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KULTUR/0844: "24" ... Jack Bauer geht, der Ausnahmezustand bleibt (SB)



Jack Bauer verabschiedet sich von Chloe, seiner in allen Lebens- und Sterbenslagen treuen Computerassistentin, und geht in den Sonnenuntergang hinein. Nach acht Staffeln und 192 Episoden ist die TV-Serie "24" ausgelaufen und hinterläßt ein Millionenpublikum, das neun Jahre lang mitfieberte, wenn der notorische Einzelkämpfer Bauer die Welt im allgemeinen und die USA im besonderen rettete. In jeder Staffel werden jeweils 24 Stunden im Leben des von Kiefer Sutherland gespielten Antiterroragenten Jack Bauer in sogenannter Echtzeit dargestellt. Der immense Handlungsdruck wird der Simulation des Live-Erlebnisses, das kein Vorher und Nachher kennt, so daß der im Handlungsverlauf aufgehende Ereignishorizont den Zuschauer mit strukturell stets gleichartigen Zwangslagen vor sich her treibt, gemäß in einem gesellschaftlichen Vakuum von ahistorischer und apolitischer Eindimensionalität entfacht.

Konzipiert und produziert wurde die erste Staffel noch vor dem 11. September 2001, um ab dem 6. November 2001 im aufgewühlten Klima eines Terrorkriegs, der der Serie auf den Leib geschrieben zu sein schien, ausgestrahlt zu werden. Wie kein anderes TV-Spektakel hat "24" sich im Globalen Krieg gegen den Terrorismus eingerichtet, um ihn aus der Sicht der vermeintlich angegriffenen USA nicht zu reflektieren, sondern als Indoktrinationsinstrument zu führen. Die New York Times kürte "24" zum führenden Produkt eines Post-9/11-Genres, des "National Security Thrillers". Die vom neokonservativen Murdoch-Sender Fox TV produzierte Fernsehserie verkaufte den Terrorkrieg nicht nur als platte Propaganda, sondern konditionierte das Publikum ideologisch auf die Unzulänglichkeit rechtsstaatlicher Regeln und deren Überwindung durch die totale Ermächtigung der Exekutive.

In der Person des Bundesagenten Jack Bauers kulminiert die Institution des Staatschutzes zur unbeschränkten Staatswillkür. Die Sicherung der herrschenden Ordnung legitimiert letztlich jede Gewaltanwendung. Wo das Überschreiten aller Grenzen wie der des Folterverbots, der Hinrichtung eines eigenen Beamten im Rahmen einer Schadensabwägung oder der Vertuschung der Beteiligung des Präsidenten an einem Mord zur alternativlosen Vorgehensweise der immanenten Sachzwanglogik gerät, bleibt das, was mit dem hemmungslosen Durchmarsch exekutiver Gewalt angeblich geschützt werden soll, auf der Strecke seiner Durchsetzung. Was bleibt, ist das Primat einer Ermächtigung, die keiner Rechtfertigung bedarf, weil die Massivität des terroristischen Angriffs jeden Gedanken daran überflüssig erscheinen läßt. In der machiavellistischen Ratio, der jedes Mittel recht ist, fallen nationale Sicherheit und diktatorische Ermächtigung in eins. Keine Unterhaltungsprogramm hat deutlicher gezeigt, worauf der Terrorkrieg in seiner Essenz hinausläuft.

So kommt der Folterung von Verdächtigen ein zentraler Platz in der Dramaturgie zu. Alle Plots bestehen im wesentlichen in einem hektischen Wettlauf der US-Regierung und ihrer Sicherheitsbehörden gegen jene tickende Zeitbombe, die Folterapologeten schon lange vor dem 11. September 2001 als Kardinalargument für die Anwendung schmerzhafter Methoden zur Aussageerpressung diente. So verkörpert etwa die Absicht fanatisierter Muslime, in Los Angeles eine Atombombe zu zünden, den ultimativen Sachzwang, demgegenüber alle rechtlichen oder moralischen Bedenken zurückzutreten haben.

