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KRIEG/1314: Militärischer Druck schließt Friedensprozeß in Afghanistan aus (SB)



Die neue Politik des US-Präsidenten in Afghanistan erfreut sich in der Bundesrepublik keineswegs ungeteilter Zustimmung. So äußerte sich Verteidigungsminister Franz-Josef Jung unter Verweis auf die ablehnende Reaktion des Taliban-Führers Mullah Omar skeptisch hinsichtlich des Erfolgs der von Barack Obama initiierten Verhandlungsstrategie. Auch sein Staatssekretär Christian Schmidt warnte davor, nicht in die Lage zu geraten, mit "weißlackierten Terroristen" zu sprechen. Offensichtlich kommt der Bundesregierung die Offerte Obamas nur bedingt gelegen, wird damit doch die Bedeutung ihres eigenen Befriedungskonzepts, das stets als europäische Alternative zur aggressiven Strategie der US-Regierung verkauft wurde, stark gemindert. Damit ist auch die erhoffte tonangebende Rolle der Bundesrepublik beim Aufbau der afghanischen Zivilgesellschaft in Frage gestellt, was den Einfluß Berlins auf die künftige Regierung des Landes schwächt.

Der Versuch Jungs, verlorenes Terrain mit einem eigenen Vorstoß wieder zurückzugewinnen, ist allerdings erst recht zum Scheitern verurteilt. Der während seines Besuchs in Afghanistan an die Taliban gerichtete Appell, "der Gewalt abzuschwören und sich für eine friedliche Entwicklung einzusetzen", ist rein symbolischer Art und dürfte bei den Widerständlern, die die Besatzungstruppen als illegitime Aggressoren betrachten, bestenfalls für Erheiterung sorgen. Ohne ein konkretes Angebot wie etwa die Ankündigung des Rückzugs der NATO aus Afghanistan oder die Beteiligung der Taliban an der Regierung in Kabul ist auf diesem Feld nichts zu erreichen.

So dürfte Jungs Geste denn auch mehr dem Versuch geschuldet sein, den Eindruck zu verstärken, daß die Initiative der US-Regierung von irrigen Voraussetzungen ausgeht. Sein Insistieren darauf, daß Gewaltverzicht "eine unbedingte Voraussetzung für eine Annäherung" sei, stellt eine Aufforderung zur Kapitulation dar, der nachzukommen die Taliban nach mehreren Jahren des Kampfes gegen die NATO-Truppen und den dabei erzielten Geländegewinnen keinen Grund haben. Indem Jung die ablehnende Haltung Mullah Omars in eine pessimistische Prognose ummünzt, schließt er Verhandlungen, bei denen es darum geht, daß beide Konfliktparteien in einem Prozeß des Gebens und Nehmens von ihren Maximalpositionen abrücken, von vornherein aus. Indem Jung sich dazu versteigt, eine Befriedung nur unter der Bedingung in Aussicht zu stellen, daß die andere Seite seine Forderung erfüllt, dreht er an der Eskalationsschraube und gibt zu erkennen, daß ein endgültiger militärischer Sieg über die Taliban durchaus in seinem Kalkül enthalten ist.

Keinesfalls erfolgversprechender ist die von US-Vizepräsident Joe Biden eingeschlagene Richtung, den Widerstand der Taliban und anderer Gruppierungen wie Hezb-i Islami in seiner Entschlossenheit nicht ernst zu nehmen. Bei seinem ersten Auftritt vor dem NATO-Rat in Brüssel am Dienstag behauptete er, 70 Prozent der Kämpfer hätten sich den Taliban nur angeschlossen, weil sie Geld dafür bekämen, und nur fünf Prozent seien so radikal, daß sie allein den Krieg wollten. Indem Biden das Gros der Taliban als käufliche Söldner darstellt, fordert er sie geradezu dazu heraus, das Gegenteil zu beweisen. Tatsächlich zeugt diese Einschätzung vor allem davon, wie wenig der US-Vizepräsident von der afghanischen Stammesgesellschaft weiß.

So vertritt der britische Journalist Chris Sands in der englischsprachigen Februarausgabe von Le Monde Diplomatique die Ansicht, daß der wachsende Zulauf zu den Taliban wesentlich aus dem nach deren Sturz 2001 entstandene Chaos resultiert. Die Auslöschung ganzer Familien durch Bombardements der NATO, die Korruption und Willkür der in Kabul mitregierenden Führer der Nordallianz, die grassierende Armut und der allgemeine Verfall alltäglicher Sicherheit hätten dazu geführt, daß sich selbst ausgemachte Gegner der Taliban heute ihre Regierung zurückwünschen. Als Hauptschuldige dieser Entwicklung werden in zunehmenden Maße die ausländischen Truppen ausgemacht, das zumindest ergibt die Analyse dieses landeskundigen Journalisten, der mit dieser Meinung nicht alleine ist.

Eine Wiederholung der im Irak mit gewissem Erfolg durchgeführten Strategie, den sunnitischen Widerstand mit umfassenden Geldzahlungen auf die Seite der Besatzer zu ziehen, muß im Falle der Taliban oder der Hezb-i Islami keineswegs funktionieren. Während die ehemaligen Anhänger Saddam Husseins, die mehrheitlich der sunnitischen Bevölkerung angehören, vor allem deshalb für das US-Angebot empfänglich waren, weil sie in einem erbitterten Machtkampf mit Milizen der schiitischen Bevölkerungsmehrheit standen, die maßgeblichen Anteil an der Regierungsbildung in Bagdad hatte, handelt es sich bei den Paschtunen, aus denen sich die Taliban rekrutieren, um die mit Abstand größte Gruppe unter den Afghanen. Die Taliban hatten den Einfluß der Nordallianz, die hauptsächlich aus anderen ethnischen Gruppen wie Tadschiken und Usbeken bestand, während ihrer Regierungszeit auf zehn Prozent des Landes reduziert, so daß sie nicht unbedingt auf die Hilfe der US-amerikanischen Truppen angewiesen sind, um ihre innerafghanischen Gegner wieder aus Kabul zu vertreiben oder sich mit ihnen in einem ohne militärischen Druck der NATO, sondern durch defensive Einflußnahme der Vereinten Nationen bei massiver ziviler Wiederaufbauhilfe zustandekommenden Friedensprozeß zu einigen.

Bidens Unterstellung, die Taliban seien größtenteils nur deshalb Gegner der NATO, weil ihnen noch kein besseres Angebot gemacht wurde, könnte letztlich darauf hinauslaufen, daß ein Scheitern der neuen Befriedungsstrategie der US-Regierung den Krieg am Hindukusch erst recht eskalieren ließe. Das trifft auch auf Obamas Doppelstrategie zu, einerseits die Zahl der US-Truppen in Afghanistan massiv aufzustocken und andererseits vermeintlich kooperationswilligen Teilen der Taliban das Angebot zu machen, sie in den politischen Prozeß zu integrieren. Sollte dies nicht zu den von der US-Regierung gestellten Bedingungen erfolgen, dann ist mit einer Ausweitung der Kriegführung der NATO in Afghanistan zu rechnen.

11. März 2009