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KRIEG/1546: Die "Befreiung" Syriens - Bahn frei für Angriff auf Iran (SB)



Eine Bewegung von unten, die sich die Befreiung von der autokratischen, auch vor massiven Repressionen nicht zurückschreckenden syrischen Regierung auf die Fahne geschrieben hat, kann gute Gründe anführen, sich zu erheben. Wenn allerdings ausländische Interessen, gepaart mit opportunistisch-oppositionellen Kräften innerhalb des Landes, sich jener Bewegung nicht nur anschließen, sondern diese okkupieren, droht sie zu scheitern, noch bevor sie angefangen hat, ihr emanzipatorisches Anliegen Wirklichkeit werden zu lassen.

Mehr noch, wie bereits am Beispiel des von den NATO-Staaten im Bündnis mit Teilen der arabischen Welt betriebenen Regime-change in Libyen deutlich wurde, wird in Syrien nicht nur die Oppositionsbewegung, sondern auch die Idee der Befreiung okkupiert und in ungefährliche Fahrwasser gelenkt. Der Grund dafür liegt auf der Hand, würde sich doch eine konsequent betriebene Emanzipation von jeglicher Herrschaftsausübung unverzüglich auch und gerade gegen jene Kräfte wenden, für die ein Sturz der Assad-Regierung ein Zwischenschritt ist bei der Verfolgung ihres strategischen Ziels, im Nahen und Mittleren Osten von der Gunst des Westens abhängige oder zumindest geschwächte Regierungen zu installieren.

Der Sturz der Assad-Regierung stellt eine Etappe auf dem Weg, Iran zu schwächen und zu entmachten, dar. Der Sturz der iranischen Regierung seinerseits bildet eine Etappe auf dem Weg, Rußland und China einzukreisen und als militärische, politische und wirtschaftliche Konkurrenten um die Besetzung des globalhegemonialen Spitzenplatzes auszuschalten.

Die Vorbereitung des Regime-change setzt an vielen Ecken und Kanten an. Typischerweise erhielt die Beobachtermission der Arabischen Liga in Syrien nur solange Zuspruch seitens des transatlantischen Bündnisses und ihrer Partner in der arabischen Welt, wie die Aussicht bestand, daß sie sich gegen die Regierung von Präsident Bashar al-Assad instrumentalisieren läßt. Als die ersten Berichte der Mission nicht in das Schwarzweiß-Bild der syrischen Regierungsgegner und ihrer westlichen Verbündeten paßten, wurden die Beobachter mehr oder weniger als Einfaltspinsel dargestellt, die sich von der syrischen Regierung an der Nase herumführen lassen. Auf einmal forderte die syrische Opposition den Abzug der Beobachter. Offenbar sollen nur ihr genehme Berichte verbreitet werden, wobei ausgerechnet das katarische Mitglied der Mission bestätigte, daß man Fehler gemacht habe und daß man die Uno um Hilfe bitten werde. Katars Regierungschef Scheich Hamad bin Dschassem al-Thani hat dann auch flugs mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon "praktische Maßnahmen" erörtert. Gedacht wird an eine Schulung der Beobachter der Liga durch UN-Menschenrechtsexperten, damit sie lernen, die Lage in Syrien zu bewerten - eine kaum zu fassende Beleidigung der Liga-Vertreter, die teils auf eine jahrzehntelange militärische Karriere zurückblicken.

Katar hatte sich bereits aktiv am Sturz Muammar al-Gaddafis in Libyen beteiligt, unter anderem indem es tonnenweise Waffen an die oppositionellen Bengasi-Warlords lieferte, und es zieht offenbar auch in Syrien hinter den Kulissen die Fäden. Medienberichten zufolge stellt das Emirat sunnitische Interventionskräfte aus libyschen und irakischen Kämpfern zusammen, damit sie gegen Assads Truppen kämpfen.

Am Donnerstag forderte der Anführer der Freien Syrischen Armee, der abtrünnige Colonel Riyad al-Asaad, der sich zur Zeit in der Türkei aufhält, daß die Beobachtermission ihre Aufgabe für gescheitert erklärt. Am Freitag werden die Beobachter der Arabischen Liga in Arbeen, einem Vorort von Damaskus, unter Feuer genommen. Ein Zufall? Angeblich standen Assad-treue Soldaten hinter dem Angriff, aber dafür gibt es weder einen Beweis, noch sind die näheren Umstände des Vorfalls bekannt. Entsprechende Medienberichte gehen auf den Fernsehsender Al Arabiya TV zurück, der von Saudi-Arabien finanziert wird und sich in der Vergangenheit sehr deutlich gegen Assad positioniert hat.

Die syrischen Oppositionellen, die sich nicht vor den Karren der westlichen Interventionsmächte spannen lassen, aber ihre Auseinandersetzung mit der Assad-Regierung deshalb auch nicht aufgeben wollen, stehen vor dem Problem, an zwei Fronten zugleich kämpfen zu müssen. Es ist für die Glaubwürdigkeit ihres Anliegen unverzichtbar, wenn sie sich genauso deutlich gegen die ausländischen Mächte - von den USA, Westeuropa bis zur Türkei und Teilen der arabischen Welt -, stellten wie gegen die syrische Regierung selbst. Dabei wäre es ein womöglich folgenschwerer Irrtum, zu glauben, daß der Feind meines Feindes ein Freund sein muß. Die Interventionisten hegen keine guten Absichten, sie wollen das syrische Volk nicht von einem autokratischen Regime befreien, sondern sie wollen ein ihnen wohlgesonnenes Regime installieren.

So wie sich die Lebensverhältnisse in Libyen nach dem Sturz Gaddafis und in Irak nach der Beseitigung Saddam Husseins massiv verschlechtert haben und sich daran auf absehbare Zeit nichts ändern wird, droht auch Syrien, das sich bereits aufgrund seiner Aufnahme von mehr als einer Million irakischer Flüchtlinge erhebliche Belastungen aufgeladen hat, auf lange Zeit in bürgerkriegsartige Verhältnisse gedrängt zu werden. Damit stünde das Land den hegemonialen Ambitionen der NATO-Staaten und ihrer Sachwalter in der arabischen Welt beim Vorstoß gegen Iran und darüber hinaus nicht mehr im Wege.

6. Januar 2012