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KULTUR/0941: Spaß muß sein - Bundespresseball in den Tagen des Zeitungssterbens (SB)




Alle Jahre wieder lädt die Hauptstadtpresse im November zum Bundespresseball, auf dem gut 2500 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Medien ihr inniges Einvernehmen abfeiern, auf dem Siegerparkett zu tanzen und am Tisch der Gewinner zu tafeln. Was könnte erhebender sein, als all den Klima-, Welternährungs-, Schulden- und Eurokrisen da draußen bei Walzer, Champagner, Austern, Trüffeln und Marzipan ins Gesicht zu lachen! "Perpetuum mobile" lautete das Motto des diesjährigen Balls im Berliner Hotel Interconti, als habe der sehnliche Wunsch, daß es ewig so weitergehen möge in diesem komfortablen Ambiente die Feder geführt. Journalisten und Politiker im niveauvollen Schulterschluß, der die Trennung der offiziellen und offiziösen Gewalten im Staat zum Ammenmärchen für das dumme Volk erklärt. Da wäscht eine Hand die andere, wenn es gilt, unablässig Öffentlichkeit zu produzieren, damit der Bürger erfährt, was er und seinesgleichen denken. Presse und Politik auf Tuchfühlung, was schon beim Eröffnungstanz die Frage aufwirft, wer da wen gerade vorführt. Hier ein wenig scharwenzeln, da ein wenig anbiedern, vor allem immer die Hackordnung im Blick, um ihr den eigenen Vorteil abzugewinnen.

Dummerweise war die Stimmung in diesem Jahr leicht getrübt, ist doch zu all den anderen Hiobsbotschaften, über die es sich so trefflich lamentieren läßt, jene im eigenen Haus hinzugekommen. Das aktuelle Zeitungssterben hat Ende September die Nürnberger "Abendzeitung" dahingerafft, Anfang Oktober meldete die Nachrichtenagentur dapd Insolvenz an und vergangene Woche war die "Frankfurter Rundschau" vom Verlag DuMont Schauberg an der Reihe. Vertreter des Verlags Gruner + Jahr zeigten sich zwar im Blitzlichtgewitter der Fotografen, doch sagte Vorstand Julia Jäkel, die noch am Vormittag das Aus der Wirtschaftszeitung "Financial Times Deutschland" zum 7. Dezember angekündigt hatte, kurzfristig ab. Hunderte weitere Journalisten sind von Pleiten bedroht, weshalb Organisator Alfred Gertler zur Begrüßung der Hoffnung Ausdruck verlieh, daß zahlreiche journalistische Arbeitsplätze in den Betrieben zu retten seien. Mehr war an Krokodilstränen offenbar nicht drin: Trotzdem erwarte er ein großes Fest, so Gertler. [1]

Bundespräsident Joachim Gauck, der erstmals den Platzhirsch bei diesem gesellschaftlichen Ereignis abgab, formulierte wie so oft vor, wo es langgeht. Zeitungen werde es immer geben, man wisse derzeit nur nicht, wie viele, verschnürte er Perspektive und Drohung zu jenem Paket, das den gefesselten Menschen ausmacht. Das seien "bittere Wermutstropfen für diesen Ball", griff SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann die präsidiale Steilvorlage auf, um sie inhaltlich zu präzisieren: Man müsse sehen, wie ein hochwertiger Printjournalismus erhalten werden könne, unterstrich er das Talent seiner Partei, den Konservativen in Sachen praktizierter Sozialtechnokratie allemal den Rang abzulaufen. Personell war die SPD-Spitze diesmal übrigens ganz schwach vertreten, was zur Vermutung Anlaß gab, sie wolle einschlägige Bilder ihres Spitzenkandidaten Peer Steinbrück im Smoking vermeiden.

Weil von der FDP neben den Ministern Philipp Rösler, Daniel Bahr und Dirk Niebel auch Fraktionsvorsitzender Rainer Brüderle, sein Stellvertreter Martin Lindner sowie die Parlamentarischen Geschäftsführer Otto Fricke und Claudia Winterstein wie auch Staatsministerin Cornelia Pieper gekommen waren, regte sich der Verdacht, die Freidemokraten wollten ihren letzten Bundespresseball noch mal mitnehmen, da es unter der Fünfprozentmarke keine Einladungen mehr gibt. [2] Was das Zeitungssterben betrifft, sang Rösler natürlich das Hohelied der Anpassungsbereitschaft und Konkurrenz: "Die Zeitungslandschaft ändert sich, die Lesegewohnheiten ändern sich. Darauf müssen sich die Verlage einstellen." Als habe er noch einen Restspiegel der verjuxten Spaßpartei im Blut, fügte Niebel hinzu, er könne trotz Zeitungssterben unbeschwert auf dem Bundespresseball feiern.

