Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KULTUR/0813: Broders Possenspiel ... je lustiger, desto gravierender für die Betroffenen (SB)



Henryk M. Broder hat seine mit großem Tamtam erklärte Kandidatur für den Vorsitz des Zentralrats der Juden in Deutschland mit der Erklärung zurückgenommen, er sei "weder größenwahnsinnig noch vergnügungssüchtig" (Spiegel Online, 31.10.2009). Erst überzog er die führenden Funktionäre des deutschen Judentums mit Schmähungen und Spott, dann konterte er darauf erfolgende Reaktionen wie die des Zentralrats, der die angekündigte Kandidatur als "lustige Fantasie" abtat, mit der Behauptung, es handle sich keineswegs um einen Scherz. In einer neuerlichen Wendung bereitet er dem durch seinen Affront entfachten Mediengetöse auf vermeintlich scherzhafte Weise ein Ende und entlockt seinen Bewunderern für diese natürlich von Anfang an als Parodie auf die verkrusteten Verhältnisse dieser Gesellschaft gemeinte Selbstinszenierung pflichtgemäßen Beifall.

Nun hat Broder das Zustandekommen seiner Absicht in einem eigenen Beitrag im Spiegel noch einmal als, je nach Geschmack, besseren oder schlechteren Scherz dargestellt, der ihm quasi aus Langeweile während einer Autofahrt eingefallen sei. Der Ressortleiter Kultur des Spiegels, Romain Leick, ist im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur (02.11.2009) voll des Lobes über diesen angeblichen "Meister der subversiven Provokation". Leick behauptet, sein Kollege habe damit "ein Stück Aufklärung" leisten und eine Debatte über die Notwendigkeit einer Reformierung des Zentralrats in Gang setzen wollen.

Die "unangenehmen Wahrheiten", die Broder Leick zufolge dem Zentralrat mit seiner Aktion mitgeteilt habe, beschränkten sich allerdings auf persönliche Attacken von inhaltlich beliebiger, dafür aber persönlich durchaus schmerzender Art. Was dem Spiegel-Journalisten Leick zufolge "nicht wirklich verletzend" gewirkt habe, hört sich niemand, und öffentlich schon gar nicht, gerne an. Der Versuch des Zentralrats, seinen schalkhaften Kritiker nicht weiter ernst zu nehmen, hat Schwäche und Verwundbarkeit erkennen lassen, überließ er Broder doch ohne Not das ganze Feld, wo er ungestört zu Lasten der von ihm Angegriffenen seine Kapriolen schlagen konnte.

Indem Broder den Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, zum Rücktritt aufforderte, weil er Thilo Sarrazin in eine Reihe mit führenden Nazis gestellt hat, gab er zu erkennen, daß er keinen Einwand gegen die keineswegs nur migrantenfeindliche, sondern sozialrassistische und eugenische Hetze des Bundesbankers hat. Indem Broder sich jede Kritik am Zentralrat ersparte, die dessen Umgang mit antizionistischen Kritikern insbesondere innerhalb des Judentums betrifft, dokumentierte er, daß es sich bei dem von ihm aufgezäumten Streit um ein Produkt seiner persönlichen Eitelkeit handelt. Es gäbe, wenn man etwa die vorbehaltlose Verteidigung der israelischen Regierungspolitik durch dieses Gremium nimmt, zweifellos viel an der Politik seiner Spitzenfunktionäre zu beanstanden. Eben das wollte Broder keinesfalls, hätte er sich damit doch ins Fleisch seiner eigenen Interessen geschnitten.

An Broders Provokationen wird vor allem eins deutlich - Witze gehen immer zu Lasten dessen, der mit ihnen zum Objekt der Unterhaltung gemacht wird. Wer nicht schlagfertig genug ist, es dem Scherzbold mit kostspieligerer Münze heimzuzahlen, dem bleibt im besten Fall übrig, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Wer einmal einer Diskussion mit dem Publizisten gelauscht hat, merkt schnell, daß seine angebliche Meisterschaft vor allem im schnellen Austeilen von Beleidigungen besteht, die den Betroffenen, sollte er auf diese Aggression angemessen reagieren, zielgerichtet in die Ecke des humorlosen Spielverderbers manövrieren. Jede Spitze wird mit einem Lächeln und Schmunzeln vorgetragen, so daß eine äquivalenten Antwort schlicht als übertrieben erschiene. Broders Sozialstrategie bewegt sich bei allem intellektuellen Anschein auf der Ebene anzüglicher Kumpanei, der sich nicht auszusetzen Isolation zur Folge hat.

Daß Broder seine Eskapaden unter Beifall eines Teils der Öffentlichkeit machen kann und ein so großes Publikum wie das der Spiegelleser findet, unterstreicht den herrschaftskonformen Charakter seiner Bezichtigungen. Diese werden mitunter vor Gericht ausgetragen, was zeigt, daß die mit vermeintlich harmlosen, weil bloß rhetorischen Attacken belegten Opfer durchaus Schaden davontragen können. Als professioneller Hofnarr des Spiegels nimmt sich der Publizist keineswegs heraus, den wirklich Mächtigen unangenehme Wahrheiten ins Ohr zu flüstern. Er erwirtschaftet sein Salär viel mehr auf dem Rücken vermeintlich antiquierter Institutionen und überkommener Gesinnungen, die er einer liberalistischen Radikalkur aussetzt, nach deren Abschluß die größeren Räuber noch rücksichtsloser auf Kosten ihrer Opfer leben können.

2. November 2009