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KULTUR/0900: Aktives Zuhören statt Dauerberieselung - Radio kann mehr als unterhalten (SB)



Der Hörfunk könnte auch in Zeiten datenelektronischer Überfülle an Informations- und Unterhaltungsangeboten ein höchst attraktives Medium sein. Der optischen Reizüberflutung des Fernsehens und Internets hält das Radio eine eher unaufdringliche Klangwelt allerdings ganz unterschiedlichen Inhalts entgegen. Wo die nach Musikfarben sortierten Gemütstapeten des Formatradios mit der Pharmaindustrie um die Verabreichung in diesem Fall akustischer Simmungsaufheller konkurrieren, bieten kulturelle und politische Kontrastprogramme im besten Fall die Gelegenheit, den Alltag kritisch zu reflektieren und damit handhabbar zu machen. Welch ein aktiver Vorgang das Zuhören sein kann, belegen Features und Diskussionen, in denen komplexere Inhalte vermittelt und konträre Positionen gegeneinandergestellt werden. Radio ist keineswegs gleich Radio. Zwischen dem Dudelfunk aus Hits, Kurznachrichten, Werbung und Verkehrsmeldungen und der feuilletonistischen Aufbereitung gesellschaftlicher Konfliktpunkte klaffen Welten nicht anders als zwischen Boulevardpresse und Fachmagazinen, zwischen sozialchauvinistischem Reality-TV und anspruchsvollen Dokumentationen.

Mit der Einführung des dualen Rundfunksystems 1984 und der damit freigesetzten Konkurrenz um Einschaltquoten zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern nahm nicht nur der Niedergang der Fernsehkultur ihren Lauf. Auch die öffentlich-rechtlichen Radiokanäle orientierten sich zusehends am kommerziellen Vorbild der mit Quizfragen und Gewinnspielen ebenso sehr als mit lockeren Sprüchen um sich werfenden Dampfplauderer der trennscharf auf werbeaffine Kundengruppen und Altersorientierungen ausgerichteten Formatradios. Einziger Lichtblick dieser Entwicklung sind die aus politischen Basisbewegungen und Bürgerinitiativen entstandenen Freien Radios und Offenen Kanäle. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bilden unter weit geringerem Einsatz von Finanzmitteln und meist auf ehrenamtlicher Basis eine Form von Gegenöffentlichkeit ab, die mindestens so viel Aufmerksamkeit verdient hätte wie durch Rundfunkgebühren und Werbeeinnahmen alimentierte und mit UKW-Frequenzen großzügig ausgestattete Radiosender. Nicht zu vergessen ist auch das neue Medium des Internet-Radios und der Podcast-Kultur, wo anspruchsvolle und innovative Hörproduktionen unterhalb der Schwelle des klassischen terrestrischen Rundfunks wachsende Verbreitung finden.

Wenn dieser Tage zum zweiten Mal der Deutsche Radiopreis verliehen wird, dann geht davon kein Impuls zur Renaissance einer anspruchsvollen, kulturell wie politisch belebten Hörfunklandschaft aus. Diese geschlossene Veranstaltung des etablierten Hörfunks der ARD, des Deutschlandradios und der privaten Sender beansprucht zwar, "in Deutschland produzierte Radiosendungen und -leistungen" auszuzeichnen, "die in besonderer Weise durch ihre Qualität die Stärken und Möglichkeiten des Mediums vorführen und hervorheben und die damit auch beispielhaft wirken", aber berücksichtigt eben nur "die Breite der öffentlich-rechtlichen und privaten Programme" [1]. Die Mitglieder der Jury sind zwar unabhängig, aber als Medienwissenschaftler oder ehemalige Medienprofis einem berufständischen Credo verpflichtet, in dem der offene Dissens eher nicht zuhause ist. Im Beirat sitzen Medienfunktionäre, die zum Teil führende Positionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk respektive im Duopol Bertelsmann/Springer innehaben.

Diese Nähe zum staatstragenden und kommerziellen Medienbetrieb bildet sich auch in der Galerie der Nominierungen ab. Es handelt sich um einen Querschnitt aus gängigem Infotainment und bewährter Unterhaltungsware, durchsetzt mit einigen anspruchsvolleren Vorzeigestücken im Bereich Reportage, die jedoch das breit angelegte Niveau konsensaffiner Verdaulichkeit der in die engere Wahl gekommenen Produktionen nicht heben können. Konträre Debattenkultur und kritisches Radiofeuilleton, die den Hörfunk zu einer Produktivkraft gesellschaftlicher Aufklärung und sozialer Emanzipation machten könnten, sucht man in diesem Angebot vergebens. In der Kategorie "Bestes Nachrichtenformat" [2] dominiert der Häppchenjournalismus, haben es doch nicht einmal die umfassendsten und informativsten Programme des etablierten Rundfunks zum aktuellen politischen Geschehen, die Sendungen des Deutschlandradios, in die engere Wahl geschafft. Als ob man sich den "Focus", geschaffen vom Laudator dieser Kategorie, des Faktenhubers und "Vollblut-Journalisten" Helmut Markwort, zum Vorbild genommen hätte, wird die Serienproduktion von Bits und Bytes für den schnellen Konsum favorisiert, wie sie für die Endlosrotation vertrauter Strukturmerkmale im Fließprogramm der Infowellen signifikant ist.

