Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1346: Scheindebatte um militärische Probleme in Afghanistan (SB)



Während in den USA nicht mehr nur Gegner des Afghanistankriegs, sondern auch dessen Betreiber eine militärische Niederlage der NATO-Truppen am Hindukusch für möglich halten, hat Verteidigungsminister Franz Josef Jung erklärt, daß die Taliban keineswegs die Oberhand gewonnen hätten. Seiner Ansicht nach ist die ISAF durchaus im Stande, Kontrolle über weite Teile des Landes auszuüben und die Taliban zurückzuschlagen. Dabei hebt er insbesondere "unsere Soldatinnen und Soldaten etwa von der Quick Reaction Force" hervor, seien diese doch durchaus in der Lage "Sicherheit herzustellen" (Focus Online, 12.08.2009). Ihre Beteiligung an einer Offensive in dem von der Bundeswehr kontrollierten Gebiet im Norden des Landes scheint deutsche Militärs wie den ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, nicht davon zu überzeugen, daß der Oberbefehlshaber der NATO, US-General Stanley McChrystal, mit seinen Sorgen um eine siegreiche Beendigung des Krieges übertreibt.

Während es US-Militärs und -Experten darum geht, mit einer öffentlichen Debatte um die schlechte militärische Lage in Afghanistan US-Präsident Barack Obama zu einer substantiellen Aufstockung der Truppen um mehrere Zehntausend auf insgesamt 100.000 US-Soldaten zu nötigen, will Jung eben dies verhindern. Nicht nur in Afghanistan ist Wahlkampf, und die Ankündigung, weitere Bundeswehrsoldaten in einen hierzulande mehrheitlich unpopulären Krieg zu schicken, könnte Wähler verschrecken. Da bis auf die Linke alle im Bundestag vertretenen Parteien den Kriegseinsatz der Bundeswehr grundsätzlich gutheißen, ist bei jeder denkbaren Zusammensetzung der künftigen Bundesregierung von der Entsendung weiterer Soldaten auszugehen.

Daß dieses Thema keine besondere Bedeutung für die Bundestagswahl zu besitzen scheint, ist nicht nur der Informationspolitik geschuldet, laut der die Bundeswehr in Afghanistan vor allem humanitären Zwecken verpflichtet sei und ansonsten die Arbeit einer angeblich legitimen Regierung in Kabul schütze. Während ökonomische und soziale Themen Hochkonjunktur haben, wird die militärische Komponente des Krisenmanagements erfolgreich als isolierte, allein um "Sicherheit" gruppierte Regierungsaktivität dargestellt. Die Bedeutung imperialistischer Weltordnungspolitik für die Handelsinteressen der exportorientierten deutschen Wirtschaft wird ebenso niedrig gehängt wie das Interesse an der militärischen Absicherung bestehender Verhältnisse in der EU und der Bundesrepublik. Zustimmung zum Afghanistankrieg herrscht nicht umsonst in privilegierten Schichten vor, wo man sehr genau weiß, daß das hohe Niveau eigener Konsumption nur unter Erhalt eines Nord-Süd-Gefälles zu bewahren ist, das Millionen von Menschen zum Hungertod verurteilt.

Prognosen um den voraussichtlichen Ausgang des Krieges wie die Ankündigung langfristiger Besatzungsperspektiven dienen der Verneblung all dessen, was einen Bundesbürger an dieser Frage interessieren könnte. Würde das Interesse hinter der angeblichen Verteidigung der Bundesrepublik am Hindukusch auf den Nenner des Klassenwiderspruchs gebracht, dann könnte dies zu einer verstärkten Opposition gegen den Krieg führen, die nicht allein friedenspolitisch motiviert ist, sondern die Kriegführung und Ausbeutung zusammendenkt. Dies zu bewirken wäre vor allem Aufgabe der Linken, doch liegt das Feld der Mobilisierung gegen Krieg und Kapitalismus weitgehend brach. Der Grund dafür liegt in der geringen Bereitschaft der Linken, im Grundsatz antikapitalistisch zu argumentieren, anstatt den Eindruck zu erwecken, das herrschende System wäre zum Zwecke eines Wohlstands reformierbar, über dessen räuberische Genese man lieber nicht so laut spricht.

12. August 2009