Doch nicht nur im rassistischen Kontext des Terrorkriegs eindeutig markierte Feinde geraten unter die Folter. Deren Qualifikation zur universalen Ermittlungsmethode verlangt, daß sogar nächsten Angehörigen hoher Funktionsträger Schmerzen zu gefügt werden, um ihre Zuverlässigkeit zu überprüfen. So wird in der vierten Staffel an einem erklärten Kriegsgegner, der gleichzeitig Sohn des amtierenden US-Verteidigungsministers ist, die defätistische Haltung US-amerikanischer Regierungskritiker exemplarisch abgehandelt. Da der Minister bei einem Treffen mit seinem Sohn entführt wurde, vermuten die Sicherheitsbehörden, daß er Informationen über die Begegnung mit seinem Vater weitergegeben hat. Er verweigert die Zusammenarbeit mit den Terrorfahndern und wird mit "nichtinvasiven" Mitteln - die Unterstellung der damaligen US-Regierung, daß es sich bei bestimmten Verhörmethoden wie sensorischer Deprivation oder dem Erzeugen von Todesangst nicht um Folter im eigentlich Sinne handle, läßt grüßen - traktiert.

Während die Nöte des mit Schall- und Lichtsensationen bearbeiteten Kriegsgegners demonstrieren, warum die internationale Folterkonvention keinen Zweifel daran läßt, daß auch derartige Mittel den Tatbestand der Folter erfüllen, wird das Vorgehen der Sicherheitsbeamten durch das Einverständnis Hellers mit der Anwendung dieser Methode am eigenen Sohn vollends legitimiert. Überzeugender könnte die moralische Größe dieses Alter Egos Donald Rumsfelds, seinem Fleisch und Blut aus Gründen der nationalen Sicherheit eine Sonderportion Tough Love zu verabreichen, nicht illustriert werden. Der Wille zur Grausamkeit kann vor der eigenen Familie oder den eigenen Freunden nicht halt machen, wenn es die Staatsräson erfordert, dies wird in der Serie nicht nur an diesem Beispiel vorgeführt. So wird eine fälschlicherweise verdächtigte Mitarbeiterin der Antiterrorbehörde CTU gefoltert, erklärt sich nach der Aufklärung des Irrtums jedoch bereit, in Anbetracht der akuten Krisensituation weiterhin ihre Arbeit zu verrichten.

Der mit der Freundin Jack Bauers in Scheidung lebende Ehemann wird von dem CTU-Agenten gefoltert, weil sein Name im Zusammenhang mit den Ermittlungen aufgetaucht ist. Anschließend entschuldigt sich der mit elektrischem Strom gequälte Mann bei seiner Frau, die ihn mit Hilfe eines sehr persönlichen Täuschungsmanövers ihrem Freund ausgeliefert hat, dafür, daß er leichtfertig gehandelt und sie dadurch in Gefahr gebracht habe. Er nimmt seinem Peiniger die ihm angetanen Qualen nicht etwa krumm, sondern gelangt zu der Einsicht, daß er sich mit seiner anfänglichen Aussageverweigerung kontraproduktiv verhalten hat. Um dies wieder gutzumachen, unterstützt er Bauer beim Verfolgen der Spur zum Terrorkomplott, wobei er, dieses Mal von Kollaborateuren der Terroristen, erneut gefoltert wird. Obwohl die dabei angewendeten Mittel noch zerstörerischer sind als die von Bauer verwendete Elektrofolter, schafft er es, die Information, die ihm abgepreßt werden soll, für sich zu behalten. Dafür gibt es nach überstandener Tortur ein ausdrückliches Lob des Spezialisten Bauer, was nahelegt, daß die Folterung eines Unschuldigen auch als Training für den Ernstfall verstanden werden kann.

Mit derartigen Szenen fördert "24" das Verständnis beim Publikum, daß auch der Staatsschutz irren kann, aber aufgrund des in Anspruch genommenen Sachzwangs der "tickenden Bombe" dazu gezwungen ist, Unschuldige zu foltern. Handelt es sich um Mitarbeiter des eigenen Apparats oder Angehörige, dann erhält die Folter geradezu den Charakter eines Loyalitätstests. "24" hat mit Handlungsverläufen, in denen auf emotionale Weise aneinander gebundene Menschen sich durch äußere Zwangslagen als Folterer und Folteropfer gegenübertreten, eine zeitgemäße Ethik exekutiver Willkür formuliert. Das auf humanistischen Prinzipien basierende Menschenbild muß, dem alle gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse regierenden Dogma der nationalen Sicherheit gemäß, einer Verantwortungsethik weichen, ohne die der Terrorkrieg nicht erfolgreich geführt werden kann.

