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KRIEG/1459: "Archaische Kämpfer" auf Trophäenjagd - Demütigung als Kriegstaktik (SB)



Der "archaische Kämpfer", den der ehemalige Generalinspekteur des deutschen Heeres, Generalleutnant Hans-Otto Budde, zum Leitbild der Bundeswehr erklärt hat, macht in jüngster Zeit mit Sitten und Gebräuchen von sich reden, die so archaisch sind, daß man es wohl so nicht gemeint haben will. Gegen mehrere Mitglieder des australischen und US-amerikanischen Kontingents der in Afghanistan stationierten Besatzungstruppen wurden Kriegsgerichtsverfahren wegen der willkürlichen Ermordung von Zivilisten, der Aneignung von Leichenteilen und anderem eröffnet. Vorgeworfen wird den Soldaten nicht die professionelle Verrichtung ihres Jobs, sondern dessen passionierte, um nicht zu sagen lustvolle Ausübung.

Wenn das Sammeln von Fingern zwecks Fertigung einer Halskette oder Schädeln als Kriegstrophäe mit der Ermordung der Personen, deren Körper zur Beute werden, einhergeht, dann wird damit nicht nur eine Grausamkeit exemplifiziert, die unter Eroberern stets üblich war, um die von ihnen attackierten Bevölkerungen zur schnellen Kapitulation zu nötigen. Unübersehbar wird in der Zerstückelung und Aneignung der Leichen des Feindes auch der räuberische Charakter des kriegerischen Übergriffs. Rituale dieser Art scheinen so selten nicht zu sein, wie etwa das Präsentieren von Schädeln allerdings nicht von ihnen getöteter Afghanen durch Soldaten der Bundeswehr belegt. Auch hatte der unter acht Soldaten wegen derartiger Taten hauptangeklagte Unteroffizier der US-Armee damit geprahlt, daß er schon im Irakkrieg wegen ähnlicher Taten aufgefallen, aber nicht belangt worden wäre.

Bei besonders brutalen Übergriffen auf Zivilisten und Kriegsgefangene haben die vorgesetzten Offiziere der US-Streitkräfte stets den Versuch unternommen, die Angelegenheit unter den Teppich zu kehren. Dennoch an das Licht der Öffentlichkeit gelangten sie meist nur aufgrund des beherzten Einsatzes von Zeugen, die nicht selten ihr Leben oder zumindest ihre Karriere bei dem Versuch riskierten, die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Die Aufdeckung der Folterungen im irakischen US-Lager Abu Ghraib wurde durch Fotos bewirkt, die nur die Spitze des Eisbergs der dort verübten Grausamkeiten illustrieren, wird das Gros der vorhandenen Aufnahmen von, wie US-Senatoren nach der Sichtung berichteten, weit schrecklicheren Bildern doch unter Verschluß gehalten.

Auch die jetzt vor einem Militärgericht stehenden Trophäenjäger haben sich gerne bei ihrem morbiden Treiben abgelichtet, doch das Pentagon übt sich in Schadensbegrenzung und hält die Aufnahmen unter Verschluß. Bezeichnenderweise wurde der Soldat, der die Affäre durch seine Meldung anstieß, selbst unter Anklage gestellt. Die Armeeführung versucht, ihn als schuldhaften Mittäter zu stigmatisieren, obwohl das Leben des Informanten akut bedroht ist und er an unbekanntem Ort isoliert in Haft gehalten wird. Besser als mit solch einem Vorgehen könnte man die vermeintliche Kameradenpflicht, auch übelste Vergehen anderer Soldaten zu decken, nicht durchsetzen.

Militärische Gewaltapparate sind aufs Töten und Zerstören zugerichtet, und jede Hemmschwelle, die ihnen zumindest theoretisch auferlegt wird, mindert ihre kriegerische Effizienz. Die von den Regierungen und Medien gerne kolportierte Behauptung, es handle sich bei den Tätern lediglich um einige schwarze Schafe inmitten der großen Mehrheit korrekter und gesetzestreuer Soldaten könnte denn auch nicht irreführender sein. So berichteten US-Soldaten nicht nur aus Kampfeinsätzen, sondern nach ihrem Einsatz als Wächter in Guantanamo, daß sie systematisch auf das Verüben von Grausamkeiten aller Art abgerichtet wurden. Dementsprechend herrscht in den Streitkräften demokratischer Staaten eine Kultur der Straflosigkeit vor, deren Normalität der Verrechtlichung eines Zerstörungswerks Rechnung trägt, die zivilisieren soll, was seines menschenfeindlichen Charakters nicht zu entledigen ist. Selbst wenn die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts im Einzelfall zur Einhegung gewaltsamer Aktionen führen sollten, besorgt das Primat militärischer Siege, daß es vor allem als Legitimationsvehikel zur moralisch unbeschwerteren Kriegführung instrumentalisiert wird.

Wie konsequent die Maximierung kriegerischer Gewalt trotz ihrer Verrechtlichung betrieben wird, belegen auch die Drohnenangriffe der USA auf pakistanisches Gebiet. Im Endeffekt entscheidet die Definitionsmacht der NATO-Staaten darüber, daß diese Aggressionen als Akt der Verteidigung legitimiert werden. Der archaische Charakter des Krieges liegt in der Totalität der angewendeten Gewalt, die durch nichts in Frage zu stellen ist, solange sie jeden, der dies tun könnte, in letzter Konsequenz mit Vernichtung bedroht. Im Vollzug dieser Gewalt liegt doppelter Triumph: zum einen wird der Feind der Möglichkeit enthoben, seinerseits zum Zuge zu kommen, zum andern suggeriert die dabei verspürte Macht eine Überlebenssicherheit, deren trügerischer Charakter nichts an ihrer rauschhaften Attraktivität ändert.

Darin liegt auch die Wurzel der immer wieder anzutreffenden Trophäenjagd in Afghanistan eingesetzter Soldaten. Sie bedienen sich einer magischen Praxis, die nur scheinbar aus dem Rahmen staatlich organisierter Kriegführung fällt. Auch diese arbeitet mit allen Mitteln der Beschwörung eigener Stärke und der Demütigung des Feindes, den noch vernichtender in den Staub zu treten, wenn er sich voller Empörung über die eigene Erniedrigung erhebt, nicht nur befriedigend, sondern dann auch rechtens ist.

Wenn wiederholt Beispiele der Demütigung palästinensischer Gefangener durch israelische Soldaten bekannt werden und im Internet zu betrachten sind, dann ist das eben nicht "witzig" gemeint, sondern stellt eine Herausforderung grundsätzlicher Art dar. Um eine mit Handschellen gefesselte und mit Augenbinde orientierungslos gemachte Frau, die sich schutzsuchend an eine Wand lehnt, fröhlich herumzutanzen [1], stellt eine ausgesuchte Form der Erniedrigung dar, die zur weiteren Eskalation des gespannten Verhältnisses zwischen Israelis und Palästinensern beiträgt. Derartige Provokationen von Staats wegen zu rügen ändert nichts am Gewalt jeglicher Art legitimierenden Feindbild, das in diesem und in anderen Fällen mit allen Mitteln zum Ausbund des Bösen überhöht wird. Archaische Grausamkeit bestimmt mithin nicht nur das Schlachtfeld, archaisch sind auch die Rituale der Dehumanisierung des anderen zum zu vernichtenden Feind.

Fußnote:

[1] http://www.haaretz.com/news/diplomacy-defense/youtube-clip-shows-idf-soldier-belly-dancing-beside-bound-palestinian-woman-1.317177#

7. Oktober 2010