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KRIEG/1448: Oberst Klein entlastet, robuste Rechtsnorm für künftige Kriege erwirtschaftet (SB)



Der von dem Bundeswehr-Oberst Georg Klein angeordnete Luftangriff auf zwei Tanklaster am 4. September 2009 nahe der nordafghanischen Stadt Kunduz, bei dem bis zu 142 Menschen getötet wurden, stellt laut Erklärung der Bundeswehr vom 19. August "kein Dienstvergehen" dar. Aus diesem Grund habe man die disziplinarrechtlichen Ermittlungen gegen Klein eingestellt, so die lakonische Benachrichtigung der Presse. In ihr beruft sich das Heer auf die Entlastung Kleins durch die Bundesanwaltschaft, die ihr Ermittlungsverfahren gegen den Offizier im April eingestellt hatte, "weil sein Handeln nach den maßgeblichen Kriterien des humanitären Konfliktvölkerrechts rechtmäßig war". [1]

Damit ist auch die denkbar geringste Form einer Beanstandung des Vorgehens Kleins aus der Welt. Der für den folgenschwersten Angriff der Bundeswehr überhaupt zuständige Offizier hat dementsprechend in jeder Beziehung rechtmäßig und korrekt gehandelt. Mit dieser Bewertung stellt sich die Bundeswehr in erster Linie selbst einen Persilschein aus, geht es bei der bald ein Jahr andauernden Debatte um die Legalität und Legitimität dieses Massakers doch um weit mehr als die Frage, ob ein einzelner Soldat sich schuldig gemacht hat oder nicht. Zur Disposition steht die militärische Aggressivität, mit der die sogenannte Einsatzarmee künftig zu Werke gehen kann. Nach diesem jüngsten Entlastungsakt kann Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zufrieden sein - niedriger konnten die Rechtsschranken der deutschen Kriegführung nicht gelegt werden, als durch die legalistische Gutheißung dieses verheerenden Luftangriffs erfolgt.

Ein Schlußstrich gezogen wurde damit auch unter die politische Debatte, in deren Verlauf Guttenberg seine erste Bewertung, laut der der Angriff "militärisch angemessen" gewesen wäre, unter Druck der Oppositionsparteien in ihr Gegenteil verkehrte. Was immer noch im Kunduz-Untersuchungsausschuß verhandelt werden wird, mit der auf jeder rechtlichen Ebene erfolgten Bestätigung der Entscheidung Kleins, im Sinne der deutschen Kriegführung korrekt gehandelt zu haben, ist die Luft raus. Das geht auch aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs hervor, der der finalen Entlastung Kleins gleichen Tags mit der Ablehnung der Forderung der SPD und Linken, den Guttenberg mit dem früheren Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Ex-Staatssekretär Peter Wichert vor dem Ausschuß aufeinandertreffen zu lassen, entsprach.

Kurz vor dem Datum, an dem sich der Luftangriff auf die Tanklaster jährt, sind damit nicht nur symbolischpolitisch letzte Hindernisse für eine entschiedenere Kriegführung am Hindukusch aus dem Weg geräumt worden. Dieser Kurs liegt schon des längeren an, wie eine von der Leipziger Volkszeitung letztes Jahr (12.12.2009) verbreitete Information belegt. Laut dieser hatten sich das Bundeskanzleramt, das Verteidigungsministerium und die mit der Koordination der Geheimdienste beauftragten Regierungsbeamten schon vor dem Luftangriff von Kunduz auf eine neue Eskalationsstufe in Afghanistan geeinigt. Zur geplanten Einsatzstrategie, die sich bereits in der Lockerung der auf den Taschenkarten der Soldaten mitgeteilten Rules of Engagement im Juni 2009 niederschlug, soll die gezielte Liquidierung der Taliban-Führungsstruktur gehören. Vorgesehen ist zudem eine engere Zusammenarbeit zwischen dem Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr, dem Auslandsgeheimdienst BND und dem US-Auslandsgeheimdienst CIA.

