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KULTUR/0871: Jean-Luc Godard - Ehren-Oscar für einen Dissidenten des Kinos (SB)



Was immer das Board of Governors of the Academy of Motion Picture Arts and Sciences getrieben haben mag, dem Regisseur Jean-Luc Godard einen Ehren-Oscar für sein Lebenswerk zu verleihen, es wird ihnen in den USA kaum gedankt. Insbesondere seit bekannt geworden ist, daß der Preisträger der Zeremonie in Los Angeles am 13. November fernbleiben wird, lastet man ihm sein Eintreten für die Sache der Palästinenser und seine antizionistische Haltung an. Zwar hat das Oscar-Komitee vorsorglich Bernardo Bertolucci, Martin Scorsese, Steven Soderbergh und Quentin Tarantino als Adepten des künstlerischen Schaffens Godards aufgelistet und damit nur einen kleinen Ausschnitt all jener Regisseure erfaßt, die ihn auf diese oder jene Weise als maßgeblichen Einfluß auf ihre Arbeit würdigen. In Anbetracht der beim breiten Publikum kaum bekannten Filme Godards und seiner intensiven Auseinandersetzung mit herrschaftskritischen Fragen scheint seine Anprangerung als notorischer Antisemit zumindest einigen Journalisten das probate Mittel zu sein, sein gesellschaftskritisches Lebenswerk als Produkt haßerfüllter Verblendung zu denunzieren.

Der 79jährige Praktiker wie Theoretiker des avantgardistischen Kinos hat in der ihn zeitlebens umtreibenden Auseinandersetzung mit Staat und Gesellschaft, Krieg und Frieden, Kolonialismus und Widerstand seit jeher am linken Rand der etablierten Kulturproduktion gestanden und sich mit der Tatsache, daß er mit einem von antagonistischen Interessen dominierten Medium arbeitet, in seinen Filmen intensiv auseinandergesetzt. Seinen Ruf als Exponent der Nouvelle Vague begründete er in den frühen sechziger Jahren mit innovativen Kinofilmen, die in einer Zeit relativer kultureller Offenheit noch einem größeren Publikum zugänglich gemacht wurden, während sie heute nur noch in Programmkinos zu sehen sind. Die in Filmen wie Weekend, Le Mépris oder Alphaville geübte Kulturkritik radikalisierte sich während der in Frankreich besonders heftig geführten Kämpfe der 68er-Bewegung, an der der Marxist Godard mit einem dezidiert revolutionären Selbstverständnis unmittelbar teilhatte.

Der anschließend im Rahmen der Dziga-Vertov-Gruppe unternommene Versuch einer klassenkämpferischen Politisierung des etablierten Kinos scheiterte selbst bei dem 1972 uraufgeführten Film Tout Va Bien, obwohl im 35mm-Kinoformat gedreht und mit illustren Stars wie Jane Fonda and Yves Montand besetzt, am zügigen Verfall des revolutionären Elans der 68er-Bewegung. In dieser Phase wurde auch das Filmprojekt Jusqu'à la victoire begonnen, für das Godard und sein Mitstreiter Jean-Pierre Gorin, Sohn jüdischer Kommunisten, im Juni 1970 auf Einladung der PLO in den Libanon, nach Syrien und Jordanien reisten, um eine Dokumentation über den palästinensischen Befreiungskampf zu drehen. Nachdem die meisten der von ihnen aufgenommenen Kämpfer bei der Niederschlagung des Aufstands in Jordanien im September 1970 getötet worden waren, wurden die Dreharbeiten eingestellt. Das dabei entstandene Material bildete die Grundlage für den vier Jahre später produzierten Filmessay Ici et ailleurs (Hier und woanders), den Godard zusammen mit Ann-Marie Mieville herstellte und der im September 1976 erstmals aufgeführt wurde. Diese Produktion, in der sich der Regisseur, wie ihm nicht wenige Filmtheoretiker attestieren, auf besonders tiefgründige Weise mit seinem Medium auseinandersetzt, während Wikipedia Deutschland sie in Godards Filmografie ebenso unerwähnt läßt wie sein Eintreten für die Sache der Palästinenser [1], wird gerne heranzitiert, um den Vorwurf des Antisemitismus zu untermauern.

