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KULTUR/0928: Islamkonferenz verleimt Bruchkanten gesellschaftlicher Widersprüche (SB)




Die vor sieben Jahren von Wolfgang Schäuble ins Leben gerufene Islamkonferenz war das notwendige Ergänzungsmodul zu der rassistischen Bezichtigungskampagne, die den sogenannten Antiterrorkrieg innenpolitisch flankierte. Um die kapitalistische Verwertungsoffensive und ihre neoimperialistischen Kriegszüge in einem grotesken Akt strategischer Feindbildprägung zu einem Verteidigungsfall gegen einen angeblich religiös, kulturell, moralisch und ethisch rückständigen und bösartigen Aggressor umzudeklarieren, forcierte man die Denkkontrolle nicht zuletzt an der Heimatfront. In der Absicht, die Prügel für Muslime um ihre Beteiligung an der Unterwerfung zu komplettieren, kreierte man positiv konnotierte Konzepte wie Dialog und Integration, die unabweisliche Maßgaben setzen, wer sich zu erklären und einzufügen habe.

Weder wünschte Schäuble eine explosive Stimmung wie in den französischen Vorstädten, noch eine aus Ghettoisierung resultierende Unkontrollierbarkeit urbaner Sphären. Er legte Maßstäbe vor, deren Erfüllung er für unverzichtbar erachtete, und hatte dabei die eiserne Faust so sorgsam mit weicher Baumwolle umwickelt, daß seine Moderation als Türöffner zu gegenseitiger Achtung und Zusammenarbeit mißverstanden und gefeiert wurde. Wie immer ging es darum, anpassungswillige Fraktionen islamischen Glaubens einzubinden und zu verpflichten, die ideologische Bezichtigung in der Weise zu übernehmen, daß sie sich offensiv zu der herrschenden Gesellschaftsordnung und Staatsräson bekannten und entschieden von radikalen Strömungen abgrenzten.

Berücksichtigt man, daß das Feindbild Islam nach dem proklamierten Sieg über den Kommunismus als neues ideologisches Konstrukt zur Verschleierung und Rechtfertigung der herrschenden Ausbeutungs- und Zurichtungsverhältnisse in westlichen Denkfabriken entworfen und systematisch in Stellung gebracht worden ist, zielt die Vorwurfslage gegen Muslime und deren erzwungene Fügung in die hiesige Ordnung auf eine umfassende sozialrassistisch verbrämte Zugriffsentwicklung ab. Muten die einstigen Ressentiments der Bundesbürger gegen sogenannte Gastarbeiter aus Perspektive heutiger Verdächtigung und Ausgrenzung fast schon idyllisch an, so geht es gleichermaßen den deutschen Hungerlohnempfängern, Hartz-IVern und sonstigen Ausgepreßten und Ausgrenzten rigoros an den Kragen.

Was Wolfgang Schäuble initiiert und eigenhändig auf den Weg gebracht hatte, geriet unter seinen Nachfolgern mehr und mehr ins Taumeln. [1] Den Machiavellismus des damaligen Innenministers nie mehr erreichend, brachte der Verwaltungstechnokrat Thomas de Maizière den Dialog ins Stocken, worauf Hans-Peter Friedrich zunächst den Eindruck erweckte, der Elefant im Porzellanladen sei sein Lieblingstier. Im vergangenen Jahr löste er mit seinen Plänen, mittels der Konferenz eine Sicherheitspartnerschaft zwischen Staat und Muslimen zu etablieren, Empörung bei seinen Gesprächspartnern aus, die sich und ihren Glauben zwangsläufig auf ein Sicherheitsrisiko reduziert sahen. [2] Der Islam gehöre nicht zu Deutschland, holzte jüngst der Fraktionsvorsitzende der CDU, Volker Kauder, noch einmal gegen den über die umgekehrte Aussage gestürzten ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Wie kontrolliert und kühl kalkulierend diese Bösartigkeit eingesetzt wird, unterstreicht indessen Kauders geradezu gelassen anmutende Einschätzung zur Koranverteilung der Salafisten, die er nüchtern mit den Worten kommentierte, das Verteilen religiöser Schriften sei vom Grundrecht der Religionsfreiheit gedeckt, sofern der Inhalt nicht gegen Straftatbestände verstoße. [3]

