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KULTUR/0773: "Körperwelten" mit bolivarischer Revolution unvereinbar (SB)



Irgendwie in den falschen Hals gekriegt hat der Venezuela-Korrespondent der britischen Tageszeitung The Guardian, Rory Carroll, das Vorgehen des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez gegen den deutschen Show-Anatom Gunther von Hagens. Dessen Reiseausstellung "Körperwelten", in der mit Hilfe des Verfahrens der Plastination zu Einzelorgan- und Ganzkörperexponaten aufbereitete Leichen vorgeführt werden, wurde kurz nach ihrer Eröffnung in Caracas auf Betreiben des Präsidenten geschlossen. Für ihn sei die "makabre" Zurschaustellung verstorbener menschlicher Körper ein "klares Zeichen für den riesigen moralischen Verfall, der unsere Erde heimsucht" (The Guardian, 10.03.2009), so Chavez in seiner sonntäglichen Fernsehansprache. Er schloß sich zudem jenen Kritikern von Hagens' an, die den von ihm beanspruchten künstlerischen und wissenschaftlichen Wert der Ausstellung als ihrem voyeuristischen Charakter gegenüber für vernachlässigenswert halten.

Wieso Guardian-Korrespondent Carroll diesen Vorgang in eine Reihe mit Enteignungsmaßnahmen stellt, mit denen Chavez die bolivarische Revolution vorantreibt, weiß nur er allein. Dabei gäbe es zahlreiche Gründe, die jenseits der moralischen Abscheu über die "Enthüllung der Körper", so der englische Titel ("Bodies Revealed") der Ausstellung, bis auf ihre zerfaserten Gewebe und ausgeweideten Organe hinaus Anlaß dafür geben, diese Form der Menschenvorführung abzulehnen.

Der Versuch des Anatomen, aus einer morbiden Jahrmarktsattraktion den Anspruch auf Aufklärung des Menschen über die Beschaffenheit seiner Physis und die Endlichkeit seiner Existenz abzuleiten, sollte keinesfalls unwidersprochen bleiben. So schafft das mit dem Gestus des Niederreißens letzter Tabus als fortschrittlich larvierte, dabei in seinem künstlerischen Anspruch höchst einfallslose Memento mori wertvolle Legitimation für die Verwertung des menschlichen Körpers als Rohstoff der Biomedizin. Hagens Vorhaben, das Publikum in seinen Ausstellungen zur "Objektivierung des menschlichen Körpers" zu erziehen, verharmlost nicht nur die Ersatzteilmentalität der Transplantationsmedizin und fördert die Verwertung menschlicher Gewebe für die Herstellung von Medikamenten und Kosmetika, sondern erzieht zu einer Distanzierung von der menschlichen Physis, die jeglicher Form fremdnütziger Ausbeutung Vorschub leistet.

Das Einspeisen der Körper - oder angeblich verzichtbarer Teile derselben - nicht mehr ganz lebender, aber auch noch nicht vollständig gestorbener, sprich "hirntoter" Patienten in einen Prozeß kannibalistischer Verwertung dient der Lebensverlängerung einer im Weltmaßstab privilegierten kleinen Minderheit, für die ein exorbitanter wissenschaftlicher, technologischer und finanzieller Aufwand betrieben wird, während Millionen von Menschen nicht einmal medizinische Basisleistungen erhalten. Was Hagens als Aufklärung über das materielle Substrat menschlicher Existenz verkauft, begünstigt die mit ökonomischem und moralischem Zwang betriebene, über die ohnehin praktizierte Ausbeutung durch fremdbestimmte Arbeit hinausreichende Enteignung des menschlichen Leibes für fremdnützige Zwecke. Wer die Physis zum Rohstoff erklärt, überantwortet sie der Totalität eines Verwertungsanspruchs von im Zweifelsfalle räuberischer Art.

Zudem haben von Hagens' Plastinate mit dem durchbluteten und bewegten Körper, über dessen Funktionen der Anatom mit seinen spektakulären Präparaten angeblich aufklären will, so gut wie nichts gemein. Daß diese dehydrierten und künstlich ausgehärteten Gewebestrukturen ein Leben repräsentieren sollen, das sich den Skalpellen, Sägen und Sonden desto wirksamer entzieht, je mehr diese dem Mysterium durch Schneiden und Präparieren auf den mikroskopischen Grund zu gehen versuchen, ist eine zumindest gewagte These. Wer vermutete, das in seine strukturgebenden Elemente zerlegte und von seinen beweglichen Anteilen befreite bioorganische Substrat des Körpers verriete über die längst erforschten medizinischen Nutzanwendungen hinaus irgend etwas anderes über den Menschen als etwa ein Steak über die Ohnmacht des Tieres, aus dem es herausgeschnitten wurde, scheint eben noch ein wenig länger in den Eingeweiden wühlen zu müssen, um seiner vulgärmaterialistischen Neugier Genüge zu tun.

10. März 2009