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KRIEG/1531: Ceterum censeo - Damals Karthago, heute der Iran (SB)



Ceterum censeo Carthaginem esse delendam (Im übrigen bin ich der Meinung, daß Karthago zerstört werden muß). Dieser Ausspruch wird dem römischen Staatsmann Marcus Porcius Cato Censorius (234-149 v. Chr.) zugeschrieben, der in der Zeit vor Beginn des Dritten Punischen Krieges in jeder Senatssitzung die Zerstörung Karthagos beantragt haben soll. Wie es heißt, habe er alle seine Reden unabhängig vom eigentlichen Gegenstand der Debatte mit diesem Ausspruch beendet. Im Jahr 150 v. Chr. stimmte der Senat schließlich Cato zu, was zum Dritten Punischen Krieg und der Zerstörung Karthagos führte. Wenngleich die Authentizität des lateinischen Ausspruchs keineswegs gesichert ist, spricht man heute in Anlehnung daran von einem Ceterum censeo, wenn eine Forderung ein ums andere Mal hartnäckig wiederholt wird.

Was im Zuge der Expansion des römischen Imperiums der Konkurrenz an der nordafrikanischen Küste widerfuhr, droht heute all jenen Staaten, die dem geostrategischen Vorstoß der Vereinigten Staaten und seiner Verbündeten in den zentralasiatischen Raum im Wege stehen. Daß der Iran in die Knie gezwungen werden müsse, ist das aktuelle Ceterum censeo westlicher Machtpolitik. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit wie eine Litanei vorgebetet, gräbt es sich ein in die sogenannte öffentliche Meinung, bis alle Zweifel und Einwände entsorgt sind und die nackte Aggression zur einzig logischen und angemessenen Option gereift ist. Die absurde Doktrin, daß man legitime Angriffskriege führen müsse, um Menschenrechte zu verteidigen, Zivilisten zu schützen, Demokratie zu bringen und den Fortschritt zu befördern, stellt die Logik der Hexenverfolgung weit in den Schatten, deren Opfer gefoltert und getötet wurden, um ihr Seelenheil zu retten. Heute sind es ganze Staaten, die mit Sanktionen ausgehungert, im Luftkrieg zerbombt, in Fraktionen gespalten und einem Besatzungsregime oder Protektorat unterworfen werden, um sie angeblich zu befreien und die Welt vor ihren Kriegsgelüsten zu bewahren.

Wer sich dieser Doktrin insofern verweigert, als er die gegen den Iran erhobenen Vorwürfe durch Fakten gesichert wissen will, zieht den Zorn der Catos auf sich, die im Unterschied zu ihrem historischen Vorgänger Legion sind. Den aktuellen Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) als Steilvorlage aufnehmend überzieht die israelische Führung den ehemaligen Generaldirektor der IAEA und Friedensnobelpreisträger Mohammed El Baradei mit einer Haßtirade. Wie das Massenblatt Jediot Achronot schrieb, werfe man dem Ägypter vor, er habe das iranische Atomwaffenprogramm jahrelang gedeckt. Die Zeitung zitierte einen namentlich nicht genannten ranghohen Regierungsvertreter mit den Worten:

"Der IAEA-Bericht deckt auf, dass der frühere Leiter (El Baradei) nicht weniger als ein iranischer Agent war. Er hat die Iraner vor dem Henkersstrang gerettet und war die ganze Zeit damit beschäftigt, nach ihrem Willen zu verdecken und zu vertuschen. Er hat entsetzlichen Schaden angerichtet, indem er es dem Iran ermöglicht hat, die ganze Welt zu täuschen und Zeit zu gewinnen."

