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KRIEG/1302: Israel führt Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung (SB)



Wenn deutsche Politiker und Kommentatoren ein ums andere Mal die Hamas für die Angriffe Israels auf den Gazastreifen verantwortlich machen, dann verfahren sie nach der durchsichtigen Logik jedes Aggressors, das Opfer der eigenen Gewalt auch noch zu bezichtigen, selbst an seiner Vernichtung schuld zu sein. Da die Sprachregelung des Terrorkriegs das öffentliche Bewußtsein mit einer jedes tiefere Nachdenken über die Genese kriegerischer Konflikte verhindernden Dichotomie von Gut und Böse kontaminiert hat, gehört nicht viel dazu, sich an der Drangsalierung Schwächerer schadlos zu halten. Man folgt den ausgefahrenen Spuren der Bezichtigung im Zeitalter der Selbstführung und reproduziert das neoliberale Dogma von der Eigenverantwortung, laut dem der Erwerbslose selbst schuld an seiner Misere ist, auf machtpolitischer Ebene.

Die Unterstellung, Israel verteidige sich lediglich, wurde von seiner Regierung längst widerlegt, indem man hat durchblicken lassen, daß die Planungen für diesen Angriff bereits vor einem halben Jahr begannen und daß man es auf einen Regimewechsel im Gazastreifen abgesehen hat. Da die dortige Gesellschaft desto enger zusammenrückt, je stärker der Druck der Besatzungspolitik wird, der auf ihr lastet, stellt die Zivilbevölkerung ein strategisches Ziel dar. Ihre Verluste fallen nicht nur als "Kollateralschaden" an, sondern sind Ergebnis dessen, was der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak als "umfassenden Krieg gegen die Hamas" bezeichnet.

Wenn ein dicht besiedeltes Gebiet, in dem eine ökonomisch verelendete Bevölkerung, der nicht erlaubt wird, es zu verlassen, dicht gedrängt wohnt, das über keine Luftabwehr und keine Luftwaffe verfügt, mit großkalibrigen Granaten und Bomben beschossen wird, wäre "Massaker" das angemessenere Wort. Bis auf die meist wirkungslos verpuffenden Raketen, die aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet abgefeuert werden, haben die Angreifer beim Einsatz von Distanzwaffen nichts und beim Einmarsch mit Panzern wenig zu erleiden.

Daß die Kassam-Raketen in Folge einer Politik der politischen Isolation und ökonomischen Aushungerung flogen, obwohl die Hamas immer wieder Angebote zu einer Einigung gemacht hat, die allerdings die Aufhebung der Blockade erfordert hätten, wird in der hiesigen Berichterstattung schlicht mit der Behauptung überspielt, man könne mit der islamistischen Partei keinen tragfähigen Frieden erreichen, da es sich um Terroristen handle. Dem widersprechen Angebote der Hamas, sich mit Israel auf einen Modus vivendi zu einigen, der einer Zweistaatenlösung nahekäme, und die Strategie Israels, die palästinensische Partei mit ultimativen Forderungen zu konfrontieren, ohne sich selbst auf ein äquivalentes Entgegenkommen festzulegen. Analysiert man das diplomatische Vorgehen Israels, dann tritt eine Strategie der Erpressung zutage, die sich, von der Behauptung gekrönt, man habe keine andere Wahl, als gegen die Hamas Krieg zu führen, als bodenloser Zynismus entpuppt.

Die Führung Israels versucht nicht einmal, ihr aggressives Vorgehen mit dem Anschein des guten Willens zu kaschieren. Wenn der stellvertretende Ministerpräsident Israels, Haim Ramon, erklärt, "das Ziel der Operation ist, die Hamas zu stürzen" (New York Post, 30.12.2008), wenn Verteidigungsminister Ehud Barak ankündigt, mit diesen Angriffen wolle man "die Regeln des Spiels total verändern" (Fox News), und der stellvertretende Generalstabschef Dan Harel diese Absicht dahingehend ausführt, daß die vollständige Zerstörung aller Aktivitäten der Hamas, also auch ihrer administrativen und sozialen Einrichtungen, geplant ist, dann läßt die militärische Führung Israels keinen Zweifel daran, daß sie totalen Krieg gegen eine ohnmächtige Bevölkerung führt.

"Wir greifen nicht nur Terroristen und Abschußrampen an, sondern auch die ganze Hamas-Regierung und all ihre Flügel. Wir greifen Regierungsgebäude, Fabriken, Sicherheitsabteilungen und mehr an. (...) Nach dieser Operation wird kein Hamas-Gebäude in Gaza mehr stehen, und wir planen, die Regeln des Spiels zu verändern."
(ynet news.com, 29.12.2008)

Diese Worte Harels wurden gegenüber der Washington Post (30.12.2008) von einem ungenannt gebliebenen Mitglied der israelischen Militärführung dahingehend präzisiert, daß es "viele Aspekte der Hamas gibt, und wir versuchen, das ganze Spektrum zu treffen, weil alles mit dem Terrorismus gegen Israel verbunden ist und alles ihn unterstützt". Im gleichen Artikel kommentierte Matti Steinberg, ein ehemaliger hochrangiger israelischer Sicherheitsberater, die Angriffe auf Gaza mit den Worten: "Die zivile Infrastruktur der Hamas ist ein sehr, sehr empfindliches Ziel. Wenn man Druck auf sie ausüben will, dann macht man es auf diese Weise."

Aus der Sicht der Angreifer ist es nur folgerichtig, eine Gesellschaft, die unter äußerem Druck immer enger zusammenrückt, insgesamt zum militärischen Ziel zu erklären. Die Zerstörung der zivilen Infrastruktur in Kombination mit Handelsembargos fungierte in den Kriegen gegen Jugoslawien und den Irak als wesentliches Mittel zur Schwächung des Gegners und hat insbesondere im Irak Hunderttausende entweder infolge direkter Waffengewalt oder aufgrund der ökonomischen Folgewirkungen das Leben gekostet. Es handelt sich, um im Begriffsarsenal der Neuen Weltordnung zu bleiben, um ausgemachten Terrorismus, wenn militärisch vielfach überlegene Aggressoren die Bevölkerung eines Landes zur Geisel nehmen, um dessen Regierung zu stürzen. Je mehr sich die Betroffenen mit ihrer Führung solidarisieren, desto mehr werden sie selbst zum Ziel vernichtender Maßnahmen.

Was den US-Bürgern nach dem 11. September 2001 abverlangt und in der Bundesrepublik mit Schlagzeilen wie "Heute sind wir alle Amerikaner" mitvollzogen wurde, wird den Palästinensern als Terrorismus angelastet. Schlimmer noch, die israelischen Streitkräfte rechtfertigen die Angriffe auf die Bevölkerung damit, daß sie als menschlicher Schutzschild der Hamas fungiere, und stellen sich so einen Freibrief für das Umbringen von Zivilisten aus.

In Anbetracht des breiten Spektrums möglicher Ziele, des Einsatzes großkalibriger Sprengmunition und möglicherweise auch Streubomben sowie der räumlichen Enge, unter der die Menschen im Gazastreifen leben, kann nur von einer verbrecherischen Aggression gesprochen werden. Diese erfüllt allerdings produktive Zwecke für mit Israel verbündete Staaten wie die USA und die Bundesrepublik. Indem die "Regeln des Spiels total verändert" werden, verschaffen sich auch deren Streitkräfte neue "Spielräume" im Kampf gegen Widerstandsbewegungen in Ländern, die in den ordnungspolitischen Griff ihrer geostrategischen Interessen genommen werden.

4. Januar 2009