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KRIEG/1395: Unionsparteien für Aufstandsbekämpfung nicht nur in Afghanistan (SB)



Die Forderung nach Änderung der "sicherheitspolitisch relevanten Artikel des Grundgesetzes", die der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Ernst-Reinhard Beck, erhebt (Spiegel Online, 18.12.2009), belegt, daß die Kunduz-Affäre zu einem Aktivposten des deutschen Militarismus aufgebaut werden soll. Anstatt das Massaker vom 4. September zum Anlaß des schnellen Abzugs der Bundeswehr aus Afghanistan und zu einem Stolperstein für künftige Auslandseinsätze werden zu lassen, produziert die Schadensanalyse operative Handlungsnotstände, mit Hilfe derer die Einsatzdoktrin der Bundeswehr aggressiver formuliert werden soll.

Der innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl, sekundiert Beck mit der Forderung, daß die Deutschen "in der afghanischen Wirklichkeit ankommen" müßten: "Es sind kriegsähnliche Handlungen, dort schießen Menschen auf Menschen". Fernab jeder Frage danach, welche Rolle die Bundeswehr dabei spielt und wieso sie überhaupt in Afghanistan kämpft, verlangt Uhl: "Wir müssten unsere Verfassung auf die Wirklichkeit asymmetrischer Bedrohungen hin umschreiben", ansonsten könne "die Bundeswehr nicht der Bündnispartner in der Nato sein, der benötigt wird" (Spiegel Online, 18.12.2009).

Im Klartext bedeutet dies, daß die Streitkräfte der Bundesrepublik in die Lage versetzt werden sollen, sich an jeder Grausamkeit zu beteiligen. Die als globale Ordnungsmacht der westlichen Industriestaaten aufgestellte NATO soll ihre Kernkompetenz, die gewaltsame Durchsetzung imperialistischer Interessen in Staaten, die diesen nicht entsprechen, so ungebunden durch rechtliche und politische Beschränkungen wie möglich ausüben können. Wie haltlos die im Vorfeld von Aggressionskriegen präsentierten Legitimationskonstrukte sind, belegt die von Beck vertretene Behauptung, die Besatzungsmächte seien auf Einladung der afghanischen Regierung im Land. Diese wurde nach der Eroberung 2001 unter massivem Einfluß der Angreifer eingesetzt und autorisiert die Interessen ihrer Schutzmacht.

Als durch äußere Intervention an die Macht gelangte und mit einem manipulierten Wahlergebnis in ihrem Amt bestätigte Administration besitzt die jetzige Regierung in Kabul weniger Legitimität als jene Machthaber, die sich vor 30 Jahren mit der Bitte um militärische Hilfe gegen einen von der CIA unterstützten Aufstand an die Sowjetunion gewendet hatten. Damals wurde der Kreml von den gleichen NATO-Staaten, die heute als Besatzungsmacht fungieren, bezichtigt, Afghanistan illegal besetzt zu haben.

Daher ist es nur konsequent, wenn Uhl anhand einer völlig unbestimmten, allein seinen voluntaristischen Wahrheitsanspruch repräsentierenden Wirklichkeit die sogenannte Aufstandsbekämpfung in Kolonialkriegen propagiert. Asymmetrisch an der Bedrohung, der die Bundeswehr in Afghanistan ausgesetzt ist, ist die militärische Unterlegenheit der Besatzungsgegner, die diese versuchen, durch Guerillataktiken wettzumachen. Das Feindbild der Besatzungsmächte von den einheimischen Kombattanten auf die ganze Zivilbevölkerung entufern zu lassen ist die logische Folge ihrer Bereitschaft zur Eskalation der Gewalt. Um sich nicht der vorsätzlichen Ermordung von Zivilisten schuldig zu machen, wird unterstellt, daß die Besatzungsgegner die Bevölkerung als menschliche Schutzschilde mißbrauchten und gezielt der Gefahr aussetzten, durch Angriffe der Besatzer Schaden zu nehmen.