Dies wird exemplarisch in einer Folge der Serie dargestellt, in der ein Terrorverdächtiger eine Organisation namens Amnesty Global einschaltet, um sich gegen die groben Methoden der Terrorjäger zu schützen. Die Organisation schickt ihren Anwalt mit einer richterlichen Anordnung in die CTU-Zentrale, die besagt, daß er beim Verhör zugegen sein soll, um zu verhindern, daß die Rechte des Gefangenen verletzt werden. Da der US-Präsident, in dieser Staffel ein opportunistischer, immer auf den eigenen Vorteil bedachter Charakter, keine Sondererlaubnis zur Folterung des Gefangenen erteilen will, droht Jack Bauer dem daraufhin entlassenen Gefangenen auf dem Parkplatz des CTU-Gebäudes erfolgreich an, ihm solange einen Finger nach dem anderen zu brechen, bis er die gewünschte Information preisgibt.

Einmal mehr beweist "24", daß das Folterverbot allein Terroristen nützt und sich insbesondere derjenige um Volk und Vaterland verdient macht, der sich selbst unter Inkaufnahme persönlicher Nachteile über das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit hinwegsetzt. Die Amnesty International nachempfundene Bürgerrechtsorganisation hingegen erscheint als Risiko für die nationale Sicherheit, wie der in ihrem Namen auftretenden jüdische Anwalt belegt, der als unsympathischer Vertreter eines angeblich überkommenen Rechtsverständnisses gezeichnet wird. Ein bei der CTU arbeitender Analytiker, der seine Mutter durch einen terroristischen Anschlag verlor, sieht, wie der Terrorverdächtige entlassen wird, und läßt seiner Empörung freien Lauf. "Dieses Schwein" hätte er am liebsten selbst einmal in die Finger bekommen - die Wut über den Mißstand, daß einem Terrorverdächtiger durch geltendes Recht zur Freiheit verholfen wird, kann der Zuschauer ebenso nachempfinden, wie sich der Drang, mit physischer Gewalt einen Durchbruch zu erzielen, auf ihn überträgt.

Legitimiert werden derartige Entwicklungen im Nebenherein. Wenn Jack Bauer einem seiner Folteropfer, ein Mann orientalischer Herkunft, eröffnet, wie sehr er ihn dafür hasse, daß er ihn dazu zwinge, ihm dies anzutun, ist die Schuldfrage abschließend geklärt. Der Gefolterte selbst trägt die Verantwortung für seine Tortur, könnte er die drohende Katastrophe doch durch die Preisgabe des Ortes, an dem die Bombe liegt, verhindern. Wenn ein als besonders menschenfreundlich gezeichneter US-Präsident einen Untergebenen foltern läßt, der allem Anschein nach in eine Verschwörung gegen ihn verstrickt ist, und dies per Videoübertragung anschaut, dokumentiert das keinen Hang zur Grausamkeit, sondern Pflichterfüllung im höchsten Staatsamt. Das Übernehmen von Verantwortung tritt als Akt der Ermächtigung in Erscheinung und hebt so auf das Diktum des NS-Kronjuristen Carl Schmitts ab, daß sich als Souverän erweist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Führungsstärke bemißt an der Bereitschaft, den Staatsnotstand auch informell zu praktizieren. Dies wird in "24" nicht nur am Beispiel der Folter vorgeführt, sondern kennzeichnet das dezisionistische Profil der politischen Entscheidungsträger in fast jeder Situation.

Wer der Logik der Handlungsentwicklung folgt, die durch das Interagieren mehrerer zeitgleich verlaufender Handlungsstränge, deren simultane Entwicklung zwischendurch am Split-Screen dokumentiert wird, und die Aktualität des Live-Charakters mit suggestiver Gewalt vorangetrieben wird, hat der schrankenlosen Gewaltanwendung durch den Staat nichts entgegenzusetzen. Fragen zur Relevanz der fiktionalen Handlung kommen ebensowenig auf wie Überlegungen, ob das Problem terroristischer Anschläge nicht einer ganz anderen Ratio folgt als der unterstellten. Bei "24" geht es ausschließlich um die Zurichtung des Publikums auf die Akzeptanz und Gutheißung eines staatlichen Gewaltmonopols, das demokratischen und legitimatorischen Zwängen so weitgehend wie möglich enthoben ist, um seiner angeblichen Aufgabe nachzukommen, den Bürger zu schützen.

Der Plot entwickelt sich in einer Aneinanderkettung von Notstandsmaßnahmen und deren ex post-Legitimation durch die weitere Handlungsentwicklung, wodurch sich die Treffsicherheit der Gewaltorgane beim Zuschauer zu empirischer Gewißheit verdichtet. Nachdem sein Glaube an die Notwendigkeit demokratischer Legitimation durch die sich strukturell immer wieder reproduzierenden Handlungsnotstände genügend erschüttert wurde, verwandelt sich die Triftigkeit widerrechtlicher Maßnahmen in die Antizipation einer außerrechtlichen Norm staatlichen Handelns in Zeiten des Terrorkriegs.

