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KRIEG/1523: Der Irakkrieg ist für die USA noch lange nicht vorbei (SB)



Weder war es eine Entscheidung von historischer Tragweite, noch ein Wendepunkt in der Geschichte. Von den internationalen Medien eher beiläufig registriert, fügte US-Präsident Barack Obama den überstrapazierten Propagandalügen eine weitere hinzu: "Ich kann heute berichten, dass, wie versprochen, der Rest unserer Truppe im Irak bis zum Jahresende nach Hause kommen wird", verkündete er auf einer eilends anberaumten Pressekonferenz im Weißen Haus. "Nach fast neun Jahren wird Amerikas Krieg im Irak vorbei sein." Als ziehe sein Land allen Ernstes einen Schlußstrich unter dieses düstere Kapitel imperialistischer Kriegsführung und Okkupation, fabulierte Obama vom Beginn einer "gleichwertigen Partnerschaft" zwischen zwei souveränen Nationen. "Die Iraker haben die volle Verantwortung für ihr Land übernommen", verkündete der US-Präsident. Der Schritt erfolge im vollen Einverständnis mit der Regierung von Ministerpräsident Nuri al-Maliki. "Die letzten amerikanische Soldaten werden mit hoch erhobenen Köpfen die Grenze aus dem Irak überschreiten, stolz über ihren Erfolg", krönte Obama seine kurze Ansprache mit einer weiteren Verhöhnung der Iraker. [1]

Einst einer der modernsten und höchstentwickelten Staaten der gesamten vorderasiatischen und nordafrikanische Region, warfen die gezielt herbeigeführten Verheerungen imperialistischer Expansion den Irak zurück auf den Stand entfesselter religiös und ethnisch konnotierter Fraktionskämpfe und Bürgerkriege. Mit rund 1,2 Millionen Toten, zahllosen Flüchtlingen, einem zerstückelten Staatswesen, dramatisch verfallenden Lebensverhältnissen und einer prekären Sicherheitslage zahlten die Iraker einen schrecklichen Preis für die Invasion 2003 und neun Jahre Okkupation.

Die "Koalition der Willigen" hat den Irak nicht mit Sanktionen belegt, angegriffen, besetzt und in Fraktionen gespalten, um ihn danach wieder vollständig zu verlassen. Das Land ist für die Vereinigten Staaten nicht nur wegen seiner enormen Erdölvorkommen, sondern auch auf Grund seiner Frontstellung im Mittleren Osten insbesondere gegen den Iran eine unverzichtbare Bastion, die nach ihrer Eroberung nicht wieder preisgegeben werden darf. Die Hegemonialpolitik Washingtons und seiner Verbündeten treibt einen geostrategischen Keil zwischen Rußland und China, um die Ausgangslage für die Schlachten von morgen entscheidend zu verbessern, die absehbar um die dramatisch schwindenden Sourcen des Überlebens geschlagen werden.

Die Errichtung großer Stützpunkte und eines riesigen Botschaftskomplexes in Bagdad zeugte seit Jahren von der Absicht, Kontingente regulärer Soldaten, zahlreiche Militärdienstleister, Geheimdienstmitarbeiter und anderes ziviles Botschaftspersonal dauerhaft im Land zu stationieren. So wurde der gewaltige Stützpunkt Camp Delta nahe der Grenze zum Iran bislang nicht unter irakische Kontrolle gestellt, sondern mit großem Aufwand erweitert. Das US-Außenministerium will künftig rund 17.000 Zivilisten im Umfeld seiner Botschaft in Bagdad beschäftigen, die zur weltgrößten ausgebaut wurde. In dieser Zahl enthalten sind mindestens 5.000 schwerbewaffnete Söldner von DynCorp International enthalten, denen eine Flotte eigener Kampfhubschrauber zur Verfügung steht. Auch hat das Pentagon einen Vertrag mit einem privaten Dienstleister über geheimdienstliche Tätigkeit von der Armee an das Außenministerium abgegeben, so daß die Aufstandsbekämpfung im besetzten Irak über 2011 hinaus sichergestellt ist.

Noch in der Präsidentschaft George W. Bushs wurde das Abkommen Status of Forces Agreement (SOFA) ausgehandelt, wonach die verbliebenen US-Soldaten bis Ende 2011 den Irak verlassen. In dem Vertrag wurde zugleich die Option einer verlängerten Präsenz von "Ausbildern" festgeschrieben, sollte die irakische Regierung dies wünschen. Was den Eindruck eines definitiven Endes der Besatzung und einer freien Entscheidung der irakischen Volksvertretung erwecken sollte, lief auf eine Farce zur Verschleierung der von langer Hand geplanten Dauerpräsenz hinaus. Um die künftige Stationierung sogenannter Ausbilder und Berater zu legitimieren, übte die US-Regierung wachsenden Druck auf Bagdad aus, einen entsprechenden Beschluß herbeizuführen. Politische Machtkämpfe der Fraktionen in der Koalitionsregierung, die nur ein Abbild der mühsam eingedämmten und immer wieder zum Ausbruch drängenden Konflikte zwischen den verschiedenen Volksgruppen und Milizen sind, blockierten jedoch den Blankoschein, wie ihn sich Washington ausbedungen hatte.