Er werde möglicherweise "als der Mann in die Geschichte eingehen, der dem Iran zur Atombombe verholfen hat". Dem fügte der ehemalige Leiter der israelischen Atomenergie-Kommission, Uzi Eilam, hinzu: "El Baradei hat nicht nur uns gebremst, er hat die ganze aufgeklärte Welt gebremst." Er habe den UN-Sicherheitsrat auf diese Weise eigenhändig daran gehindert, härtere Sanktionen gegen den Iran zu verhängen und Teheran "Zeit geschenkt". [1]

Die Bezichtigung, El Baradei sei ein iranischer Agent, weil er sich nicht zum bedingungslosen Werkzeug westlicher Angriffsszenarien degradieren ließ, zeugt ebenso vom imperialen Herrenmenschentum seiner Kritiker wie die Wortwahl, er habe die Iraner vor dem Henkersstrang gerettet und die gesamte aufgeklärte Welt getäuscht und gebremst. Man sitzt zu Gericht über die rückständigen Perser und will sich nicht von unabhängigen Zeugen ins Handwerk des längst gefällten Todesurteils pfuschen lassen. El Baradeis Sündenfall war sein Bestreben, die formale Unabhängigkeit der Atomenergiebehörde insofern ernstzunehmen, als er deren Erkenntnisse auf eigenständige Prüfungen stützte. Inzwischen ist man sehr viel weiter, heißt es doch im neuen IAEA-Bericht zur "Glaubwürdigkeit der Informationen", die Erkenntnisse der Behörde stützten sich auf mehrere westliche Geheimdienste.

Diese offensichtliche Farce, Beweise für die angebliche Entwicklung einer Atombombe durch den Iran den Informationen von Geheimdiensten eben jener Staaten zu entnehmen, die dem Iran ans Leder gehen wollen, bereitet sogar westlichen Diplomaten Bauchschmerzen. Laut einem Bericht der Los Angeles Times räumte ein europäischer Diplomat ein, daß es keine "smoking gun", also keine wasserdichten Beweise gebe. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitiert einen weiteren Diplomaten, der von einem unfertigen "Mosaik" spricht, das in einigen Teilen kompletter wirke als in anderen. [2] Das ist noch vorsichtig formuliert, hat man doch angesichts der Herkunft des von der IAEA ausgewerteten Materials nicht die geringste Gewähr, daß es nicht gezielt zur Bezichtigung Teherans fabriziert worden ist.

Dessen ungeachtet hat die Wiener Behörde endlich den ihr zugedachten Zweck erfüllt und die geforderten "Fakten" geliefert. Jetzt kommt die Maschinerie der Abstrafung Teherans auf Touren, wobei die einen vorpreschen, die andern zur Zurückhaltung mahnen, um das volle Spektrum einer "internationalen Staatengemeinschaft" zu simulieren. Die "detaillierten Hinweise" der IAEA auf "eine mögliche militärische Dimension des iranischen Atomprogramms sind alarmierend", gab sich Bundesaußenminister Guido Westerwelle höchst besorgt. "Verweigert sich Iran weiterhin ernsthaften Verhandlungen über sein Atomprogramm, dann werden neue, schärfere Sanktionen unausweichlich sein." Eine Diskussion über "militärische Optionen" lehne Deutschland aber ab. [3] Sollten Rußland und China bei neuen Sanktionen nicht mitziehen, müßten die Europäer diese möglicherweise im Alleingang beschließen.

Die EU hatte erst im Juli 2010 zusätzliche Sanktionen beschlossen, die unter anderem ein Verbot von Investitionen im iranischen Öl- und Gassektor beinhalten. Der neue Bericht verschärfe die Besorgnis über die Art des iranischen Atomprogramms erheblich, machte die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton in Brüssel Druck. Die EU werde sich "jetzt intern mit ihren Partnern abstimmen", um eine "angemessene Reaktion" der IAEA auszuarbeiten. Der Bericht der Wiener Behörde deute stark darauf hin, "dass es ein vollständiges Programm zur Entwicklung von Atomwaffen im Iran gibt".