Um so gründlicher wird beim Publikum der Verdacht genährt, daß demokratische Institutionen und rechtsstaatliche Regeln ein schwerwiegendes Hindernis im globalen Überlebenskampf darstellen. Die Kontamination der Sympathieträger mit den grausamen Praktiken, die ursächlich den Terroristen zugewiesen werden, gerät auf diese Weise zu einem heroischen Akt. Wer im Einsatz für das Gute, das in "24" als die Größe der eigenen Nation, das Los der unschuldigen Bevölkerung oder die Freuden menschlicher Nähe symbolisch in Szene gesetzt wird, die Methoden des Agressors übernehmen muß, erweist sich gerade deshalb, weil er diesem Widerspruch nicht ausweicht, als wahrhaft menschlich. Das Notstandsprimat reguläre Konventionen und Gesetze überwindender Handlungsgewalt gebiert den Mythos des neuen Helden, den niemand liebt, auf den aber auch niemand verzichten will.

So wird der Mangel, den der Imperiumstheoretiker Herfried Münkler diagnostiziert, wenn er die Fähigkeit einer Nation, Krieg zu führen, durch das postheroische Selbstverständnis heutiger Gesellschaften eingeschränkt sieht, durch die Glorifizierung des postmodernen Antiterrorkämpfers behoben. Wo der klassische Kriegsheld, der sich in großen Feldschlachten bewährte und bei seiner Heimkehr für den Dienst an Volk und Vaterland mit Orden überhäuft wurde, aufgrund des irregulären, häufig geheimen Charakters heutiger Kriegführung kaum noch vorzuzeigen ist, da wird telemedialer Ersatz an der schmutzigen Front des Terrorkriegs geschaffen. So sehr Protagonist Jack Bauer durch widrige Umstände, mißgünstige Vorgesetzte und verständnislose Frauen zermartert wird, so sehr ist ihm das Wohlwollen und die Bewunderung des Zuschauers sicher.

Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights First hat 2007 die inflationäre Zunahme von Folterszenen, die in den USA zur besten Sendezeit in TV-Serien und Kinofilmen gezeigt werden, untersucht. Im Jahr 2000 wurden 42 Szenen gezeigt, in denen das Quälen von Menschen zwecks Aussageerpressung im Mittelpunkt stand, im Jahr 2003 waren es bereits 228. Vor allem jedoch hat sich die Bewertung der Folter grundlegend verändert - waren es früher zumeist die Bösewichte, die sich mit grausamen Methoden an Gefangenen vergingen, so sind es heute die Sympathieträger und Helden. Mit 67 Folterszenen, in denen eine Vielzahl verschiedener Foltermethoden angewendet werden, während der ersten fünf Staffeln ließen die Macher von "24" keine Gelegenheit aus, die Unerläßlichkeit des Quälens sogenannter Terrorverdächtiger zu propagieren.

Das rief selbst Mitglieder der US-Streitkräfte auf den Plan. Anfang 2007 versuchten einige Ausbilder der US-Militärakademie West Point vergeblich, die Macher der TV-Serie "24" zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit dem Thema zu veranlassen. Sie berichteten ihnen, daß "24" bei den US-Truppen im Irak sehr populär wäre und daß bei Vernehmungen von Gefangenen versucht würde, die dort beobachteten Foltermethoden nachzumachen. Die Militärausbilder erinnerten daran, daß die heute im Irak eingesetzten Soldaten zum Start der Serie im Jahr 2001 etwa 14 Jahre alt waren, also mit "24" aufgewachsen sind. Das trage erheblich dazu bei, daß die Soldaten kein Unrechtsbewußtsein mehr hätten, wenn sie bei Verhören folterten oder Iraker in anderen Situationen brutal behandelten.

"24"-Produzent Joel Surnow machte demgegenüber geltend, daß die Soldaten seine Serie nicht benötigten, um darauf zu kommen, wie man Menschen zu bestimmten Aussagen nötigt. "Was der menschliche Geist sich vorstellen kann, ist so viel größer als das, was wir im Fernsehen zeigen", schwadronierte Surnow und führte zudem an, daß Folter, anders als die Militärausbilder behaupteten, sehr wohl funktioniere, das heißt zu relevanten Ermittlungsergebnissen führe.

