Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1498: Tod in Tripolis - Nato-Bedauern über "Fehler" ohne Konsequenzen (SB)



Die Nato spielt immer neue Varianten zur vermeintlichen Rechtfertigung ihres Kriegs gegen die libysche Regierung aus. Indem nun die Zerstörung eines Wohnhauses durch eine Rakete als "Fehler" und "mögliches Versagen" eines Waffensystems bezeichnet wird, unterstellt sie, daß demgegenüber alle anderen Kriegshandlungen "Nicht-Fehler" und "Nicht-Versagen" sind. Auch auf diese Weise erhält der Interventionismus den Anschein einer Legitimität.

Diese Implikation dürfte ein wichtiger Grund dafür sein, weshalb die Nato kein Problem damit hat, sich für den Tod von neun Zivilisten zu entschuldigen, unterstellt sie damit doch unausgesprochen, daß erstens bisher keine Zivilisten ums Leben gekommen sind - was nicht zutrifft -, und zweitens, daß der Tod von Nicht-Zivilisten folgerichtig keiner Entschuldigung bedarf und somit akzeptabel ist. Letzteres liegt auf einer Linie mit der menschenvernichtenden Politik der Nato-Mitglieder und anderer Staaten, die die Anschläge vom 11. September 2001 als Gelegenheit ergriffen, um einen Globalen Krieg gegen den Terror auszurufen und ihn fortan gegen all die vielen Minderheiten, Marginalisierten und noch nicht vollständig in die globale Verwertungsmaschinerie zwangsintegrierten Personen und Gemeinschaften zu führen.

Der Krieg des von der Nato angeführten Bündnisses gegen die libysche Regierung wird nicht eher enden, als bis das Libyen Gaddafis, das trotz der jüngeren Kooperationsbereitschaft seines Machthabers gegenüber dem Westen auch auf eine Befreiung von der transatlantischen Vorherrschaft gedrängt, diese Idee auf dem gesamten afrikanischen Kontinent verbreitet und in den letzten Jahren verstärkt durch Entwicklungshilfe sowie Handelsabkommen unterstützt hat, in ein willfähriges, dem Schuldendienst unterworfenes Staatsgebilde transformiert wurde. Sollte es der Nato gelingen, die ostlibyschen Warlords vom Nationalen Übergangsrat an die Macht zu bomben, stände die neue Regierung beim Westen kräftig in der Kreide. Damit wäre vermutlich ein wesentliches Kriegsziel, das selbstverständlich nicht von der UN-Resolution 1973 abgedeckt wird, erfüllt.

Auch deshalb, weil Gaddafi die Kriegsschulden der Rebellen beim Westen niemals akzeptieren würde, muß er aus der Sicht der Bellizisten aus dem Spiel genommen werden. Dieser Umstand dürfte zu der Entscheidung der US-Regierung beigetragen haben, den jüngsten Vorschlag zur Güte der libyschen Regierung, einen Waffenstillstand zu beschließen und binnen drei Monaten Wahlen abzuhalten, die von ausländischen Beobachtern überwacht werden könnten, brüsk zurückzuweisen. Dafür sei es zu spät, lautete die Begründung, obgleich doch die UN-Resolution zum Schutz der Zivilbevölkerung auf keine bessere Weise erfüllt werden könnte, als wenn die Waffen schwiegen.

Weil aber das Wohl der Bevölkerung eben nicht vordringliches Interventionsziel der Nato ist und den Einwohnern gar nicht erst die Chance eingeräumt werden soll, sich eine Regierung zu wählen, da das wahrscheinlich Gaddafi oder seine Anhänger mit einschlösse, kann daraus abgeleitet werden, daß das Vorgehen des transatlantischen Militärpakts von anderen Motiven getragen wird. Augenscheinlich geht es darum, den eigenen Herrschaftsraum zu erweitern.

Eigentlich bedürfte es keiner Erwähnung, aber selbstverständlich sind in imperialistisch agierenden Staaten die Waffen der Soldaten nicht nur nach außen gerichtet, sondern potentiell auch gegen die Bevölkerung im Innern. Deren Bewohner wiederum bezahlen ihre lieb gewordenen Privilegien als Raubbeteiligte mit dem Verkauf ihrer Arbeitskraft in extrem ausbeuterischen Produktionsverhältnissen und der Preisgabe jeglicher Optionen, sich von solchen herrschaftsförmigen Strukturen zu befreien.

Wer Luftschläge gegen die libysche Infrastruktur führt, kalkuliert von vornherein den Tod von Zivilisten ein. Die Bitte der Nato um Entschuldigung besagt nicht weniger, als daß sich das Militärbündnis zu ent-schuldigen versucht, also von jeder Schuld freihalten will. Es war ja keine Absicht, das Wohnhaus zu beschießen, lautet die geschmeidige Erklärung. Damit wird unterstellt, daß es innerhalb dieses Konflikts überhaupt eine absichtsfreie Handlung einer der kriegführenden Parteien geben kann - selbstredend wird eine solche Ausrede der Gaddafi-Seite niemals zugestanden. Schuld haben immer nur die anderen, und darüber zu entscheiden ist nicht zuletzt eine Frage der militärischen Durchsetzungsfähigkeit. Das Bedauern der Nato über den "Fehler" ist nicht von Dauer. Medienberichten zufolge hat das Militärbündnis abermals ein Wohnhaus bombardiert und diesmal möglicherweise 15 Zivilisten getötet.

20. Juni 2011