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KULTUR/0809: Die formierte Mediendemokratie ... braucht "Qualitätsjournalismus" (SB)



Der "Qualitätsjournalismus" soll in der Krise sein, weil die Verlagsbranche unter der Wirtschaftskrise, den kostenlosen Angeboten im Internet und der Beschleunigung des Nachrichtengeschäfts leidet. Diese immer wieder, so auch auf dem Fünften Herbstforum der Initiative Qualität im Journalismus am Montag in Berlin, zu vernehmende Behauptung zieht eine kausale Verbindung zwischen der Arbeit von Journalisten und ihrem kommerziellen Erfolg, bei der Ursache und Wirkung verwechselt werden. Das Schielen auf Auflagenzahlen und Klickraten wirkt sich auf die Arbeit von Autoren vor allem dahingehend aus, daß sie sich auf ein Zielpublikum hin orientieren und dessen Erwartungen im Zweifelsfall bedienen.

Unterstellt man einmal, daß mit Qualität im Journalismus die Bemühung um eine auf überprüfbare Fakten gestützte Berichterstattung, eine die gesellschaftlichen Bedingungen beim Namen nennende Analyse sowie schreiberisches Können gemeint sind, dann ist die Orientierung an den Erwartungen der Kunden Gift für diese Arbeit. Dies zeigt sich nicht nur an der Boulevardisierung vieler sogenannter Qualitätszeitungen, sondern vor allem an der dort vollzogenen, von der kritischen Analyse ausgenommenen Spiegelung gesellschaftlicher Machtverhältnisse.

Verlagskonzerne sind als meist börsennotierte Unternehmen vor allem darauf ausgerichtet, Gewinn zu generieren. Die Frage, wie sie dies tun, ist zweitrangig, so lange nur die Rendite stimmt. Das primäre Problem des anspruchsvollen Journalismus besteht schon einmal darin, daß die sich darin ausdrückende Fremdbestimmung nicht anders reflektiert wird denn als Beschwerde über die zusehends eingeschränkten Arbeitsbedingungen. Wenn, wie es in einer Presseerklärung der Initiative Qualität (IQ) vom 19. Oktober heißt, "Chefredakteure und Wissenschaftler mehr Spielraum für Recherche, Hintergrundberichterstattung, Analyse und Orientierung" fordern, dann wird der darin implizite Anspruch, mehr als der durchschnittliche Bürger dazu in der Lage zu sein, die die gesellschaftliche Entwicklung antreibenden Kräfte und Wirkungen zu identifizieren, schon dadurch negiert, daß die Auswirkungen kapitalistischer Interessen auf das schreibende Gewerbe keiner konsequenten Analyse unterzogen werden.

Bei dieser gelangten Wissenschaftler und Journalisten schnell zu dem Schluß, daß jede bis zu Ende vollzogene Aufklärung der gesellschaftlichen Bedingungen des Mediengeschäfts auf einen systemimmanent nicht zu brückenden Antagonismus zu den eigenen kommerziellen und beruflichen Interessen hinausläuft. Wer vom Schreiben auf eine Weise leben will, die sich von den prekären Erwerbsbedingungen der sogenannten digitalen Boheme abhebt, der wird die Interessen seiner Arbeitgeber zumindest nicht so konfrontativ herausfordern, daß er sie als Akteure der Kapitalmacht und Sachwalter des Klassenkampfs von oben exponiert. Die kapitalismuskritische Analyse des eigenen Gewerbes verbietet sich von selbst, weil sie nach Konsequenzen verlangte, die abhängig Beschäftigte nicht ziehen wollen.

Gerade der Beruf des Journalisten besitzt jedoch die besondere gesellschaftliche Relevanz, sich nicht nur als Produzent beliebiger Güter am Markt positionieren, sondern die Bedingungen marktförmiger Verwertung reflektieren zu wollen. Eben dies ist nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen möglich, wie etwa die Blindheit vieler Journalisten gegenüber der sich schon vor zwei Jahren ankündigenden Wirtschaftskrise belegt hat. Erst nach deren nicht mehr zu leugnender Aktualisierung verstummten die Bannerträger neoliberaler Dogmen und wandten sich neuen Deutungen des Geschehens zu. Unabhängige Tageszeitungen wie die junge Welt oder nichtkommerzielle Online-Publikationen hatten die Entwicklung längst antizipiert, als sich die sogenannten Intelligenzblätter noch als Sprachrohre von Staat und Kapital verdingten.

Die Vermeidung jeder triftigen, also auf die Transformation des zugrundeliegenden Verwertungssystems hinauslaufenden Analyse und Kritik setzt sich jedoch fort, indem nun die staatliche Alimentierung von Kapitalinteressen ebenso irreführend als staatsozialistisch kritisiert wie als unverzichtbar bestätigt wird. Bei Medienkonzernen angestellte Journalisten können keine Erkenntnise eröffnen, die die Wasserträgerdienste der eigenen Zunft exponieren. Die von ihnen in Anspruch genommene neutrale und objektive Sicht erweist sich als zweckdienliches Konstrukt, mit Hilfe dessen der Wahrheitscharakter eines Vermittlungszusammenhangs suggeriert werden soll, der sich vom Einfluß mächtiger gesellschaftlicher Akteure nicht freimachen kann.

