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KULTUR/0966: Nicht Manns genug zum Fußballspielen? (SB)




Die starken medialen Reaktionen auf das Coming out des Fußballspielers Thomas Hitzlsperger lassen erkennen, daß die regierungsamtlich institutionalisierte Politik gegen die Diskriminierung der Homosexualität zwar einen gesellschaftlichen Konsens der Tolerierung geschaffen hat, dieser aber keineswegs durch die soziale Praxis gedeckt wird. Schwulenfeindlichkeit zieht sich nach wie vor durch alle gesellschaftlichen Gruppen, die nicht selbst davon betroffen sind. Daran ändert auch der relative Erfolg, mit dem sich schwule Männer in bestimmten beruflichen Bereichen behaupten konnten, wenig. Wenn Schwul- und Lesbischsein etwa in der sogenannten Kreativwirtschaft kaum mehr als Besonderheit wahrgenommen wird, dann nährt das wiederum den in einem in besonderer Weise von physischer Durchsetzungskraft bestimmten Bereich wie dem des Leistungssports virulenten Verdacht, Homosexuelle entsprächen in ihren Neigungen den Attributen, die gemeinhin mit dem "schwachen Geschlecht" assoziiert werden.

Wird maskuline Aggressivität in besonders körperbetonten, athletischen und kämpferischen Sportarten quasi als Grundvoraussetzung erfolgreichen Wettstreits betrachtet, so erweist sich der gegen Schwule erhobene Generalverdacht, zu der darin verorteten Stärke einfach nicht Manns genug zu sein, als weitgehend immun gegen antidiskriminatorische Politikkonzepte. Die darin enthaltene Abwertung betrifft mithin nicht nur von der heterosexuellen Norm abweichende Männer, in ihr reproduziert sich vor allem die in der gesellschaftlichen Praxis keineswegs aufgehobene Zuschreibung bestimmter Defizite an die Adresse der Frau. In sozialen Gewaltverhältnissen, unter denen die Geschlechterdifferenz nach wie vor eine wesentliche Stellung einnimmt, entwickelte Strategien der Durchsetzung haben Verallgemeinerungen und Generalisierungen hervorgebracht, in denen biologische Unterschiede in Merkmale hierarchischer Ordnung überführt wurden. Dabei werden auch heute noch Stärke und Durchsetzungskraft meist als männliche, Schwäche und Unterwürfigkeit meist als weibliche Eigenschaften identifiziert.

Diese Biologisierung eines sozial bestimmten Verhältnisses, das längst nicht mehr auf die bioplare Achse des Weiblichen und Männlichen reduziert werden kann, findet in der kapitalistischen Waren- und Konkurrenzgesellschaft nicht zufällig einen besonders fruchtbaren Nährboden. Wird Arbeitskraft nach geschlechtsspezifischen Kriterien verwertet, indem Frauen und Männer für bestimmte Berufe als besonders geeignet respektive ungeeignet gelten, dann werden damit weitere Trennungslinien gelegt, anhand derer die Strategie des Teilens und Herrschens ihre repressive Wirkung entfalten kann. Da die dagegen gerichtete Gleichstellungspolitik den Verwertungsanspruch der Arbeit nicht angreift, sondern deren Vergleichbarkeit in den Dienst der Mehrwertproduktion stellt, optimiert sie die Verfügbarkeit des Menschen für Staat und Kapital. Ganz deutlich wird dies in der Forderung nach dem gleichberechtigten Einsatz von Frauen in Kampftruppen der Bundeswehr oder dem Zwang zur Annahme jeder Arbeit im Hartz-IV-Bezug, die dann wieder geschlechtsspezifisch ausfallen kann, wenn Frauen sich als Animierdamen oder Männer sich als Schlachter unter Androhung von Leistungskürzungen verdingen sollen. Gleichgestellt zum Antreten des Beweises eigener Rentabilität werden die Marktsubjekte zur Unterwerfung unter Zwecke genötigt, deren Lebensfeindlichkeit ohne ihre im gegenseitigen Vergleich produzierte Teilbarkeit nicht widerstandslos hingenommen würde.

Insofern ist es nicht damit getan, wenn sich ein prominenter Sportler zu seiner Homosexualität bekennt und viel Lob dafür erhält, daß er die Mauer des Schweigens, die ja - so wird im gleichen Atemzug dazugesagt - gegenstandslos geworden sein soll, durchbricht. Der Verweis auf die verbreitete Homophobie in Ländern wie Rußland kann nicht verhehlen, daß der Mann, der seinen Mann nicht steht, auch hierzulande verächtlich gemacht wird. Sich erfolgsträchtiger männlicher Härte zu versagen steht unter Verdacht, den Erfolg des nationalen Gemeinwesens zu gefährden. Er ist durch noch so patriotische Bekenntnisse schwuler Nationalisten nicht aus der Welt zu schaffen, wie der jähe Fall des NPD-Chefs Holger Apfel zeigt. Krieg für die Befreiung von Frauen und Homosexuellen gegen patriarchalische Stammesgesellschaften zu führen ist als ganz anderen Zwecken dienender Vorwand leicht zu durchschauen, wenn dabei eine vergewaltigende Soldateska zum Einsatz kommt und die Lage von Frauen, wie etwa im Irak geschehen, drastisch verschlechtert wird.

Als Schwuler von einer massiv sexualisierten Kulturindustrie damit konfrontiert zu werden, daß das Glücksversprechen erfüllter Sexualität, das alle Demütigungen und Erniedrigungen des kapitalistischen Normalbetriebs vergessen machen soll, fast ausschließlich zwischen Mann und Frau inszeniert wird, könnte Anlaß genug sein, die Warenförmigkeit sogenannter Liebe und die pralle Ästhetik heteronormativer Fleischbeschau als Ergebnis diskriminierender Herrschaftspraxis zu durchschauen und zu verwerfen. Dies mit subkultureller Pose auf die Spitze zu nehmen ist längst kein subversiver Akt mehr, sondern wurde durch die Stereotypien schwuler Repräsentation in Film und Fernsehen so erfolgreich aufgesogen, daß der Lacher über das schwule Klischee schon deshalb nicht mehr im Halse stecken bleiben darf, weil die massenmedial zelebrierte Abweichung zur berufsständischen Norm clownesker Nischenexistenzen geworden ist.

Von ihren längst gekappten linken Wurzeln nicht weiter behelligt, beteiligt sich das Gros der Schwulenbewegung am Wettstreit um gesellschaftliche Integration und Anerkennung. Wenn Lesben und Schwulen das Institut der Ehe als Keimzelle gesellschaftlicher Reproduktion nicht weniger erstrebenswert erscheint als denjenigen, die in ihr ihrer demographischen Pflicht nachkommen sollen, dann drückt sich darin der Wunsch nach einem Frieden aus, in dem das Schwache und Häßliche, das biologisch Unfitte und ökonomisch Unproduktive bestenfalls geduldet wird. Das Streben danach, in der herrschenden Eigentumsordnung einen privilegierten Platz einzunehmen, ist unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung. Wer sich für das Leben verletzlicher und verworfener, ausgebeuteter und unterdrückter Menschen und Lebewesen einsetzt, kann patriarchalischen und paternalistischen Nachstellungen in jedem Gewand und in jeder Maske ausgesetzt sein. Wirksame Herrschaftskritik setzt mithin vor allen biologischen Formen und sozialen Zuschreibungen am Fundament der Vergesellschaftung des Menschen zum Produktivfaktor ihm fremd bis feindlich gegenüberstehender Verwertungsinteressen an.

9. Januar 2014