In dem auf massenmedial gut eingeführte und politisch handzahme Sendungen begrenzten Rahmen des Deutschen Radiopreises findet nichts statt, was die kreativen Horizonte des Hörfunks auch nur ausleuchten, geschweige denn erweitern könnte. Der an die öffentlich-rechtlichen Kollegen gerichtete Vorwurf privater Radiomacher, die sichere Finanzierung ihrer Rundfunkanstalten laufe auf unlautere Konkurrenz hinaus, ist in Anbetracht dessen, daß diese den privaten Anbietern auch noch im Bereich flachester Unterhaltung Konkurrenz machen, nicht unberechtigt. Wo die Fernsehsender von ARD und ZDF ihren Versorgungsauftrag dahingehend verstehen, das Gros der Rundfunkgebühren für Sport und Unterhaltung auszugeben, während Debatten, an denen nicht nur das bewährte Talkshowpersonal der Politik- und Kultureliten teilhat, und unbequemen Erkenntnisgewinn produzierende Dokumentationen ein Schattendasein führen, nähren die öffentlichen Sender den akustischen Konsumismus ohne Not, aber in offensichtlichem Bemühen darum, die sozialen Konflikte dieser Gesellschaft unter dem Teppich bloßer Berieselung zu kehren.

In gewisser Weise reproduziert sich hier das antagonistische Verhältnis zwischen Konzernpresse und Onlinemagazinen wie Blogs einer linken Gegenöffentlichkeit im Netz. Seit geraumer Zeit scheint das Anliegen ersterer vor allem darin zu liegen, unliebsame Konkurrenz auszugrenzen, indem man sie fachfremder Unseriosität bezichtigt und ihr aus dem ökonomischen Problem, sich aus freien Stücken und ohne große Mittel in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen, auch noch den Strick unzureichender Recherche und Dokumentation dreht. Für die Bereicherung der öffentlichen Debatte durch eine engagierte Gegenöffentlichkeit sind auch die Freien Radios zuständig, deren Sendungen und Podcasts mit kritischen Berichten und Analysen aufwarten, die im etablierten Radio nicht nur wegen zu geringer Einschaltquoten keine Chance hätten.

Entscheidend für das Auseinanderklaffen von einerseits öffentlich wie privatwirtschaftlich finanzierten Sendern und andererseits unabhängig produzierten Radios ist der politische Konformitätsdruck, der auf ersteren lastet. Selbst die inhaltliche Vielfalt beanspruchenden Sender des Deutschlandradios frönen einem ideologischen Antikommunismus, der desto rabiater durchschlägt, als die verhandelten Positionen am zentralen gesellschaftlichen Konflikt und der aus ihm zu ziehenden Konsequenz der Systemfrage rühren. Der hegemoniale Anspruch auf "systemrelevante" Berichterstattung und Kommentierung erlaubt keinen Bruch mit Konsensimperativen aus antimilitaristischer oder antikapitalistischer Ecke. Wenn es ums Eingemachte geht, wenn der Anspruch erhoben wird, ohne Zwang und Gewalt leben und arbeiten zu können, dann zeigt sich der herrschaftsförmige Charakter aus gutem Grund bestens ausgestatteter Staats- und Konzernmedien.

Beim Zelebrieren eines "glanzvollen Medienevents" [3] wie der mit Pomp und Glamour begangenen Verleihung des Deutschen Radiopreises 2011 wird man sich also einmal mehr selbst feiern und ein PR-Schaufenster inszenieren, an dem sich die Schmuddelkinder der Gegenöffentlichkeit wohl kaum die Nase plattdrücken werden. Wie langweilig das harmonische Übertünchen virulenter Widersprüche sein kann, belegen die Produkte kulturindustrieller Affirmation. Wie erfrischend hingegen der provokante Bruch mit der Praxis des Verharmlosens und Schönredens sein kann, hat unlängst die unabhängige Tageszeitung junge Welt bewiesen. Die empörten Reaktionen des bourgeoisen Kulturestablishments hätten nicht deutlicher demonstrieren können, was einem entgeht, wenn man sich des Vitalfaktors politischer Streitbarkeit enthält.

Fußnoten:

[1] http://www.deutscher-radiopreis.de/teilnahme/index.html

[2] http://www.deutscher-radiopreis.de/preis/nominierte/nominiertenachrichtenformat101.html

[3] http://www.deutscher-radiopreis.de/verleihung/index.html

24. August 2011