Der Beruf des Journalisten läßt sich eben nicht auf das Handwerk des Schreibens oder die Kunstfertigkeit im Umgang mit Inhalten reduzieren. In der sogenannten Mediendemokratie ist der journalistische Akteur Mittler gesellschaftlicher Machtverhältnisse und als solcher schon deshalb Partei, als er diese im Sinn herrschender Interessen zu formieren versucht. So agiert das Gros der politischen Kommentatoren auf dem schmalen ideologischen Band der vier seit jeher etablierten Bundestagsparteien, für die sie, wie die häufig besonders "kritische", sprich abwertende bis hämische Berichterstattung über Die Linke zeigt, durchaus Partei ergreifen. Indem sie ihre Leser auf den breiten Konsens der politische Mitte orientieren, grenzen sie radikale Sichtweisen von vornherein aus, anstatt sie auf eine Weise zu diskutieren, die den Herrschenden nicht zwingend zuarbeiten muß.

Wenn derzeit viele politische Kommentatoren beanspruchen, man müsse die rassistischen Auslassungen Thilo Sarrazins vorurteilsfrei diskutieren, dann bestätigt sich der machtopportune Charakter ihrer Arbeit. Die Freiheit des Wortes wird immer nur dann eingefordert, wenn sie neokonservativen Verschiebungen des gesellschaftlicher Koordinatensystems dient. Das damit verbundene Angehen gegen "Gutmenschen" oder die "politische Korrektheit" richtet sich stets gegen eine angebliche linkslastige Meinungshegemonie, von der schon lange keine Rede mehr sein kann. Läßt man die Kommentare zur Sarrazin-Debatte in den bürgerlichen Zeitungen der Republik Revue passieren, dann zeigt sich, daß das Versagen bei der sachgerechten Analyse der Wirtschaftskrise fugenlos in die Zementierung der kapitalistischen Klassengesellschaft umgemünzt wird. Die aus der Krise zu ziehende Lehre besteht in der Verknappung von oben nach unten umzuverteilender Mittel bei Ausbau repressiver Strukturen.

Das mag für die sogenannte linksliberale Presse nur bedingt gelten, doch auch dort ist den Journalisten das eigene Wohl näher als das Elend der Menschen, die in dieser Gesellschaft zusehends unter die Räder geraten. Wie die Sarrazin-Debatte gezeigt hat, arbeitet man sich an den Folgen der Widerspruchsregulation ab, anstatt die grundlegende soziale Malaise auf eine Weise in Angriff zu nehmen, die nicht davor zurückschreckt, den gesellschaftlichen Konflikt unter Einbeziehung aller davon Betroffenen auch auszutragen.

Der Anspruch auf "Qualitätsjournalismus" erweist sich mithin als Ausflucht, die ohnehin gegebene Parteilichkeit nicht eingestehen zu müssen und hinter einer Objektivität zu verbergen, die sich bei genauer Analyse der Themenauswahl, der inhaltlichen Gewichtung und semantischen Akzentuierung als Mittel herrschaftskonformer Konsensproduktion erweist. In Anbetracht des von Kapital- und Klasseninteressen bestimmten gesellschaftlichen Gewaltverhältnisses ist ein Journalismus gefragt, der seinem Anspruch als Korrektiv sozialer Widersprüche durch kritische Parteinahme für diejenigen gerecht wird, die über keine Stimme verfügen. Anstatt in Konflikten, in denen sich leicht Partei für die vermeintlich Schwächeren ergreifen läßt, weil diese, wie etwa an der breiten publizistischen Kampagne gegen die Politik der jugoslawischen Regierung im Kosovo zu studieren, Schachfiguren in den Händen mächtiger globaler Akteure sind, Kritik bloß zu simulieren, wäre im Sinne des beanspruchten journalistischen Berufsethos die unbequeme Position auf der Seite der tatsächlich Unterlegenen zu beziehen, was im besagten Fall dazu hätte beitragen können, daß die NATO keinen völkerrechtswidrigen Krieg führte.

Das ist aufgrund der Abhängigkeit des Journalisten von der Sicherung seiner ökonomischen Existenz wie der Honorierung systemopportuner Arbeit durch das dafür gewährte Renommee nicht zu erwarten. Die formierte Mediendemokratie braucht "Qualitätsjournalismus", weil sie sich die beanspruchte publizistische Freiheit nicht wirklich leisten kann. Bessere Arbeitsbedingungen werden nichts daran ändern, daß die Journalisten unter der Kuratel von Verlegern stehen, die die publizistische Generallinie ihrer Blätter stets so bestimmen, daß ihren Interessen zumindest nicht auf kontraproduktive Weise entgegengewirkt wird.

21. Oktober 2009