Bestens gelaunt zeigte sich auch Grünen-Vorsitzende Claudia Roth, die als einzige Spitzenkraft ihrer Partei auf dem Bundespresseball erschienen war. Sie kam nach dem guten Ergebnis bei ihrer Wiederwahl regelrecht beschwingt ins Interconti: "Ja, ich habe was zu feiern!" Allzu große Trauer über die Krise der Printmedien war ihr unter diesen Umständen natürlich nicht zuzumuten, und so beließ sie es bei der Anmerkung: "Es ist wirklich ein Schatten heute dabei." Eher muffelig erwiderte hingegen Inneminister Hans-Peter Friedrich auf eine entsprechende Frage, Zeitungen müßten eben innovativ sein, wenn sie überleben wollten. Die nach der des Bundespräsidenten zweitbeste, weil so recht nach Gutsherrenart abkanzelnde Antwort war indessen Verteidigungsminister Thomas de Maiziére vorbehalten, der barsch den Tagesbefehl an die Journalistentruppe ausgab: "Mich betreffen viele Krisen in der Welt." Er hoffe, damit heute nicht beschäftigt zu werden.

Kaltschnäuziger ist allenfalls noch Bundeskanzlerin Angela Merkel, die den Bundespresseball noch nicht einmal besucht hat und auch diesmal durch Abwesenheit glänzte. "Es gibt auch andere kulturelle Höhepunkte", hatte sie einmal ihre Absage begründet und damit die Hauptstadtpresse unmißverständlich lektioniert, wer nach wessen Pfeife zu tanzen hat. Das bringt uns zurück zum Bundespräsidenten, der bei fehlender Kanzlerin um so mehr im Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit stand.

Gauck hatte erst Mitte November im Berliner Hotel Adlon vor den Teilnehmern eines hochrangig besetzten Wirtschaftsforums die seit geraumer Zeit erwartete Grundsatzrede zur Finanzkrise gehalten. Dabei erklärte er, es sei die Aufgabe des Unternehmers, Gewinne zu erzielen. Gefährlich werde erst "die blanke Gier, das Mehrenwollen um jeden Preis". Er schloß seine Rede mit den Worten: "Wir alle sind frei, aber niemand ist frei von Verantwortung." Mit dieser Haltung könne auch ein verantwortlicher Kapitalismus gelingen. [3] Wenige Tage später überraschte Gauck dann beim Gipfeltreffen der Staatsoberhäupter Deutschlands, Italiens und Polens in Neapel mit der Äußerung, die Polen seien fleißiger als die Deutschen [4], was zweifellos ein Wink mit den Zaunpfahl an die Adresse seiner eigenen Landsleute war.

Daß auch ein Bundespräsident sortieren muß, was wichtig und was nebensächlich ist, unterstrich Joachim Gauck dann vor wenigen Tagen. Er soll einem ARD-Bericht zufolge ein Treffen mit den Familien der NSU-Opfer abgelehnt haben. Eine entsprechende Bitte der Türkischen Gemeinde in Deutschland zum Jahrestag der Aufdeckung der Mordserie hat das Bundespräsidialamt demnach ausgeschlagen. Die Familien mögen von einem solchen Treffen "absehen", zitierte die ARD aus einem Schreiben des Amts. Der Bundespräsident werde die Maßnahmen in der Folge der NSU-Mordserie aber "mit Interesse verfolgen". [5]

Wer wie Gauck auf jedem Parkett trittsicher zu operieren versteht, kann nach der eleganten Bewältigung solcher Manöver über die Anforderungen eines Bundespresseballs nur milde lächeln. Ein wenig das Tanzbein zu schwingen und dann bei Tisch (dekoriert mit schwebenden Flamingoblumen) Ostseelachs, Heilbutt und Mecklenburger Rind zu speisen oder am Buffett Schwarzfederhuhn, Mango-Lassi mit gerauchten Garnelen, Thunfisch und gebratene Schweinebrust an Ferkelchen-Confit zu naschen, sollte demgegenüber so schwer nicht gewesen sein.


Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/vermischtes/prominente/article111453594/Gauck-walzert-trotz-Krise-beim-Bundespresseball.html

[2] http://www.fr-online.de/panorama/merkel-und-piraten-fehlen-berlin-tanzt-beim-bundespresseball,1472782,20947776.html

[3] http://www.fr-online.de/politik/joachim-gauck--verantwortlicher-kapitalismus-ist-moeglich-,1472596,20882864.html

[4] http://www.rp-online.de/politik/deutschland/polen-sind-fleissiger-als-deutsche-1.3075078

[5] http://www.stern.de/politik/deutschland/rechtsextremismus-gauck-soll-treffen-mit-nsu-opfern-abgelehnt-haben-1931331.html

24. November 2012