Dementsprechend gab es von Anfang an Zweifel an der Behauptung Kleins, die Tanklaster lediglich angegriffen zu haben, weil er einen Angriff auf das Basislager der Bundeswehr befürchtete. Diese Aussage erschien schon deshalb unglaubwürdig, weil die Taliban mit den permanent unter Beobachtung befindlichen Tanklastern keinen überraschenden Angriff mehr hätten durchführen können. Zudem hätte ein vorbeugender Angriff der Bundeswehr auch am Boden erfolgen können, waren die LKWs doch auf Sandbänken des Kunduz-Flusses festgefahren. Dabei wäre die Möglichkeit, daß Zivilisten ums Leben gekommen wären, sehr viel geringer gewesen.

Auch die Ablehnung des von den US-Piloten angebotenen Überflugs, der den zum Benzinzapfen herbeigeeilten Dorfbewohnern Gelegenheit zur Flucht gegeben hätte, spricht für die aggressive Intention des Angriffs. Diese Show of Force hätte eben auch die Taliban gewarnt, so daß deren maximale Schädigung nicht erfolgt wäre. Daß Klein fälschlicherweise einen Feindkontakt behauptet hatte, ohne den er keinen Angriffsbefehl erteilen konnte, war vom damaligen ISAF-Oberkommandierenden, US-General Stanley McChrystal, ausdrücklich gerügt worden.

Der Möglichkeit, daß der Luftangriff dazu gedacht war, die Taliban durch größten Personenschaden von weiteren Attacken auf die wichtige nordafghanische Nachschubroute der Besatzungsmächte abzuhalten und ihre Unterstützer in der Bevölkerung einzuschüchtern, wurde niemals ernsthaft untersucht. Dabei läge diese Intention allemal auf der Linie der Präventivdoktrin, der sich die NATO-Truppen in Afghanistan verschrieben haben. Die Süddeutsche Zeitung (12.12.2009) hatte aus dem ISAF-Untersuchungsbericht zitiert, Oberst Georg Klein "wollte die Menschen angreifen, nicht die Fahrzeuge". Wortwörtlich soll er in einem von ihm selbst verfaßten Bericht erklärt haben, die Taliban "vernichten" zu wollen.

Spiegel Online (12.12.2009) zitiert aus einer Meldung, die Klein am 5. September verfaßt haben soll: "Am 4. September um 01.51 Uhr entschloss ich mich, zwei am Abend des 3. September entführte Tanklastwagen sowie an den Fahrzeugen befindliche INS (Insurgents, auf Deutsch: Aufständische) durch den Einsatz von Luftstreitkräften zu vernichten." Er habe die Bombardierung befohlen, "um Gefahren für meine Soldaten frühzeitig abzuwenden und andererseits mit höchster Wahrscheinlichkeit nur Feinde des Wiederaufbaus zu treffen". Was sich in der Diktion Kleins defensiv anhört, bedeutet nichtsdestotrotz, daß er den Luftangriff nicht aus akutem Handlungsbedarf heraus befahl, sondern eine für die deutschen Truppen besonders risikoarme Vorgehensweise wählte.

Es entspricht militärischer Logik, den militärischen Erfolg auch im Bereich sogenannter Prävention dadurch zu sichern, daß der Gegner, wie bei der im Irak angewendeten Shock and Awe-Doktrin, mit massiven Mitteln attackiert wird. Daß dies im Lichte offizieller Untersuchungen anders dargestellt wird, ist der Verrechtlichung des Krieges geschuldet. Sie soll einerseits Gewaltexzesse verhindern, legalisiert den Krieg aber andererseits auf eine Weise, mit der sich selbst Gründe für Aggressionen gegen souveräne Staaten erwirtschaften lassen. Diese Ambivalenz ist, wie die schrittweise rechtliche Entregelung deutscher Kriegführung zeigt, ein Einfallstor für Interessen, die gerade nicht im Sinne der am meisten von kriegerischer Aggression Betroffenen handeln.

Welche Rolle die Sondereinheit Task Force 47 (TF 47) bei der Entscheidungsfindung spielte, in deren Befehlsstelle Klein seine Entscheidung traf, bleibt dementsprechend unaufgeklärt. Allein daß zwei geheim agierende Sicherheitsorgane, das Kommando Spezialkräfte (KSK) und der Bundesnachrichtendienst, in ihr das Sagen haben, erinnert an den von der US-Regierung geführten Terrorkrieg, in dem die CIA Raketenangriffe auf Taliban in Pakistan durchführt, obwohl sie dazu kein völkerrechtliches Mandat hat, und in dem Special Forces Mordaufträge an einzelnen Taliban vollstrecken. Bei beiden Formen des sogenannten Targeted Killing kommen zahlreiche Zivilisten ums Leben.