Mit Hilfe der Montage von Textfragmenten, Fotos, Fernsehbildern und Tonspuren, die auf vielfältige Weise gegeneinanderstellt wie miteinander verbunden werden, lädt der Film zur intensiven Reflexion nicht nur über die Vergeblichkeit des palästinensischen Kampfes, sondern über die nichtvorhandene Position des Menschen im Strudel ihn bedingender Gewalten ein. Der Titel gibt die Grundachse der Betrachtung programmatisch vor - "hier" ist eine in gesellschaftlichen Widersprüchen gefangene französische Familie zu sehen, die meist vor dem Fernseher sitzt, "woanders" führen Palästinenser einen Kampf, der nur wenig später in eine blutige Tragödie mündet. Die anderen, das "woanders" unseres "hier", zu verstehen gelingt, wenn man "hier" zu sehen lernt, ist eine der zentralen Aussagen des Films.

Dies betrifft zum einen den Zusammenhang zwischen der eigenen kapitalistischen Vergesellschaftung und in aller Welt ausgetragenen Konfrontationen, die Godard und Mieville anhand assoziativer Überblendungen und Gegenüberstellungen zeitgeschichtlicher Personen wie Henry Kissinger, Leonid Breschnew, Richard Nixon, Moshe Dayan, Golda Meir und Adolf Hitler sowie kriegerischer und massenmörderischer Eskalationen vom Zweiten Weltkrieg bis zum Vietnamkrieg aufzeigen. Zum andern geht es um die Produktion des Films selbst, der die Ereignisse des Schwarzen September vier Jahre zuvor aus der Sicht der Überlebenden Revue passieren läßt. Diese fühlen sich nun nicht mehr dem ursprünglich geplanten Titel "Bis zum Sieg" verpflichtet, sondern werfen zwischen "Hier und anderswo" die Frage nach dem Einfluß der Bilder und Töne auf die Wirklichkeit des Betrachters auf.

Mit den dramaturgischen Mitteln kontrastreicher Bild- und Toncollagen, in denen bisweilen völlig konträre Szenen auf den gemeinsamen Nenner ihrer möglichen Vereinbarkeit gebracht werden, der Einspielung geschriebener, in variablen Arrangements neue Bedeutungen hervorbringender Worte, der Verknüpfung der Szenen mittels eines von großen Schaumstoffbuchstaben gebildeten "und" respektive ihrer Abtrennung mittels einer Schwarzblende, und einem aus dem Off gesprochenen Text, in dem zentrale Passagen auf fast mechanische Weise wiederholt und schrittweise erweitert werden, um die Unabdinglichkeit der getroffenen Postulate zu unterstreichen, werden Assoziationen hervorgerufen, deren Gehalt sich einer vordergründigen, auf das Spektakel medialen Konsums abonnierten Rezeption verschließt. Der zur schnellen Diffamierung der politischen Positionen Godards und Mievilles reizende plakative Charakter einzelner Ton- und Bildelemente steht viel mehr für das laute Dröhnen einer in ihrer disparaten Vielfalt verstörenden Beschallung, die zu durchdringen dem Betrachter hochgradige Aktivität und vor allem, wie an einer Stelle gesagt, das Stellen der angemessenen Fragen und nicht das Warten auf die richtigen Antworten abverlangt.

So kreist Ici et ailleurs um das Problem einer Vermittlung politischer Inhalte, die im ersten Schritt in ihrer Konzeption, die Übertragung sozialistischer Revolutionen Europas auf den antikolonialen Befreiungskampf der Gesellschaft eines anderen Kulturkreises, die von den Folgen eines wiederum europäischen Akts der Massenvernichtung betroffen ist, kritisiert werden. Die sich daraus ergebende Kritik einer kulturindustriellen Produktivität, die anderen als den vorgeblich intendierten Zwecken und Zielen dient, geht weit über den Nahostkonflikt hinaus und ist 35 Jahre nach der Uraufführung des Films von ungeschmälerter Bedeutung. Das gilt um so mehr, als die politische Radikalität linker Exponenten des Kinos jener Zeit der kulturellen und gesellschaftlichen Regression in die totale Ökonomisierung einen Spiegel vorhält, den vom Staub dieses Niedergangs zu befreien Mut zu einem emanzipatorischen Neubeginn schaffen könnte.

