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KRIEG/1480: Kriegsallianz gegen Libyen legitimiert sich selbst (SB)



Seit einer Woche greift eine Militärallianz in Libyen Ziele an, deren Zerstörung geeignet sein könnte, die Truppen Muammar al-Gaddafis zu schwächen und einen Regimewechsel herbeizuführen. Unter dem Vorwand, man wolle eine Flugverbotszone durchsetzen, um die Aufständischen vor den überlegenen Verbänden der Regierung zu schützen, werden neben Flugzeugen, Flugplätzen, Flugabwehrbatterien und Radarstationen längst auch andere Bodenziele wie Panzer und Transporter, aber auch Militärstützpunkte und mutmaßliche Aufenthaltsorte Gaddafis mit Marschflugkörpern, Raketen, Bomben und Bordkanonen attackiert. Da die Durchsetzung eines Flugverbots mit dem Auftakt zu einem langfristigen Krieg oder Überwachungsregime gleichzusetzen ist, handelt es sich zweifelsfrei um eine Intervention im Bürgerkrieg, den die angreifenden Mächte zu ihren Gunsten entscheiden wollen. Die Behauptung, man mache sich für den Schutz der Zivilbevölkerung stark, die andernfalls einem Massaker zum Opfer zu fallen drohe, hat sich mit den ausgeführten Luftschlägen selbst ad absurdum geführt, denen eine bislang unbekannte, aber mutmaßlich hohe Zahl von Zivilisten zum Opfer fällt.

Diverse heftige Kontroversen um das Für und Wider der militärischen Intervention in Libyen wie auch deren Verlauf und Führung machen einerseits deutlich, daß die strategischen Interessen der USA und der einzelnen Mächte Europas in Nordafrika keineswegs identisch sind. Die deutsche Regierung, deren tendentielle Zurückhaltung im In- und Ausland heftig kritisiert wurde, setzt offenbar ihre Perspektive in der arabischen Welt langfristiger als die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Britannien an, die sofort mit eiserner Faust zuschlagen, um sich Einflußsphären zu sichern.

Der Streit zeugt zum anderen von einer innovativen Form des Angriffskriegs, um dessen Legalisierung erst noch gerungen werden muß. Eine sogenannte "Koalition der Willigen", an der sich inzwischen zwölf Staaten beteiligen, trägt unter Berufung auf die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats die Angriffe vor. Man hat die Resolution absichtlich so vage formuliert, daß ihrer weiten Interpretation Tür und Tor geöffnet ist. Läßt sich schon das allgemein unterstützte Ziel einer "Flugverbotszone" unterschiedlich auslegen, so gilt das um so mehr für den ebenfalls genannten "Schutz von Zivilisten", der als Mandat für einen umfassenden Krieg interpretiert werden kann. Nach Angaben aus Diplomatenkreisen wird es in Kürze eine Formel "No-fly zone plus" geben, auf deren Grundlage "interessierte NATO-Staaten" an Bombardierungen von Gaddafis Truppen teilnehmen, welche die Zivilbevölkerung bedrohen. [1]

Unterdessen setzt Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy weiterhin auf eine Parallelstruktur und besteht darauf, daß die politische Steuerung bei der "Koalition der Willigen" verbleibe. Schließlich fielen die beteiligten arabischen Staaten nicht unter das Kommando der NATO, argumentiert der französische Staatschef. Nachdem sich die Arabische Liga für eine Flugverbotszone ausgesprochen hatte, beteiligte sich zunächst das Emirat Katar als einziges arabisches Land an dem militärischen Vorgehen gegen Muammar al-Gaddafi. US-Außenministerin Hillary Clinton hatte vor wenigen Tagen erklärt, sie erwarte in Kürze weitere Zusagen aus der arabischen Welt. Inzwischen beteiligen sich die Vereinigten Arabischen Emirate mit zwölf Kampfflugzeugen, wofür die US-Regierung nach den Worten eines ihrer Vertreter gegenüber der Nachrichtenagentur AFP "sehr dankbar" ist. Die Beteiligung arabischer Staaten ist aus Sicht der westlichen Mächte besonders wichtig, um den Krieg zu legitimieren. [2]