Daß sich die Bundeswehr ebenfalls "gezielter Tötungen" bedient, hat zuguterletzt der ISAF-Sprecher, Brigadegeneral Josef Dieter Blotz, im Interview mit dem Tagesspiegel (17.08.2010) bestätigt. Auf die Frage, ob er ausschließen könne, daß deutsche Soldaten an derartigen Tötungsaktionen teilnähmen, antworte Blotz:

"Gezielte Tötungen durch Spezialkräfte der Bundeswehr hat das Verteidigungsministerium definitiv ausgeschlossen. Das Kommando Spezialkräfte, KSK, der Bundeswehr ist jedoch auch dafür eingesetzt worden, Netzwerke von Extremisten auszuschalten. Abgesehen davon sollte man dieses etwas reißerisch dargestellte Thema nüchterner betrachten. Es ist völlig klar und völlig verständlich, dass Extremisten, deren Hauptbeschäftigung darin besteht, unsere Soldaten zu erschießen und in die Luft zu sprengen, verfolgt und bekämpft werden müssen. Wenn man über Informationen verfügt, wo solche Extremisten zu finden sind, muss versucht werden, diese auszuschalten noch bevor sie unsere Soldaten angreifen können. Genau darum geht es. Das ist im Wesentlichen die Aufgabe von Kräften, die speziell dafür ausgebildet, ausgerüstet und trainiert sind. Die Spezialkräftekapazität ist in Afghanistan in den letzten anderthalb Jahren ganz erheblich erhöht worden. Das ist absolut notwendig. Wir brauchen genau diese Spezialkräfte, um Talibannetzwerke effektiv ausschalten zu können. Es dürfte Ihre Leser auch interessieren, dass bei 80 Prozent unserer Spezialkräfteeinsätze kein einziger Schuss fällt. Und das gibt eine gute Vorstellung davon, wie gut es gelingt, Extremistenführer aus dem Verkehr zu ziehen und diese dann zu verhören." [2]

Es bleibt eben nicht beim Verhör, wie die restlichen 20 Prozent der Einsätze, in denen geschossen wird, belegen. Erschwerend hinzu kommt die Kollaboration der Bundeswehr mit anderen Besatzungstruppen, die insbesondere im Falle der US-Streitkräfte höchst brutal mit ihren Gefangenen umgehen. Nachdem deren Mordpraxis durch von Wikileaks freigesetzten Militärdokumente bestätigt wurde, scheint es höchste Zeit zu sein, die Bundesbürger daran zu gewöhnen, daß auch deutsche Soldaten auf Menschenjagd gehen. Dies fällt um so leichter, als die Bundesanwaltschaft im März dieses Jahres den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr als "nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des Völkerrechts" klassifizierte. Damit ist die Bundeswehr spätestens dann, wenn sie Waffengewalt anwendet, Kriegspartei in einem inneren Konflikt.

An diesem nimmt sie, so behauptet es die offizielle Lesart, auf Einladung der Regierung Afghanistans teil. Mit deren postulierter Souveränität läßt sich allerdings kaum in Übereinstimmung bringen, daß ihre Rechtshoheit im Falle der Strafverfolgung auf ihrem Staatsgebiet begangener Kriegsverbrechen durch Verträge mit den Besatzern aufgehoben ist. Als deren Marionette sorgt die Kabuler Regierung für einen völkerrechtlichen Status, der die NATO-Staaten begünstigt. In einem internationalen bewaffneten Konflikt wären die Taliban als Kriegspartei etwa durch den ihnen dann zugestandenen Kombattantenstatus auf eine Weise aufgewertet, der die Handlungsfreiheit der NATO-Staaten deutlich einschränkte.