Aufgearbeitet in Ici et ailleurs wird die "emotionale, physische und historische Distanz zwischen dem 1970 aufgenommenen Originalmaterial und der Art und Weise, in der Godard und Mieville nun diese Bilder manipulieren, um Fragen des Genozids, der sozialen Ungerechtigkeit, der theatralischen Präsentation und der endlosen Widersprüche und inneren Komplikationen, die der Schaffung jedes Ton/Bild-Konstrukts eigen sind, aufzuwerfen". Im Ergebnis wird die einst in Unterstützung des palästinensischen Kampfes produzierte Dokumentation auf höchst differenzierte, die manipulativen Elemente eigener Propaganda ebensowenig wie die Suggestivkraft gesellschaftskonformer Bildproduktion aussparende Weise analysiert. Ici et ailleurs ist zu einem Gutteil der Kritik am Scheitern eigener revolutionärer Bestrebungen gewidmet, ohne diese in ihrer originären Intention in Frage zu stellen. In Frage gestellt werden viel mehr Mittel wie die Inszenierung von Szenen eindeutig gestellten Charakters als auch die bunten Werbewelten, mit denen ein Konsum angepriesen wird, der in der Abhängigkeit der französischen Familie vom nichtvorhandenen Arbeitsplatz des Vaters seine negative Entsprechung findet.

"Stück für Stück werden wir ersetzt durch ununterbrochene Ketten von Bildern, die sich gegenseitig versklaven, jedes Bild an seinem Platz, wie jeder von uns an unserem Platz, in der Kette der Ereignisse, auf die wir allen Zugriff verloren haben." Diesen wiederherzustellen ist die Absicht der ungewöhnlichen Rekombination vertrauten Bildmaterials und dessen weitere Dekonstruktion durch Tonspuren anderer Herkunft. Zu den Klängen der Internationalen, gesteuert von einem Finger, der den Lauststärkeregler einer HiFi-Anlage auf und nieder bewegt, werden revolutionäre Erhebungen und ihre Niederschlagung von Vietnam über den Mai 1968 in Frankreich, die chinesische Kulturrevolution, Streiks in Polen, Folter in Spanien, Irland, Portugal, Chile, Palästina aufgezählt: "... immer der gleiche Ton, immer zu laut. Der Ton ist so laut, daß er fast die Stimme ertränkt, die er aus dem Bild herausholen wollte". Der Verweis auf die entfremdende Reproduzierbarkeit des originären Ereignisses mündet in die Rezitation eines Gedichts des palästinensischen Poeten Mahmud Darwisch. "Ich werde Widerstand leisten" - zu dem großem Pathos, mit dem das kleine Mädchen die Verse in den Ruinen des Flüchtlingslagers Karame, in dem die Palästinenser einen ihrer wenigen Siege über die israelischen Streitkräfte erzielten, rezitiert, heißt es: "Sie ist unschuldig, aber vielleicht nicht diese Form des Theaters".

Anhand des Beispiels einer angeblich schwangeren Palästinenserin, die gelobt, ihren Sohn für den revolutionären Befreiungskampf zu opfern, obwohl es sich um eine junge libanesische Intellektuelle handelt, die diese Rolle auf Anweisung des Regisseurs spielt, wird daran erinnert, daß immer nur diejenige zu sehen sei, die angewiesen wird, niemals derjenige, der anweist. "Von Geheimnissen dieser Art bis zum Faschismus ist es nur ein kurzer Schritt", geben Autorin und Autor zu bedenken. Die kritische Bilanzierung der eigenen Verstrickung ins System medialer Propaganda bildet den Kontext eines künstlerischen Umgangs mit dem palästinensischer Widerstand, der die Godard und Mieville vorgeworfene Einseitigkeit in ihrer plakativen Anprangerung als Methode eben jener Propaganda exponiert.

