Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


KULTUR/0997: Die Beckenbauer-Saga - neuer Skandal oder längst Teil der Show? (SB)



Einmal in der Welt, lädt die schöne Metapher vom Sommermärchen zur Fortsetzung des märchenhaften Geschehens um die Austragung der Fußball-WM der Männer 2006 in der Bundesrepublik ein. So scheint sich die Geschichte des allein für die Ehre, Deutschland zu dienen, um die Welt jettenden Franz Beckenbauer doch noch als Ente aus jenem sumpfigen Tümpel zu erweisen, der die Helden gebiert, die die Nation nun einmal braucht. Sicherlich wurden auch vor zehn Jahren Zweifel daran geäußert, daß der Zuschlag für die Fußball-WM auf ganz und gar transparente und korrekte Weise zustandegekommen sei. Auch hatte das vielzitierte Bild Beckenbauers, der mit seinem Koffer für die notwendige Reibungsarmut in den erforderlichen Entscheidungsprozessen sorgte, einen lausbübischen Charme eigener Art. Daher muß auch die mittlerweile von seinen Anwälten dementierte Behauptung [1], der Sportfunktionär habe 5,5 Millionen Euro für ein ehrenamtliches Engagement erhalten, nicht bedeuten, daß die dem "Kaiser" verdienstvoll angerechnete Erfüllung dieser nationalen Pflicht aus rein pekuniären Motiven erfolgte.

Wer angesichts des nun aufgeschlagenen und möglicherweise finalen Kapitels der Beckenbauer-Saga meint, mit seiner im Ehrenamt unentgeltlich im Glauben an die gute Sache verrichteten Arbeit an der Fußballfront hinters Licht geführt worden zu sein, will nicht wahrhaben, daß sich der symbolpolitische Ertrag des Sommermärchens nicht im luftleeren Raum selbstloser Werte, sondern in der harten Währung blanker Zahlung rechnet. Die angeblich als Katalysator eines Imagewandels, der ein ganz normales, nicht mehr im Schatten einer unseligen Vergangenheit stehendes Deutschland zum Ergebnis hatte, fungierende WM hat durchaus bewirkt, das Land in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Die damit beschworene Normalität muß sich allerdings nicht mit einem vermeintlich "positiven Patriotismus" [2] begnügen, sondern kann nationalen Erfolg auch im harten Kalkül neoliberaler Standortpolitik reklamieren.

Was in der nun angebrochenen Götterdämmerung, die den Kaiser gar ins Verlies jenes Staates führen könnte, für den er sich selbstlos aufgerieben haben soll, beklagt wird, ist mithin der gleichen Moral geschuldet, auf deren Flügeln Beckenbauer einst in den Himmel eines neuen, von der "Sauberkeit" [3] des Sportes reingewaschenen Nationalmythos gehoben wurde. Wie der Grünen-Sportpolitiker Özcan Mutlu von einer "'Neverending Story', die mit 'Lügen, Vertuschung und Verschleierung' zusammengefasst werden" [4] könne, zu sprechen unterstellt, politische wie geschäftliche Erfolge ließen sich anders als mit Ellbogenmentalität und Winkeladvokatentum erzielen. So ist das Beckenbauer angelastete Bereicherungsinteresse im privatwirtschaftlich organisierten Kapitalismus nicht nur legal und integer, es ist darüberhinaus erwünscht und vorbildhaft. Das beim Verkauf seiner Arbeitskraft zu Höchstleistungen anstachelnde Konkurrenzprinzip ist dem vom Lohnabhängigen zum Selbstunternehmer aufgestiegenen Individualbürger Lebenselixier und Bekenntnis in einem. Wie sonst sollte sich der Mensch in der immer komplexeren, von Krisen aller Art erschütterten Welt zurechtfinden, wenn er das sozialdarwinistische Prinzip nicht als allgegenwärtige Maßgabe seines Überlebenserfolges verinnerlicht hätte?

Ein Sommermärchen zu produzieren ist harte Arbeit und für den Standort Deutschland allemal Millionen wert. Sich dies auf dem Wege bezahlter Produktwerbung vergelten zu lassen mag im Nachhinein schnöde erscheinen, doch besteht der Skandal eigentlich nur im fatalen Ausgang der Inszenierung. Dabei ist aller Welt klar, daß der Spitzensport im allgemeinen und der Profifußball im besonderen von ausgetüftelten Business-Plänen und hochbezahlten Managern bestimmt ist. Um die dünne Luft, die sportive Funktionsträger dieser Preisklasse atmen, erträglicher zu machen, bedarf es weniger des Blutdopings als monetärer Anreize, auch das ist nicht einmal ein offenes, sondern gar kein Geheimnis.

Und wie Klappern in der Werbebranche zum Handwerk gehört, so ist der Skandal ein vitales Element jedes modernen Unterhaltungsmediums, also auch der als hochpreisige Ware gehandelten Sportevents. Zwar wird bislang noch gerne zwischen dem Geschehen auf dem grünen Rasen und dem Gedeale in den VIP-Lounges unterschieden, doch wird allen Beteiligten immer mehr bewußt, daß sich die Aufteilung in rein sportlichen Ehrgeiz und die Vermarktung des dabei entfachten Wettkampfes auf die Dauer nicht aufrechterhalten lassen wird. Politisch viel geschickter und unterhaltungstechnisch effizienter wäre es demnach, quasi als Moral höherer Ordnung den eminenten Wert individueller Bereicherung wie die Heiligkeit der Mittel, die sie nährt, anzuerkennen. Damit ließe sich auch die Beckenbauer-Saga wie die Glosse um den gestrauchelten Wurstfabrikanten Uli Hoeneß auf produktive Weise für die Neutralisierung und Befriedung sozialer Widersprüche nutzbar und quasi zweitverwertbar machen, anstatt am Rande des vermeintlich eigentlichen Sportgeschehens ein unwürdiges Dasein zu fristen. Oder ist dies längst der Fall, und die Inszenierung ist so überzeugend, daß es niemand merkt?


Fußnoten:

[1] http://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/franz-beckenbauers-sommermaerchen-deal-14435693.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

[2] HERRSCHAFT/1717: Winterskälte im Land des "Sommermärchens" (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1717.html

[3] KULTUR/0991: Dem "sauberen" Sport unterworfen ... (SB) http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele0991.html

[4] http://www.deutschlandfunk.de/millionenzahlung-an-beckenbauer-beschaemend-fuer-den.694.de.html?dram:article_id=365877

15. September 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang