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KRIEG/1583: Hochtechnologie Rüstung im Dienst deutscher Staatsräson (SB)




Natürlich sollten deutsche Rüstungsschmieden keine Waffen an Saudi-Arabien verkaufen. Der Wüstenstaat wird von einem autokratischen Regime kontrolliert, das der Gesellschaft seine repressive Herrschaft aufzwingt. Ein generelles Demonstrationsverbot, mit Füßen getretene Meinungsfreiheit, Todesstrafe für Ehebruch und Homosexualität, Unterdrückung von Minderheiten und ein "männlicher Vormund" für Frauen prägen den Alltag eines Landes, das Freedom House auf einer Skala der Freiheitsrechte auf der niedrigsten Stufe einordnet. Im Demokratie-Rating des Economist landete der Golfstaat zuletzt auf Platz 161 von 167 Ländern und gehört demnach zu den zehn autoritärsten Staaten überhaupt. Die saudische Führung hat in jüngerer Zeit zahllose Menschenrechtsverbrechen im In- und Ausland begangen, wobei einige der schlimmsten im Nachbarinselstaat Bahrain bei der Niederschlagung der demokratischen Bewegungen stattfanden.

Dessen ungeachtet trägt sich die saudische Führung mit der Absicht, in Deutschland mehrere hundert Radpanzer vom Typ "Boxer" zu kaufen. Eine entsprechende Anfrage wurde am vergangenen Montag in der geheimen Sitzung des Bundessicherheitsrats verhandelt, der die Entscheidung auf das kommende Jahr verschoben hat [1]. Die Bundesregierung soll dem Verkauf der Waffen jedoch bereits zugestimmt haben [2]. An der Herstellung des Radpanzers sind die Rüstungskonzerne Rheinmetall und Krauss-Maffai Wegmann KMW beteiligt, die sich Hoffnungen machen können, die "Königliche Garde" des Golfstaats auf modernstes internationales Niveau aufzurüsten, die damit nicht zuletzt Aufstände niederzuschlagen beabsichtigen dürfte.

Der "Boxer" zählt zu den weltweit führenden Gefechtsfahrzeugen und wird von der Bundeswehr in Afghanistan als gepanzerter Truppentransporter eingesetzt. Bekanntlich hat Saudi-Arabien in der Vergangenheit bereits Interesse an deutschen "Leopard 2"-Kampfpanzern gezeigt, wobei die Entscheidung über die Lieferung mehrerer hundert Exemplare angesichts der darüber ausgebrochenen Kontroverse ebenfalls noch offen ist.

Laut Rüstungsexportbericht für 2011 lag Saudi-Arabien auf Platz zwölf der größten Empfänger deutscher Rüstungsgüter. Im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung die Ausfuhr von Kriegswaffen und anderen Rüstungsgütern im Wert von 5,4 Milliarden Euro genehmigt, rund ein Siebtel mehr als 2010. 42 Prozent davon sollten in sogenannte Drittländer gehen. Darunter finden sich Staaten, in denen Menschenrechte nur wenig zählen, etwa die Vereinigten Arabischen Emirate, Algerien oder Saudi-Arabien. Auch Katar und Indonesien hatten dieses Jahr Interesse an deutschen Panzern geäußert.

Für das laufende Jahr hat die Bundesregierung noch keine Zahlen zu Rüstungsexporten veröffentlicht. Allerdings wurden bis November sechs Hermes-Bürgschaften freigegeben, mit denen Rüstungsgeschäfte mit Schwellenländern in der Regel staatlich abgesichert werden. Der Wert der Bürgschaften beträgt insgesamt fast 3,3 Milliarden Euro, was nach Berechnungen des Linken-Parlamentariers Jan van Aken schon jetzt 800 Millionen Euro mehr als 2011 sind.

Interessanterweise hat der Bundessicherheitsrat bei seiner Sitzung die Ausfuhr von deutschen Abschußgeräten für Panzerfäuste und bunkerbrechender Munition, die von der Firma Dynamit Nobel Defence hergestellt werden, an Israel genehmigt. Dieses Anliegen war im Sommer noch vertagt worden, was die Annahme nahelegt, daß auch die Vertagung im Falle der Wünsche Saudi-Arabiens nicht prinzipiellen Einwänden geschuldet, sondern allenfalls taktischer Natur ist. Die israelischen Streitkräfte könnten die in Deutschland erworbenen Rüstungsgüter auch im Kampf gegen die Hamas im Gazastreifen einsetzen, der bekanntermaßen einen hohen Blutzoll unter der dortigen Zivilbevölkerung kostet.

Mithin greift das häufig vorgetragene Argument, deutsche Rüstungsgüter dürften nicht an Staaten mit fragwürdiger Menschenrechtsbilanz verkauft werden, definitiv zu kurz. Wenngleich es angesichts seiner Konsensfähigkeit über die Antikriegsbewegung hinaus naheliegend anmutet, droht es doch in die Irre zu führen. Die Unterscheidung zwischen "legalem und illegalem" Waffengebrauch, "Terroristen" auf der einen und international legitimierten Interventionisten auf der anderen Seite entscheidet sich allein nach den Kriterien der jeweils angelegten Freund-Feind-Kennung seitens der Großmächte. Die Forderung, Waffenhandel müsse verboten werden, sofern in den Empfängerländern systematisch die Menschenrechte verletzt, Angriffskriege geführt oder die soziale und die wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigt werden, müßte sich zuallererst gegen die größten Kriegstreiber und führenden Waffenlieferanten wenden, worunter auch die Bundesrepublik fällt.