So wird die inkriminierte Darstellung der palästinensischen Geiselnahme während der Olympischen Spiele 1970 in München mit der Überlegung einer palästinensischen Fedajin kommentiert, daß es auch andere Möglichkeiten wie das Erheben der Forderung gegeben hätte, dem weltweit zuschauenden Publikum von Zeit zu Zeit ein palästinensisches Flüchtlingslager zu zeigen. Wenn dies abgelehnt worden wäre, hätte man drohen sollen, die Geiseln umzubringen, um anschließend selbst getötet zu werden: "Für sie und für uns findet man es wenig dumm, für ein Bild getötet zu werden, und man fürchtet sich ein wenig". Die Szene muß keineswegs als Gutheißung einer Geiselnahme für welchen Zweck auch immer verstanden, sondern könnte ebensogut als Verweis darauf verstanden werden, daß mediale Manipulation in jede Richtung riskiert, einen blutigen Verlauf zu nehmen. Die daran anschließenden Bilder aus deutschen Vernichtungslagern, mit denen gezeigt wird, für welchen Zustand finalen physischen Niedergangs die SS-Mannschaften den Begriff des "Muselmanen" verwendeten, und die Nennung der Zahl jüdischer Holocaustopfer in den palästinensischen Kontext zu stellen wird Godard heute nicht minder zur Last gelegt als die gleichzeitige Abbildung der israelischen Premierministerin Golda Meir und des deutschen Diktators Adolf Hitler.

Die künstlerische Freiheit, bis an die Grenzen des Erträglichen vorzudringen, um politische Widersprüche aufzuzeigen, wird hierzulande am Beispiel der dänischen Mohammed-Karikaturen vehement verteidigt. Mit dem letzten Endes Zensur einfordernden Schwert des Antisemitismusverdachts gegen Bildmontagen zu polemisieren, die 1974 im Rahmen eines komplexen Deutungsensembles produziert wurden, ist denn auch vor allem dem heutigen Kampf um die Deutungshoheit im Nahostkonflikt geschuldet. Wie sonst als mit unkonventionellen Eingriffen in die Bahnen massenmedial vorformatierter Rezeption gelangt man an die Wurzel von Problemen, die im Verwertungssystem des kognitiven Kapitalismus keine Sichtbarkeit erhalten sollen, weil sie seine Hegemonie von grundauf bestreiten? Die diese Vorherrschaft legitimierende Kulturproduktion wartet nicht umsonst völlig unbeeinträchtigt von ihrer destruktiven Wirkung mit sogenannten Blockbustern auf, die mit erheblicher Zuschauerreichweite Folter verherrlichen, rassistische Feindbilder inszenieren und sich in einem imperialistischen Frohsinn gefallen, der auch noch das größte Elend mit einem coolen Spruch verächtlich macht.

Der in Ici et ailleurs gezogenen Bilanz eigenen politischen Wirkens liegt jede ideologische Demagogie fern: "Wir wollten sofort 'Sieg' schreien, und das an ihrem Ort. Wenn wir die Revolution für sie machen wollten, dann vielleicht deshalb, weil wir sie zu jener Zeit nicht wirklich dort machen wollten, wo wir sind, um sie dort zu machen, wo wir nicht sind", heißt es zu einem 1970 aufgenommen Bild einer Gruppe Fedajin, die allesamt nur wenige Monate später von den jordanischen Truppen umgebracht wurden. Die Kette der Bilder, die in ihrer unablässigen Folge keinen Platz zur Besinnung lassen, sondern die Passivität des Konsumenten nähren, zu durchbrechen hieße demnach, die aus bloßer Betrachtung erwachsende kausale Verknüpfung nicht mit einer Praxis zu verwechseln, deren Wirksamkeit von den Schritten, die man wirklich geht, nicht zu trennen ist.

In dem 2004 gedrehten Film "Notre Musique" hat Godard erneut den Nahostkonflikt thematisiert. Eingebettet in die thematische Dreiteilung Inferno, Purgatorio, Paradiso der Göttlichen Komödie Dante Alighieris entfaltet der Regisseur die Schrecken des Krieges, um sie in einem im bosnischen Sarajewo abgehaltenen Kunstseminar zu reflektieren. Dort spricht eine israelische Journalistin den palästinensischen Nationaldichter Mahmud Darwisch darauf an, daß er einst geschrieben habe, derjenige, der die Geschichte eines Landes schreibe, erbe das Land dieser Geschichte. Hätten die Israelis also kein Anrecht auf ihr Land, fragt die Journalistin und meint, Darwisch rede mit seiner Aussage, es gebe keinen Platz mehr für Homer, daher verstehe er sich als Barde Trojas und liebe die Besiegten, wie ein Jude. Er bestätigt dies und erklärt, daß er sich auf der Suche nach dem Dichter Trojas befinde, weil Troja seine Geschichte nicht erzählen konnte: "Hat ein Land mit großen Dichtern das Recht, ein Volk zu beherrschen, das keine Dichter hat? Und bietet der Mangel an Poesie ausreichend Anlaß dafür, seine Niederwerfung zu rechtfertigen? Ist Poesie ein Zeichen oder ist es ein Instrument der Macht? Kann ein Volk stark sein, ohne seine eigene Poesie zu besitzen? Ich war Kind eines Volkes, das bis dahin nicht anerkannt wurde. Und ich wollte im Namen der Abwesenden sprechen, im Namen des Trojanischen Dichters. Es liegt mehr Inspiration und Menschlichkeit in der Niederlage als im Sieg."