Nach einer mehrtägigen Kontroverse zwischen den Verbündeten hatte die Türkei als letztes der 28 NATO-Länder den Widerstand gegen eine Übernahme der Führung des Militäreinsatzes aufgegeben. Wie Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in Brüssel bekanntgab, sei die endgültige Entscheidung einstimmig gefallen. Bislang werden die Luftangriffe der Koalition um Frankreich, Britannien und die USA von den US-Militärs koordiniert. Washington will das Kommando des Einsatzes jedoch schnellstmöglich abgeben und sich künftig nicht mehr direkt an der Durchsetzung der Flugverbotszone beteiligen. Der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, teilte mit, man wolle nur noch "Unterstützung und Hilfe" leisten, etwa in Form der Störung des libyschen Radars. [3]

Daß Bundeskanzlerin Angela Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel ihre Forderung nach strengeren Sanktionen gegen Libyen unterstrichen hat, macht deutlich, daß die deutsche Regierung den Druck durchaus unterstützt, nicht jedoch die Wahl der Mittel. Man brauche Handelsrestriktionen, die so umfassend wie möglich sind, verlangte die Kanzlerin, die insbesondere ein vollständiges Ölembargo für notwendig hält, um zu demonstrieren, daß man mit Gaddafi keine Geschäfte mache. Von der Doppelzüngigkeit einmal ganz abgesehen, da doch deutsche Unternehmen in der Vergangenheit mit staatlichem Segen reichlich Geschäfte auch militärischer Art in Libyen getätigt haben, will die Bundesregierung ihr Gesicht vor der arabischen Welt wahren, um nicht mit kurzsichtigen Machtdemonstrationen ihren dauerhaften Einfluß in der Region aufs Spiel zu setzen.

Nach Ende des EU-Frühjahrsgipfels in Brüssel kündigte Nicolas Sarkozy an, er werde gemeinsam mit dem britischen Premier David Cameron vor der für Dienstag in London geplanten Libyen-Konferenz Vorschläge hinsichtlich einer politisch-diplomatische Strategie machen. Die Lösung könne nicht nur eine militärische sein, unterstrich Sarkozy, daß er das Heft weiter in der Hand behalten will. An die Adresse Syriens gerichtet, erklärte der französische Präsident: "Jeder Staatsführer, insbesondere jeder arabische Staatsführer, muß wissen, daß die Reaktion der internationalen Gemeinschaft und Europas fortan dieselbe sein wird." Diese Drohung wurde von Außenminister Guido Westerwelle kritisiert, der von einer "sehr gefährlichen Diskussion" sprach, die "sehr schwierige Folgen" für die Region und die arabische Welt haben könne. [4]

Der amoklaufende Sarkozy ist kein Phänomen, daß sich mit übersteigerten Ambitionen eines Staatschefs oder dessen derzeitiger Situation im innenpolitischen Kontext Frankreichs hinreichend erklären ließe. Es zeugt vielmehr von einer neuerlichen Entfesselung der Kriegsführung, die immer fadenscheinigerer Vorwände bedarf und sich vor aller Augen selbst mandatiert und legitimiert.

Anmerkungen:

[1] Schwierige Einigung über Libyen-Kommando (26.03.11)
http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article12965785/Schwierige-Einigung-ueber-Libyen-Kommando.html

[2] Nato übernimmt Führung im Libyeneinsatz (26.03.11)
http://www.fr-online.de/politik/spezials/aufruhr-in-arabien/nato-uebernimmt-fuehrung-im-libyeneinsatz/-/7151782/8250458/-/index.html

[3] Einsatz in Libyen. Türkei lässt Nato bomben (24.03.11)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,752894,00.html

[4] Sarkozy will Libyen-Einsatz nur teilweise an Nato abgeben. Französischer Präsident richtet Drohung an arabische Herrscher (26.03.11)
http://www.abendblatt.de/politik/ausland/article1832829/Sarkozy-will-Libyen-Einsatz-nur-teilweise-an-Nato-abgeben.html

26. März 2011