Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KULTUR/0766: Oliver Stones Morgengabe für Barack Obama (SB)



Oliver Stones kurz vor den Präsidentschaftswahlen in den USA uraufgeführter Film "W." reflektiert eine für das US-Kino typische Sicht auf das Wirken politischer Kräfte und Interessen. Anstelle den dort in Szene gesetzten 43. Präsidenten der USA als zwar einflußreichen, aber auch eingebundenen Akteur eines politischen Systems darzustellen, in dem die Kapitalmacht- und Funktionseliten in fruchtbarer Beziehung zum Zentrum souveräner Entscheidungsgewalt stehen, wird George W. Bush zu einem Opfer familiärer Konflikte und persönlicher Obsessionen degradiert. Der im US-amerikanischen Familienmythos zentrale Vater-Sohn-Konflikt gerät zur tragenden Achse seines Werdegangs, während die gesellschaftlichen Faktoren und systemischen Notwendigkeiten, die eine US-Präsidentschaft maßgeblich formen, ausgespart bleiben.

Um den Bilderbogen aus den bekannten rhetorischen und situativen Allgemeinplätzen nicht zu einem bloßen Abklatsch des verfügbaren Materials zur Geschichte dieses US-Präsidenten verkommen zu lassen, wird das Geschehen im Oval Office und in den Beratungen des Kabinetts als eine Art Slapstick-Inszenierung trivialisiert, die beim Publikum die Frage aufwerfen muß, wie derartig inkompetente Personen überhaupt in solche Positionen gelangen können. Die Darstellung der einzelnen Berater und Minister erinnert stark an Comedyspektakel nach Art der Parodie, mit der Tina Fey die republikanische Präsidentschaftskandidatin Sarah Palin lächerlich machte. Was unterhalten soll, kann den politisch interessierten Zuschauer nur langweilen, bleibt dieses Zerrbild exekutiver Willkür doch vollkommen unverknüpft mit den Prozessen administrativer Willensbildung und Durchsetzung.

Wenn die im Mittelpunkt des Films stehenden Entscheidungen, die zum Irakkrieg geführt haben, mit dem Bild eines bestenfalls leichtfertigen, aber weithin unkundigen Präsidenten in Deckung gebracht werden, dann läuft die Handlung auf eine Generalentschuldigung George W. Bushs hinaus. Als diesem mitgeteilt wird, bezüglich der irakischen Massenvernichtungswaffen einem Irrtum aufgesessen zu sein, bezichtigt er seine Mitarbeiter, als habe es die umfassend dokumentierten Winkelzüge seiner Administration, im Falle Afghanistans wie des Iraks willkürlich Kriegsvorwände zu schaffen, nie gegeben. Die konkrete Absicht, einen imperialistischen Krieg unter falschem Vorzeichen zu führen, fällt ebenso unter den Tisch wie jede Anregung, über das Wirken US-amerikanischer Hegemonialmacht im kapitalistischen Weltsystem nachzudenken. Die Anhäufung exekutiver Sondervollmachten, mit denen Bush quasidiktatorische Kompetenzen zugeschanzt wurden, bleibt ebenso unterbelichtet wie die Usurpation der Macht durch eine Entscheidung des Supreme Courts und die weitreichende Kollaboration der Demokraten mit dieser republikanischen Administration.

Geschrumpft auf ein psychologistisch konstruiertes Drama um die Dynastie der Bushs kommt "W." als mäßig unterhaltsamer Bilderbogen gutbürgerlicher US-amerikanischer Befindlichkeiten daher. Zwischen texanischem Machismo und elitärem Ostküstenambiente bahnt sich der durchschnittliche Sproß einer einflußreichen Familie den Weg an den Gipfel der Macht, vermeintlich ohne Verständnis für die weitreichenden Folgen seiner Politik zu entwickeln. Dieses auch dem Zuschauer vorzuenthalten, indem Stone den ausgetretenen Pfaden der dokumentierten Beratungen dieser Administration auf dem konformen Niveau der New York Times folgt, ist ein Versäumnis, daß die Chance, einen politisch aufklärerischen Film zu drehen, in eine Affirmation herrschender Verhältnisse verwandelt hat.

Fragen danach, woher die Macht einflußreicher Gruppen in den USA stammt, wie sie abgesichert wird und wie das System der Gewaltenteilung dennoch monopolistische Strukturen der Einflußnahme generiert, bleiben nicht nur ungestellt, sondern werden durch die Profanisierung des Geschehens offensiv ausgeblendet. Der Regisseur kolportiert die in den USA beliebte Darstellung Bushs, als Präsident zwar weitgehend gescheitert, als Mensch aber ein sympathisches Schlitzohr zu sein. Die biografische Engführung verschleiert die allgemein sichtbare Ranküne, mit der diese Administration die Interessen der herrschenden Kreise in den USA vorangetrieben und in diesem Rahmen das Leben von Millionen Menschen zerstört und vernichtet hat.

Diese Verblendung des Publikums erfolgt nicht ohne Sinn und Zweck, läßt sie Bushs Nachfolger Barack Obama doch als um so strahlenderen Hoffnungsträger erscheinen. Indem Stone den Eindruck erweckt, die weltpolitischen Geschicke lägen in den Händen einiger weniger Personen, die bei Kaffee und Kuchen für die ganze Menschheit schwerwiegende Entscheidungen treffen, unterschlägt er die konstitutiven, administrativen und gesellschaftlichen Bedingungen der Anhäufung souveräner Macht. Welche Rolle die Wahl Obamas in diesem Zusammenhang spielt und wieso seine Politik viel mehr Kontinuität zu der seines Vorgängers aufweist als zuvor versprochen, dies zu analysieren liegt jenseits des Erkenntnishorizonts, den das hier praktizierte politische Verständnis markiert.

1. Februar 2009