Auf die Frage der Journalistin, ob er sich darin sicher sei, erklärt Darwisch, es liege große Romantik in der Niederlage, die noch größer wäre, wenn er den Opfern seine Unterstützung als Mitglied des Lagers der Sieger gewährte. Die Palästinenser wären nur deshalb berühmt, weil sie Feinde der Israelis wären. Das Interesse an ihnen beruhe auf dem Interesse an der jüdischen Sache. Die Palästinenser wären von dem Unglück geschlagen, Israel, das unbegrenzte Unterstützung genieße, zum Feind zu haben. Die Palästinenser hätten das Glück, Israel zum Feind zu haben, weil Juden im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ständen: "Ihr habt uns Niederlage und Anerkennung gebracht".

Godards Auseinandersetzung mit dem Thema Israel und Palästina ist zweifellos parteiisch, aber nicht ohne Aussicht darauf, das Verhängnis dieses Gewaltverhältnisses zu überwinden. Sich auf die Seite ohnmächtiger, sprachloser, in ihrer Geschichte und Existenz negierter Menschen zu stellen ist in einer Zeit, in der Erfolg und Gewinn zur Maxime aller positiven gesellschaftlichen Existenz erhoben werden, so unattraktiv wie irgend etwas. Die Person Godard, wie es auch in der deutschen Presse geschieht, auf einige negative, aus einem Zeitraum von mehreren Jahrzehnten zusammengetragene Aussagen zu Juden einzudampfen und ihn mit dem Brandmal des Antisemiten oder, stellvertretend dafür, des Verschwörungstheoretikers zu markieren, ist Ausdruck dieser Konfrontation. Mit herrschenden Interessen konform gehenden Rassisten, Folterern, Ausbeutern und Kriegstreibern bleibt erspart, was ihren Kritikern im Anschein ethisch-moralischer Integrität angelastet wird. Stoff für große Filme bietet dies allemal, doch wenn sie denn gedreht würden, blieben sie dem breiten Publikum unbekannt.

Godard hat in einem diesjährigen Interview mit dem Fernsehsender Arte durchaus bedauert, als Regisseur niemals jene Anerkennung erhalten zu haben, die anderen Filmschaffenden seines Ranges gewährt wird. Mit dem Ehren-Oscar wird ihm diese Würdigung zuteil, und er nimmt sie trotz seines eher ablehnenden Verhältnisses zu Hollywood an. Die Gefahr, daß er sich schlußendlich von einer Kulturindustrie vereinnahmen läßt, die sich dadurch auszeichnet, die von ihm aufgeworfenen Fragen nicht zu stellen, ist zweifellos gegeben. Seiner Vorliebe für Filme, die kein gutes Ende nehmen, mag er damit persönlich treu bleiben, doch die Welt dürfte dies anders sehen. "Wenn du die Welt sehen willst, schließe die Augen" - die Gültigkeit dieses Aperçus aus dem großen Strauß vielzitierter Godard-Aussagen bleibt ihr auf jeden Fall erhalten.

Fußnoten:

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Luc_Godard (Stand: 12.11.2010)

Alle Zitate aus Ici et ailleurs entstammen den englischen Untertiteln der bei You Tube verfügbar gemachten Version des Films:

http://www.youtube.com/watch?v=kTOQ0Jrw-nY&feature=related

Alle Zitate aus Notre Musique entstammen den englischen Untertiteln des bei You Tube verfügbar gemachten Filmausschnitts:

http://www.youtube.com/watch?v=erzl60Dk2bM&feature=related

12. November 2010