verheerenden Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit je wieder vollständig erholen, in beiden Fällen muß man weiterhin um ihr Leben fürchten. Nennt man die Kollaboration der Regierungen der USA, Großbritanniens, Schwedens, Ecuadors und Australiens beim Namen, darf auch das beredte Schweigen der Bundesregierung nicht ausgeblendet werden. Die Linkspartei forderte daher am Vortag der unverhofften Haftentlassung "die sofortige Freilassung der Whistleblowerin Chelsea Manning aus der US-Beugehaft, damit sie medizinisch angemessen behandelt werden und genesen kann. Die Bundesregierung muss der Dissidentin Chelsea Manning politisches Asyl anbieten", erklärte Sevim Dagdelen, Außenexpertin der Linksfraktion im Bundestag und Mitglied im Auswärtigen Ausschuß. "Nicht die Whistleblowerin gehört ins Gefängnis, weil sie Kriegsverbrechen der US-Armee im Irak und in Afghanistan enthüllt hat, sondern diejenigen, die diese Kriegsverbrechen begangen oder verantwortet haben." [4]


Fußnoten:

[1] www.wsws.org/de/articles/2020/03/13/chel-m13.html

[2] www.n-tv.de/politik/Gericht-ordnet-Freilassung-von-Manning-an-article21638102.html

[3] www.heise.de/newsticker/meldung/Chelsea-Manning-kommt-frei-muss-aber-hohe-Strafe-zahlen-4682126.html

[4] www.jungewelt.de/artikel/374373.free-chelsea-manning-suizidversuch-von-manning.html

13. März 2020


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