Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


KULTUR/1011: Den Fakten unterworfen, von Fiktionen verfolgt ... (SB)



"Linker Internationalismus und liberaler Globalismus erweisen sich als Fiktionen." [1]

Es bedarf keines Donald Trump um zu ermessen, "wie wenig der linke Internationalismus erreicht hat". Wenn der Philosoph und Medientheoretiker Boris Groys in der Wochenzeitung Die Zeit [1] das America first des neuen US-Präsidenten zum Anlaß der Diagnose nimmt, "transterritoriale Ideologien" hätten ausgedient und der "Trend zur Renationalisierung" dominiere weltweit, dann bleibt er an der für die bürgerliche Presse ungefährlichen Oberfläche. Es ließe sich auch umgekehrt ein Schuh daraus machen - um die von linkem Internationalismus zumindest potentiell im Sinne einer Gegenposition, die erst mit dem vollständigen Verlöschen eines jeglichen Gedankens an die Wirkungsmacht internationaler Solidarität besiegt wäre, ausgehende revolutionäre Gefahr in Bann zu halten, werden nationalistische und sozialchauvinistische Ideologien in aller Welt unter mittelbarer wie direkter Beteiligung liberaler Eliten stark gemacht.

So sehr die kapitalistische Globalisierung mit Hilfe neoliberaler Deutungsmuster auch versucht hat, alle regionalen und nationalen Unterschiede zum level playing field der freien Marktwirtschaft einzuebnen, so erfolgte dies doch stets im Rahmen staatlicher und suprastaatlicher Regelungsgewalt. Zu keiner Zeit hat die Existenz transnational operierender Unternehmen und transterritorialer Produktions- und Handelsverhältnisse die Konkurrenz der Nationalstaaten untereinander auch nur geschwächt. Mit dem Welthandelsakommen und zahlreichen Freihandelsabkommen wurde der weltweite Geschäftsbetrieb lediglich vertraglich reguliert, wobei der Vorteil, den angeblich alle Beteiligten in Anspruch nehmen, im Auge des jeweiligen Betrachters liegt.

Das galt schon vor dem manifesten Ausbruch der Krise 2007/2008. Das Nord-Süd-Gefälle ist seitdem nur noch steiler geworden, und die soziale Verelendung im Globalen Süden nimmt ebenso drastisch zu wie die Konzentration des weltweit erwirtschafteten Reichtums in den Metropolengesellschaften Westeuropas, Nordamerikas, Japans und Chinas. Daß diese auch untereinander in Verteilungskämpfen stehen, die mit immer härteren Bandagen ausgefochten werden, ist in Anbetracht einer Überakkumulation von Kapital, der die anhaltende Wachstumsschwäche des warenproduzierenden Systems zugleich Ergebnis wie Voraussetzung ist, von geradezu zwingender Konsequenz. Wie wort- und bildmächtig die Globalisierung des kapitalistischen Weltsystems auch immer beworben wurde, sie wird von nationalstaatlichen Akteuren getragen, die vor allem eins unterlassen - der immer wieder am Rande des Krieges dahintaumelnden Krisenkonkurrenz durch die Beendigung territorial definierter Staatlichkeit und seines exekutiven Gewaltmonopols die Grundlage zu entziehen.

Der Trumpismus ist in dieser Hinsicht lediglich ein besonders deutlicher Ausdruck der Malaise, daß sich die privatwirtschaftlich organisierten Klassengesellschaften dieser Staatlichkeit und ihrer souveränen Imperative - andere Staaten zu überfallen, mit Notverordnungen durchzuregieren, die eigene Bevölkerung in Kollektivhaft von Arbeitsdiktat und Mangelregime zu nehmen - bis zum denkbar blutigen Ende unter allen Umständen weiterhin bedienen wollen. Die von Groys aufgeworfene Frage nach dem Volk stellt sich denn auch nicht im Sinne einer affirmativen Kategorie, sondern als Ergebnis des konstitutiven Prozederes, sich ein Volk nach Maßgaben des Interesses, das Staat und Kapital an ihm haben, zu schaffen. Der Umgang mit der sogenannten Flüchtlingsproblematik ist nicht das einzige, aber ein besonders bezeichnendes Beispiel für diese Praxis - im Endeffekt wird danach gefragt, wen man gebrauchen kann und wie man es schafft, die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen zu packen.