Diese völkerrechtliche Einstufung des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr verändert dessen Rechtsgrundlage elementar. Von nun an beruhen die Einsatzregeln auf dem Völkerstrafgesetzbuch und nicht mehr auf dem Strafgesetzbuch, das Tötungsakte nach deutlich engeren Kriterien beurteilt. Während in letzterem Fall bereits die Straftat des Totschlags gegeben ist, wenn der Soldat die Tötung von Zivilpersonen für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, sieht das VStGB laut § 11 I Nr. 3 die Strafbarkeit eines militärischen Angriffs lediglich dann vor, wenn die dabei erfolgende "Tötung oder Verletzung von Zivilpersonen (...) in einem Ausmaß verursacht wird, das außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht" [3].

Die Bundesanwaltschaft ging auf Nummer sicher und stellte fest, daß Klein und der ihm zur Seite stehende Unteroffizier nicht davon ausgegangen wären, daß sich Zivilisten im Umfeld der Tanklaster aufgehalten hätten, als sie den Angriffsbefehl gaben. Sie konnten "nach gewissenhafter und immer wieder aktualisierter Prüfung aller ihnen zum Geschehensablauf bekannten Fakten und Umstände annehmen, dass ausschließlich Aufständische vor Ort waren" (Spiegel Online, 19.04.2010). Klein mit Hilfe der sich zuarbeitenden Instanzen der Besatzungsmächte den Vorsatz nachzuweisen, den Angriff gezielt gegen Zivilisten gerichtet zu haben, wäre ohnehin kaum möglich gewesen.

Um alles wasserdicht zu machen, konstatierte die Bundesanwaltschaft zudem, daß es sich bei der Bombardierung auch ohne unmittelbare Bedrohung der Bundeswehr um eine völkerrechtlich zulässige Kampfhandlung gehandelt habe. Sie gestand Klein im Sinne des VStGB zu, selbst für den Fall, daß "mit der Tötung mehrerer Dutzend geschützter Zivilisten hätte gerechnet werden müssen", dies "bei taktisch-militärischer Betrachtung nicht außerhalb jeden Verhältnisses zu den erwarteten militärischen Vorteilen gestanden" hätte. Sowohl "die Vernichtung der Tanklastzüge als auch die Ausschaltung ranghoher Taliban" hätten eine "nicht zu unterschätzende militärische Bedeutung" [4] gehabt.

Mit dieser Bewertung, an der Militärstrategen mitgeschrieben haben müssen, wurde eine legalistische Norm der Kriegführung gesetzt, die der Bundeswehr nicht nur für die Rehabilitierung Kleins vom Vorwurf eines Verstoßes gegen die Wehrdisziplinarordnung gute Dienste leistet. Da die Juristen der Bundesanwaltschaft vom Bundesjustizministerium handverlesen werden, ist ihr die Staatsräson mindestens so heilig wie die Buchstaben des Gesetzes. Das der deutschen Expansionspolitik gemäße Abschmettern aller Versuche, die rot-grüne Bundesregierung 1999 wegen des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen die Bundesrepublik Jugoslawien haftbar zu machen, durch den damaligen Generalbundesanwalts Kay Nehm bietet für diese Behauptung hervorragendes Anschauungsmaterial.

Nachdem sich die Bundesregierung auch der moralischen Verantwortung für den Luftangriff vom 4. September 2009 entledigt hat, indem sie den Hinterbliebenen der Opfer 5000 Dollar pro Toten zugestand, die ausdrücklich nicht als Schuldeingeständnis zu verstehen sind, darf die Angelegenheit als weitgehend bewältigt verstanden werden. Und nicht nur das, das Massaker wurde durch die Etablierung robuster Rechtssicherheit für die Kampftruppen der Bundeswehr so einsatzfest gemacht, daß neuen Kriegsabenteuern nichts mehr im Wege steht. Es sei denn, die deutsche Bevölkerung entschließt sich, massenhaft auf die Straße zu gehen und den Abzug aus Afghanistan zu fordern. Doch auch das ist wenig wahrscheinlich, wird sie doch in den sich immer enger ziehenden Würgegriff eines Überlebensprimats genommen, das, auf den Nationalstaat, EU und NATO übersetzt, gezieltes wie ungezieltes Töten in weit entfernten Ländern als kausale Voraussetzung des eigenen Wohlergehens plausibel macht.

Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,712780,00.html

[2] http://www.tagesspiegel.de/politik/wir-haben-auch-fehler-gemacht/1904594.html

[3] http://imi-online.de/download/MiH-April-2010.pdf

[4] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,698922,00.html