Der Irak ist ein Paradebeispiel für die mörderischen Folgen des Kalküls, die offiziellen Kriegshandlungen durch systematische Spaltung, gegeneinander gehetzte Fraktionen und eingekaufte Verbündete einzudämmen. Sunniten und Schiiten zum regionalen Bruderkrieg anzustacheln, ist seit Jahrzehnten ein zentraler Entwurf der US-Strategen zur Fragmentierung und Einverleibung der arabischen Welt, die den gesamten Nahen Osten in einen verheerenden Krieg zu stürzen droht. Die daraus resultierende Zerrissenheit der irakischen Regierung fällt den US-Besatzern jedoch insofern auf die Füße, als sie die pseudodemokratische Absegnung ihrer künftigen Präsenz verhindert hat. So ruft insbesondere Moktada al-Sadr seine Anhänger seit eh und je dazu auf, die Angriffe auf US-Truppen wieder aufzunehmen, sollten diese nach 2011 im Land angetroffen werden. Die Fraktion der Sadristen im Parlament verlangt folglich, daß die US-Soldaten Ende des Jahres bis auf den letzten Mann den Irak verlassen müssen.

Zuletzt verhandelte Washington mit Bagdad über den Verbleib von mehreren tausend US-Soldaten zur Ausbildung der irakischen Truppen. Da der Irak diesen Soldaten jedoch die geforderte Immunität verweigert, platzten die Verhandlungen. Demzufolge sollen nach offizieller Lesart künftig nur rund 150 Soldaten zum Schutz von US-Einrichtungen im Land bleiben. Das letzte Wort ist damit jedoch noch längst nicht gesprochen. Nach Angaben von US-Verteidigungsminister Leon Panetta soll nach dem Truppenabzug erneut über eine eventuelle Stationierung im Irak verhandelt werden. Auch will man statt der Soldaten mehr als 4.000 Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma im Irak einsetzen. Obama kündigte an, das Land auch künftig weiter "unterstützen" zu wollen, um seine Stabilität sicherzustellen. Es lägen "schwierige Tage" vor dem Irak. [2]

Wenngleich das Scheitern der Verhandlungen über die künftige Stationierung von bis zu 5.000 US-Soldaten zweifellos einen Rückschlag für Washington darstellt, handelt es sich doch keinesfalls um einen Rückzug. Da man einen wachsenden Einfluß des Irans mit Hilfe der schiitischen Milizen im Irak fürchtet, wird die Dauerpräsenz insbesondere durch den Einsatz der privaten Söldner gesichert. Der iranische Staatschef Mahmud Ahmadinedschad hat in einem Interview mit dem US-Fernsehsender CNN den Abzug der US-Truppen aus dem Nachbarland zum Jahresende mit den Worten begrüßt, es handle sich um eine "gute Sache", die längst überfällig gewesen sei. Diese Entwicklung werde "eine Veränderung der Beziehungen zwischen Teheran und Bagdad mit sich bringen", fügte er ohne nähere Erläuterungen hinzu. Auf die Frage nach einer möglichen militärischen Zusammenarbeit seines Landes mit dem Irak sagte Ahmadinedschad, er wolle "die Entscheidungen der irakischen Regierung" abwarten. [3]

Jüngsten Schätzungen zufolge haben die USA bislang die astronomische Summe von mehr als einer Billion US-Dollar für diesen Krieg aufgewendet. Auf dem Höhepunkt des Konflikts waren bis zu 171.000 Soldaten für die Koalitionstruppen im Einsatz. Nach den Worten Obamas haben rund eine Million Amerikaner im Irak gedient, fast 4.500 von ihnen seien gefallen. Der US-Präsident verkaufte die gescheiterten Verhandlungen mit der irakischen Regierung als Erfüllung seines eigenen Wahlversprechens und bezog dabei auch Afghanistan ein: "Bei meinem Amtsantritt waren in beiden Kriegen rund 180.000 Soldaten im Einsatz. Bis zum Jahresende werden es knapp die Hälfte sein. Und seien Sie versichert: Die Zahl wird weiter sinken." [3]

Die größte Herausforderung für die USA sei inzwischen ohnehin eine andere, schloß Barack Obama seine knapp gehaltene Ansprache: "Denn nach einem Jahrzehnt der Kriege ist das Land, das wir wieder aufbauen müssen und werden, unser eigenes." Das klingt ausnahmsweise nach einer guten Nachricht für die dramatisch verarmende Bevölkerung der Vereinigten Staaten wie auch die ganze Welt. Im Kontext kapitalistischer Wirtschaftsweise und deren imperialistischen Übergriffs lassen sich jedoch die Befriedung der Heimatfront und die Fortschreibung bellizistischer Expansion nicht auseinanderdividieren, weshalb der Gedanke allemal zu kurz greift, eine Umverteilung der Kriegskosten zugunsten anderer Haushaltsposten könne die Krise bannen und aller Welt Frieden bringen.

Fußnoten:

[1] http://www.tagesschau.de/ausland/irak802.html

[2] http://www.abendblatt.de/politik/ausland/article2067648/Ende-eines-Krieges-US-Truppen-ziehen-2011-ab.html

[3] http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5jTSwA0rKiO5x3ngNceiJucfM1ajg?docId=CNG.191996c0ec3eefd88cb9ac9e8c121fb8.391

22. Oktober 2011