Wenn etwas Fiktion in der Arena aktueller Verteilungskämpfe ist, dann die Unterstellung, daß die Kategorie des Volkes mehr beinhaltet als das instrumentelle Verhältnis, das bestimmte Leute zu ihm unterhalten, um ihren Anspruch auf Teilhaberschaft oder Zugehörigkeit gegen andere durchzusetzen. Nicht die Frage nach dem Volk klärt auf über die Gewaltverhältnisse, mit denen der einzelne Mensch klug umgehen muß, wenn er nicht unter die Räder anwachsender Brutalität und Repression geraten will. Wenn jemand darüber überzeugend aufklärt, dann ist es The Donald, der sein ganzes Testosteron versprüht, um auf Kumpel zu machen und dennoch immer nur sich selbst zu feiern. Währenddessen besetzen die Vertreter seiner Klasse die Kommandohöhen in Staat und Gesellschaft, um jedem noch vorstellbaren sozialen Aufbegehren den Zahn einer Widerständigkeit zu ziehen, der sich nicht in symbolpolitischen Attributen verbeißt, sondern mit der klaren Analyse der herrschenden Machtverhältnisse die eigene Position bestimmt und nach vorne bringt.

Wenn Groys bestreitet, daß "mit der Wahl Trumps der Traum des Internationalismus und Globalismus definitiv ausgeträumt" sei, sondern im Endeffekt "das Pendel bald wieder vom Territorialen zum Universalen schwingt", dann verkennt er, wie wenig der liberale Globalismus von rechten und nationalistischen Ideologien zu fürchten hat. Mit der Universalisierung von Rechtsansprüchen, die den als "Responsibility to Protect" ethisch legitimierten Angriffskrieg in die humanistische Naturrechtslehre einbetten, bedient sich der liberale Globalismus eines Machtmittels, mit dem sich jeder noch so tiefe Eingriff in bürgerliche Grundrechte legitimieren läßt, geht es nur gegen die vielzitierten Feinde der Freiheit des Kapitals.

Einem solchen Universalismus kann ein die Geschichte der Menschheit als Abfolge von Klassenkämpfen begreifender Internationalismus nur auf ausschließende Weise gegenüberstehen. Sein soziales Gleichheitsprimat kann sich nicht mit einer bloßen Spiegelung dessen, was vermeintlich "ist", zufrieden geben. Genügt der verlangten Faktizität die Empirie eines von angeblichen Sachzwängen getriebenen Niedergangs und wird der dagegen gerichtete Widerspruch ins Abseits des "Postfaktischen" gerückt, dann hat man es nicht anders mit politischer Theologie zu tun, als wenn man behauptete, der Mensch sei unabänderliches Ergebnis der ihn bedingenden Umstände.

Was linker Internationalismus nicht erreicht hat, steht noch aus. Das tritt in einer Welt, deren neoliberale Gleichschaltung alles und jedes gegeneinander rechenbar und verwertbar macht, bereits als ein Akt der Überschreitung der verlangten Bescheidung des Menschen auf das Maß seiner Verfügbarkeit hervor, für den es sich zu streiten lohnt. Als Antwort auf die nicht erfolgte, die Zonen der Verelendung und Verwüstung unermüdlich als Gespenst des Kommunismus heimsuchende soziale Revolution, hat die Globalisierung des kapitalistischen Weltsystems jedenfalls versagt, so daß Groys in seinem Optimismus beizupflichten ist. Allerdings reicht es nicht aus, sich einem Pendel im Uhrwerk numinoser Geschichtskräfte zu überantworten. "Selber tun" - diese Forderung zu entstauben und auf der Höhe der Zeit ins Werk zu setzen wäre eine Aufgabe, über die sich nachzudenken lohnte, wenn auch nicht unbedingt in Blättern, die schon beim Lesen vergilben, weil sie den nahenden Winter geradezu herbeirufen.


Fußnote:

[1] http://www.zeit.de/2017/03/donald-trump-renationalisierung-russland-propaganda/komplettansicht

15. Januar 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang