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KULTUR/1042: Erderwärmung - fortgesetztes Leugnen ... (SB)



Diese Vorstellung von manchen Leuten hier in Deutschland, wir beuten hier irgendwelche Leute in Asien aus, das ist einfach kompletter Humbug.
Der Wirtschaftsethiker Christoph Lütge im Gespräch mit dem Deutschlandfunk [1]

Konsequent gegen die Zerstörung der Natur vorzugehen ist letztlich keine Frage wissenschaftlicher Beweisführung, sondern der schlichten Inakzeptanz der an Lebewesen verübten Gewalt. Von den sogenannten KlimaskeptikerInnen, die die Existenz menschengemachter Klimaveränderungen schlichtweg leugnen, unterscheidet sich die Haltung, das Problem anzuerkennen, aber keine auch nur halbwegs wirksamen Maßnahmen zu seiner Bewältigung zu ergreifen, nur im relativen Grad aktiver Beteiligung an der Fortschreibung destruktiver Verhältnisse. Die Grundlagen bioorganischen Lebens sehenden Auges an die Wand zu fahren ist eine Strategie der Ignoranz, die die Verteidigung vorhandener Besitzstände zum Preis umfassender Zerstörung bezweckt. Kommentare in bürgerlichen Medien, die sich gegen das aktivistische Entfachen von Handlungsdruck mit dem Argument richten, die Angst vor Krisen und Katastrophen seien noch nie gute Ratgeber gewesen, zeugen davon, daß man nichts Besseres anzubieten hat als sich solange freizuhalten, bis die Überzeugungskraft des Faktischen von keiner Relevanz mehr ist, weil ihr Subjekt an ihr zugrundegegangen ist.

Wieso auch sollte ein angekündigtes Unheil vermeintlich davon verschont bleibende Menschen dazu veranlassen, elementare Veränderungen ihrer sozialen und gesellschaftlichen Praxis anzustreben? Die Hoffnung, irgendwie davonzukommen, lebt bekanntlich am längsten, sprich über den Tod derjenigen, die ihr verfallen sind, hinaus. Wo ein sozialer Krieg, der Milliarden Menschen zu einem Leben voller Entbehrungen und tagtäglicher Existenzbedrohung verurteilt, mit flotter Win-Win-Rhetorik und betriebswirtschaftlichem Tunnelblick vom Tisch gewischt werden kann, ohne daß die UrheberInnen neoliberaler Apologetik ihrer akademischen Meriten verlustig gehen, da bleiben den meisten Menschen auch Prognosen über die bevorstehende Klimakatastrophe abstrakt. Es wird kein Kontakt aufgenommen zur Substanz eines Lebens, deren schmerzhaftes Vergehen Menschen schon vor einem halben Jahrhundert dazu veranlaßt hat, sich dem Kampf gegen Naturzerstörung, dem die Überwindung des sozialen Krieges selbstverständlich implizit ist, konsequent zu widmen.

Politische Entscheidungen resultieren nicht aus Wahrheitsfragen, sondern sind Ergebnisse von Prozessen machtförmiger Willensbildung. Mit dem Insistieren auf moralischen Maßstäben bei der Beurteilung politischer Entwicklungen, dem Abwägen zwischen mehr oder weniger "guten" oder "bösen" AkteurInnen wird das eigene Handlungsvermögen dem Offenbarungseid fortgesetzter Konsumerwartung überantwortet, auf daß die folgenschwere Machbarkeit aktiven Eingreifens in diese Prozesse in der Ferne einer Imagination verbleibt, die sich in den zahlreichen Inszenierungen rebellischen Handelns im kulturindustriellen Fantasma materialisiert. Solange die Frage, ob das eigene Engagement Anerkennung in den Augen der anderen findet, ja womöglich einen HeldInnenstatus begründet, wichtiger erscheint als ein Kampf, der unter verdeckten Umständen keinerlei soziale Meriten erbrächte, aber womöglich dem genuinen Anliegen weit mehr entspräche, verbleibt die Überwindung herrschaftsstrategischer Atomisierung- und Isolationsstrategien außerhalb jeglicher Reichweite.

Man ist schon bereit zu glauben, daß Handlungsbedarf besteht, den Müll zu trennen, weniger Fleisch zu essen, auf diesen oder jenen Luxuskonsum zu verzichten, aber alles hat im Rahmen einer privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung zu verbleiben, der planvolles Handelns zugunsten einer kollektiven, möglicherweise ökosozialistischen Bemühung um wirksame Verbrauchsreduzierung Anathema ist. Die von der Bundesregierung präsentierte Farce namens Klimapaket unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht so sehr von den Vorstellungen ihrer KritikerInnen, deren Green Economy als marktwirtschaftliches Projekt eine rohstoffintensive, neokolonialistische, letzterdings sozialdarwinistische Angelegenheit bleiben wird. Die parallele Austragung von Internationalem Klimagipfel und NATO-Gipfel mag Zufall sein, doch die in London erfolgenden Kampfansagen an die geostrategische Konkurrenz werfen einen langen Schatten künftiger Ressourcenkriege. Diese für Windkraftanlagen, Agrosprit und seltene Erden zu führen liegt auch im Konzept eines Green New Deals, der dem untoten Kapitalismus und seinem imperialistischen Zugriff nicht zum überfälligen Ende verhilft.

Radikale Kritik am Problem tauschwertvermittelter Akkumulationslogik, dieses Mal ohne Umweg über die gesellschaftliche Konsequenz sozialistischer Produktivkraftentwicklung, wäre das mindeste, was schon einmal intellektuell zu leisten wäre, um die Grundlage für eine materialistische Gesellschaftsveränderung zugunsten des Erhalts des Lebens vorzubereiten. Von daher bedarf das Leugnen als Strategie unausgesprochener Sicherung individueller Eigentumsansprüche nicht des moralischen Fallbeils christlicher Wahrheitsdoktrin, um der Möglichkeit verantwortungsbewußten und kräftezehrenden Tuns zu entrinnen. Es ist keine Frage der Vermittelbarkeit millionenfach vervielfältigter Erkenntnisse über den menschengemachten Klimawandel, um in Bewegung zu kommen, wie die Chronik gescheiterter politischer Bemühungen zeigt, mit den vereinten Kräften einer bei diesem Anlaß gerne adressierten "Menschheit" tätig zu werden.

In einer von nekrophiler Faszination durchdrungenen Kultur kann man es sich auch im Niedergang bequem einrichten, solange die Schwelle persönlich zu erleidender Schmerzen noch nicht überschritten wird. Die schlichte Bereitschaft, die Unteilbarkeit schmerzvollen Sterbens abzulehnen und damit auch die Grenzen zum vermeintlich anderen Lebewesen, sei es Mensch, Tier, Pflanze, einzuebnen [2], wäre ein Gegenentwurf, auf den zu warten sich nicht lohnt, denn es ist keine Frage des Preises oder des Kalküls passiven Abwartens, ihn zur Sache selbst zu machen.


Fußnoten:

[1] https://www.deutschlandfunk.de/billigprodukte-im-black-friday-sale-niemand-wird.694.de.html?dram:article_id=464611

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele1040.html

4. Dezember 2019


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