Einen Schritt weiter gehen die Franzosen, die mit "Sanktionen beispiellosen Ausmaßes" drohen, wie es Außenminister Alain Juppé ausdrückte. Frankreich sei bereit, im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen viel weiter zu gehen als bislang. Parallel dazu schränkte Verteidigungsminister Gérard Longuet ein, daß härtere Sanktionen nicht gleichbedeutend mit einem militärischen Eingreifen seien: "Wir können im wirtschaftlichen, technologischen und industriellen Bereich viel weiter gehen, ohne von einer gewaltsamen Lösung Gebrauch zu machen."

An die Spitze der Drohkulisse hat sich die israelische Regierung gesetzt, die schon vor Veröffentlichung des Berichts einen eigenständigen Luftangriff auf die iranischen Atomanlagen erörterte und Notstandsübungen abhalten ließ. Verteidigungsminister Ehud Barak schloß im Rundfunk einen solchen Schritt nicht aus, da er bezweifle, daß wirksame Sanktionen gegen Teheran verhängt werden. Präsident Schimon Peres hält die militärische Option für "immer wahrscheinlicher", und Oppositionsführerin Tzipi Livni schloß sich nun mit den Worten an: "Jetzt, wo die Wahrheit vor den Augen der Welt aufgedeckt wurde, muss Israel die freie Welt mobilisieren, um Iran zu stoppen." Außenminister Avigdor Lieberman forderte "strenge und lähmende" Sanktionen, die die iranische Zentralbank sowie die Erdölexporte des Landes betreffen müßten.

Letzten Endes spielt das gesamte Orchester unter Leitung des Dirigenten im Weißen Haus, dem natürlich klar ist, daß die beiden Vetomächte Rußland und China die Kriegsvorbereitungen bremsen. Die chinesische Parteizeitung Renmin Ribao warnte vor der Gefahr eines militärischen Konflikts, und der russische Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete einen möglichen Angriff Israels als einen "sehr schweren Fehler mit unvorhersehbaren Folgen". Präsident Dmitrij Medwedjew warf Israel eine "gefährliche Rhetorik" vor, die zu einem bewaffneten Konflikt im Nahen Osten führen könnte.

Indessen verfügen die USA über die längsten Erfahrungen mit Sanktionen gegen den Iran. Washington verhängte nach der dramatischen Geiselnahme im Jahr 1979, als iranische Studenten zahlreiche US-Diplomaten monatelang in ihrer Gewalt hatten, ein Handels- und Investitionsverbot, das nach wie vor in Kraft ist. Zudem unterhalten Washington und Teheran seither keine direkten Beziehungen. Die Vereinten Nationen haben seit 2006 insgesamt vier Runden von Sanktionen beschlossen, zuletzt im Juni 2010. Mit der Resolution 1929 wurden die bestehenden Sanktionen, darunter das Waffenembargo, weiter verschärft sowie Handel und Geldgeschäfte eingeschränkt. Erstmals waren auch die Revolutionsgarden betroffen, die mit einem Reiseverbot belegt und deren Konten eingefroren wurden.

Vor kurzem haben die USA wegen des fadenscheinigen Mordkomplotts gegen den saudischen Botschafter in Washington um europäische Unterstützung für neue Sanktionen geworben. Im Gespräch waren insbesondere zusätzliche Strafmaßnahmen gegen die iranische Zentralbank, die den Zugang des Landes zu den internationalen Finanzmärkten blockieren sollen. Damit erreichen die in konzertierter Aktion der westlichen Mächte ins Auge gefaßten Sanktionen eine Stufe, die den Iran in so hohem Maße bedrängen, daß man von einer direkten Kriegsvorbereitung sprechen muß.

Fußnoten:

[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/iranisches-atomprogramm-frankreich-will-sanktionen-beispiellosen-ausmasses-11522746.html

[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/iaea-bericht-zu-nuklearplaenen-irans-furcht-vor-der-atombombe-in-teherans-haenden-1.1183976-1

[3] http://www.welt.de/politik/ausland/article13707116/Ahmadinedschad-will-Irans-Atomprogramm-fortsetzen.html

9. November 2011