Die angebliche Ununterscheidbarkeit von Kombattanten und Zivilisten ergibt sich schon daraus, daß der einheimische Widerstand nach einer Eroberung durch äußere Kräfte stets irregulären Charakters ist und stets aus bestimmten Gruppen der Bevölkerung erwächst. Indem die Taliban bezichtigt werden, vernichtende Angriffe der NATO willkürlich herbeizuführen, verschaffen sich die Aggressoren einen legalistischen Schutzschild. Dies dokumentiert auch die Aussage des CDU-Politikers Beck in der Radiosendung Kontrovers des Deutschlandfunk:

"Tatsache ist doch, daß gerade diese asymmetrische Kriegführung es äußerst schwierig macht, zwischen Zivilisten und Kombattanten zu unterscheiden auch etwa gerade am 4. September. Was ist das Merkmal? Wir haben hier im Grunde eine Art von Partisanenkrieg, wo das Produzieren von zivilen Opfern genau mit einer der zynischen Kalküle in dieser Auseinandersetzung ist. Es steht einem ja nicht auf die Stirn geschrieben: 'Ich bin ein Taliban' oder 'ich bin ein Zivilist'."
(Deutschlandfunk, 21.12.2009)

Beck macht sich mit dieser im Deutschlandfunk mehrfach von ihm angeführten Behauptung die Argumentation des Professors für Neue Geschichte an der Bundeswehruniversität, Michael Wolffsohn [siehe POLITIK/KOMMENTAR-KRIEG/1393] zu eigen, die auf nichts anderes als die Totalisierung der Kriegführung durch die offizielle Berechtigung der Bundeswehr, bei Auslandseinsätzen Angriffe auf die Bevölkerung eines anderen Landes durchzuführen, hinausläuft. Dies im Grundgesetz zu verankern würde nicht nur das Gewaltverbot der UN-Charta unterlaufen, sondern die für das konstitutionelle Selbstverständnis der Bundesrepublik maßgebliche historische Verantwortung für zwei Weltkriege in die Ermächtigung umwandeln, sich weiterer militärischer Aggressionen eben nicht schuldig zu machen, sondern diese mit legalistischer Rückendeckung einer militarisierten Verfassung zu begehen.

Und nicht nur das ... die rechtswirksame Aufhebung der Unterscheidung zwischen Kombattant und Zivilist hätte auch Konsequenzen für den von den Unionsparteien angestrebten Einsatz der Bundeswehr im Innern. Wenn Beck bedauert, daß die sicherheitspolitische Verfassungsdiskussion "1968 bei den Notstandsgesetzen stehengeblieben" sei, und die Bundeskanzlerin vertritt, daß die Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Sicherheit überkommen sei, eben weil man es in beiden Fällen mit asymmetrischen Bedrohungen zu tun habe, dann steht nichts anderes als die Etablierung einer Bürgerkriegsarmee und die Ausweitung der ihren Einsatz gegen die deutsche Bevölkerung legitimierenden Notstandsvollmachten auf der sicherheitspolitischen Agenda der Regierungsparteien CDU/CSU.

Diese Marschrichtung macht deutlich, daß die Debatte um die Kunduz-Affäre von der Opposition nicht grundsätzlich genug geführt werden kann. Da dazu bestenfalls die Linke in der Lage ist, sind SPD und Grüne durch die eigene parlamentarische Befürwortung aggressiver Kriegshandlungen doch so korrumpiert, daß ihnen Ablenkungsmanöver und Stellvertreterdebatten gerade in dieser Frage zur zweiten Natur geworden sind, ist es einmal mehr Sache der Bundesbürger, ihren Widerstand gegen eine solche Politik durch die Unterstützung der Friedensbewegung und NATO-Gegner zu artikulieren.

21. Dezember 2009