Vor Beginn der diesjährigen Islamkonferenz, in der eigentlich Geschlechtergerechtigkeit das Thema war, hatten Politiker aus Union und FDP Druck auf Innenminister Friedrich ausgeübt, Salafismus kurzfristig auf die Tagesordnung zu setzen. Der gastgebende Innenminister hat jedoch offensichtlich dazugelernt, lehnte er doch eine Änderung der Agenda ab und erwähnte das Thema Salafismus nur am Rande, womit er zwei Fliegen mit einer Klappe schlug. Zum einen lobten ihn selbst die Grünen für seine Zurückhaltung, zum andern erwirkte er elegant eine Zustimmung der Konferenz, daß "salafistischer Extremismus nicht in unsere freie deutsche Gesellschaft" passe und der Absolutheitsanspruch der Salafisten nicht "mit unserem Grundgesetz" vereinbar sei. Auch mit Blick auf das eigentliche Thema der Konferenz fuhr Friedrich die erhoffte Ernte ein: "Erstmalig haben sich Muslime unterschiedlicher Herkunft und Religiosität in Deutschland gemeinsam mit staatlichen Vertretern auf einen Text verständigt, der in der Ächtung dieser Praktiken unmissverständlich ist. Die Erklärung ist somit eine wichtige Grundlage für die Eindämmung von häuslicher Gewalt und Zwangsverheiratung". So hielt sich die Enttäuschung der Konferenzteilnehmer in Grenzen, die lediglich monierten, daß Friedrich die Ergebnisse nicht wie bislang üblich mit den muslimischen Verbänden zusammen, sondern allein auf einer Pressekonferenz vorstellte.

Wes Geistes Kind der amtierende Innenminister ist, unterstreicht das peinliche Eingeständnis seines Hauses, den Bundestag im Zusammenhang mit der Vorabveröffentlichung einer Studie über Muslime im Frühjahr grob getäuscht zu haben. Dies geht aus der Antwort auf eine Anfrage der Linken hervor, deren migrationspolitische Sprecherin Sevim Dagdelen daraufhin von einem "Lügenminister" sprach, der eine Erklärung schuldig sei. "Junge Muslime verweigern Integration", schrieb bild.de am 29. Februar unter Berufung auf eine Studie des Bundesinnenministeriums. Autoren der Studie distanzierten sich umgehend und sprachen von einer groben Verzerrung des Inhalts der 760 Seiten umfassende Untersuchung. Den zwangsläufig aufkommenden Verdacht, Friedrich habe die Studie lancieren lassen, dementierte der Minister im ZDF: "Also, diese Studie ist nicht aus meinem Haus herausgegeben worden." Später legte Innenstaatssekretär Christoph Bergner im Bundestag mit der Behauptung nach: "Es hat keine öffentliche oder wie auch immer geartete Übergabe dieser Studie durch das Bundesinnenministerium an die Medien gegeben." [4]

Nun mußte das Ministerium in seiner Antwort einräumen, daß die Bild-Zeitung von der Pressestelle doch ein Vorabexemplar der Studie erhalten hat, angeblich zur Vorbereitung eines Interviews mit dem Minister. Der habe davon aber nichts gewußt. Wenn ein Bundesminister die Öffentlichkeit derart belüge, müsse sich die Bundeskanzlerin fragen, ob er noch tragbar ist. Sich nun dahinter zu verstecken, daß er angeblich nichts gewußt habe, sei erbärmlich und eines Ministers unwürdig, erklärte Sevim Dagdelen. Die Islamwissenschaftlerin Armina Omerika nahm Friedrichs Umgang mit der Studie zum Anlaß, am Vortag der Islamkonferenz ihre Teilnahme offiziell abzusagen.

Hans-Peter Friedrich ist eben nicht Wolfgang Schäuble, soviel steht fest. Deswegen aufzuatmen besteht andererseits kein Anlaß, ist doch die Islamkonferenz noch längst nicht gegen die Wand gefahren. Der amtierende Innenminister gibt sich immerhin Mühe, nicht nur den Holzhammer zu schwingen, sondern bei Bedarf in Nachahmung seines Vorvorgängers die Fäden zu ziehen. Empörung hin oder her, ist doch in diesem Zusammenhang nicht Friedrich das Hauptproblem, sondern eher schon die Erwartung, daß eine Konferenz, bei der der Innenminister als Gastgeber fungiert, andere Ergebnisse als besser verleimte Bruchkanten gesellschaftlicher Widersprüche produzieren könne.

Fußnoten:

[1]‍ ‍http://www.derwesten.de/wr/islamkonferenz-am-ende-id6571769.html

[2]‍ ‍http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article2252988/Im-Schatten-der-Salafisten-Friedrich-bremst-Parteikollegen.html

[3]‍ ‍http://www.welt.de/debatte/kommentare/article106207141/Volker-Kauder-Kreuzritter-ohne-Waffen.html

[4]‍ ‍http://www.sueddeutsche.de/politik/innenministerium-raeumt-falsche-auskunft-ein-muslim-studie-ging-doch-vorab-an-boulevard-blatt-1.1337226

20.‍ ‍April 2012