Es kann also nicht verwundern, daß der slowenische Philosoph Slavoj Zizek die Macher von "24" als "Himmlers von Hollywood" titulierte. Der negative Einfluß der TV-Serie auf die Entwicklung der Bürgerrechte in den USA ist beträchtlich, wie Michael Ratner, Vorsitzender der US-Bürgerrechtsorganisation Center for Constitutional Rights (CCR), im November 2009 gegenüber dem Schattenblick bestätigte:

"In Fragen der Sicherheitsideologie in den USA haben wir aufgrund von Sendungen wie '24' die öffentliche Debatte verloren. Ich glaube nicht, daß das irgendwie in Zweifel steht. Die Mehrheit der Amerikaner würde - abstrakt gefragt - möglicherweise antworten, daß sie gegen Folter ist. Wenn man sie aber fragt, ob Osama Bin Laden gefoltert werden sollte, um herauszufinden, wann und wo der nächste Angriff stattfinden wird, also wenn man es so in Worte faßt, denke ich mal, wären die meisten Leute dafür. Diese Terrorkriegsideologie, die von unseren Medien ununterbrochen verstärkt wird, macht es Menschen der unteren sozialen Klassen sehr schwer, das notwendige Bewußtsein dafür zu erlangen, daß sie sich organisieren müssen." [1]

Doch nicht nur das Publikum des "Unterschichtenfernsehens" nimmt "24" für bare Münze, wie Antonin Scalia, Richter am Obersten US-Verfassungsgericht in Washington, 2007 auf einer internationalen Juristentagung im kanadischen Ottawa bewies. Nachdem ein kanadischer Kollege mit einem Stoßseufzer der Erleichterung seiner Dankbarkeit dafür Ausdruck verlieh, daß "die Sicherheitsbehörden all unserer Länder nicht das Mantra unterschreiben 'Was würde Jack Bauer tun?'", verwahrte sich Scalia gegen dieses Angebot zum Konsens der Rechtsstaatlichkeit. Er begründete seine Forderung, Bundesagenten in Krisenzeiten erhebliche Handlungsvollmachten wie das Foltern von Terrorverdächtigen zuzugestehen, mit dem Argument, daß Jack Bauer Los Angeles und damit Hunderttausende von Menschenleben gerettet hätte. Wer von den anwesenden Richtern wolle Bauer wohl dafür verurteilen, das Richtige getan zu haben, fragte Scalia provokant in die Runde und stellte sich damit ohne Abstriche hinter die Grundaussage der Erfolgsserie, daß Rechtssicherheit in Krisenzeiten entbehrlich ist.

Jack Bauer hat nicht nur exekutive Gewalt in ihrer aggressivsten Form verkörpert, er hat vor allem den Ausnahmezustand zur besseren, weil wirkmächtigeren Form staatlichen Handelns erklärt. Dem Zuschauer wird suggeriert, daß es für eine erfolgreiche Bekämpfung des Terrorismus unabdinglich sei, exekutive Organe mit extralegalen Sondervollmachten auszustatten und Eigenmächtigkeiten der Regierung auch bei nichterklärtem Staatsnotstand zu akzeptieren. Da das Böse sich an keine Regel hält, kann der Staat dies auch nicht tun, so daß demokratisches und rechtsstaatliches Prozedere im gleichen Augenblick, in dem es angeblich verteidigt werden soll, aufgehoben wird.

"24" ließ den Zuschauer an einer Welt voller gelebter Ambivalenz teilhaben und gab ihm eine Erklärung dafür an die Hand, wieso ein Leben im Widerspruch zwischen Selbst- und Fremdbestimmung gerade dann lebenswert ist, wenn man nicht danach trachtet, der Möglichkeit einer widerspruchsfreien Existenz auf den Grund zu gehen. Angeboten wird das Glück bürgerlicher Bescheidenheit, das zu erlangen nur dann möglich ist, wenn man keine Fragen stellt, die über die alltäglich zu gewährleistende Bestandssicherung hinausgehen, sondern sich dem Zwang nahtlos ineinander greifender Anforderungen beugt. Daß politische Mißstände Anschläge produzieren könnten, ist unter diesen Umständen völlig ausgeschlossen. Was bleibt, ist die Permanenz eines nichterklärten, durch die Feindbildproduktion der Terrorpropaganda hemmungslos überdeterminierten und so im beanspruchten Sinne anlaßlosen Ausnahmezustands.

Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0031.html

17. Juni 2010