Wie nicht anders zu erwarten, sind die militärischen Schwergewichte USA, Rußland, China, Frankreich, Großbritannien und Deutschland zugleich die führenden Waffenexporteure und bestreiten weltweit rund 80 Prozent aller Lieferungen. In ihrem Kalkül ist die Entwicklung, Produktion und Erprobung von Rüstungsgütern wie auch deren Einsatz und Verkauf ein integraler Prozeß zur Sicherung und Fortschreibung ihrer Vorherrschaft auf allen Gebieten. Da also militärische, politische und ökonomische Komponenten zusammenwirken, bleibt jeder Einwand stumpf, der lediglich spezielle Aspekte aus diesem Kontext reißt und damit unzulässig isoliert.

So ist auch Deutschland direkt oder mittelbar an Angriffskriegen, dem Schüren von Bürgerkriegen und Aufmunitionieren regionaler Konflikte beteiligt, wobei völkerrechtlich verbindliche Bestimmungen der Genfer Konventionen oder die deutschen Exportrichtlinien, die Waffenlieferungen an Diktaturen sowie in Kriegs- und Krisengebiete verbieten, noch nie ein ernsthafter Hinderungsgrund waren. Wie die an das UN-Kleinwaffenregister gemeldeten Exporte des Jahres 2011 belegen, wurden deutsche Gewehre, Sturmgewehre und Maschinenwaffen unter anderem an Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Afghanistan und Indonesien geliefert.

Dabei ist Saudi-Arabien, das zum militärischen Gegengewicht des Iran hochgerüstet wird, der bevorzugte Partner des Westens. Die USA haben mit dem Golfstaat das größte Waffengeschäft aller Zeiten abgeschlossen, den Deutschland mit Panzern wie auch Sturmgewehren, einer Grenzsicherung und Ausbildung der Sicherheitskräfte ebenfalls unterstützt. Deutsche Außenpolitik und hiesige Rüstungskonzerne blenden dabei die andernorts zum Kriegsvorwand hochstilisierten Menschenrechte vollständig aus, wurde doch beispielsweise der "Leopard 2A7+" speziell für den Einsatz in Städten entwickelt. Ein Stabsoffizier der Bundeswehr unterstützt seit Anfang Juli 2012 die militärische Erprobung dieses Panzers in der saudi-arabischen Wüste, und die Bundeswehr liefert Munition für die Bordkanone, Nebelgranaten und MG-Patronen. Nach Herstellerangaben ist der "Leopard 2A7+" für die "asymmetrische Kriegsführung" und die "Bekämpfung von Einzelpersonen" konzipiert. Er weist einen Räumschild, ein verkürztes Kanonenrohr, einen besonders geringen Wendekreis wie auch eine Klimaanlage und ferngesteuerte Waffenstation auf, was ihn zum hochwertigsten deutschen Beitrag zur Eindämmung des "arabischen Frühlings" macht, wozu sich künftig der deutsche Radpanzer "Boxer" gesellen soll.

Zwangsläufig sind nicht nur bei den Panzern als solchen Schmiermittel unverzichtbar. So kam bereits im CDU-Parteispendenskandal 1999 zur Sprache, daß der Waffenlobbyist Karlheinz Schreiber Schmiergeld eingesetzt haben soll, um 1991 den in der damaligen Regierung von Kanzler Helmut Kohl umstrittenen Verkauf von 36 Thyssen-Panzern nach Saudi-Arabien durchzusetzen. Einmalig blieb dieser spezifische Einsatz finanzieller Schmiermittel offenbar nicht, denn wie die Linkspartei vor einem Jahr unter Berufung auf die Rechenschaftsberichte der Parteien aufdeckte, hatten die Herstellerfirmen des Leopard-Panzers von 2002 bis 2009 mehr als 600.000 Euro an Union, FDP und SPD gespendet.

Wenngleich dem Schulterschluß zwischen Rüstungsschmieden und politischen Entscheidungsträgern also mitunter finanziell nachgeholfen werden muß, heißt das doch nicht, daß auf diesem Gebiet sogenannte Skandale von sauberen Geschäftspraktiken zu unterscheiden seien. Im Frühjahr 2012 hatte die schwarz-gelbe Koalition argumentiert, Waffenlieferungen an Saudi-Arabien dienten den deutschen Interessen an einer engen Partnerschaft mit dem Land und seien zudem mit Israel abgesprochen. Wenige Monate später hieß es dann, daß die Bundesregierung grundsätzlich zu der Linie stehe, "dass industrielle Fähigkeiten in technologischen Kernbereichen der deutschen Rüstungsindustrie erhalten werden". Die Bundeswehr unterstütze als sogenannter "Referenzkunde" die deutsche wehrtechnische Industrie "beim Export von Rüstungsgütern" im Einzelfall "nach erfolgter ausfuhrkontrollrechtlicher Prüfung" [3].

Davon abgesehen, daß letztere als umstritten gelten muß, steht aus Perspektive deutscher Staatsräson mehr auf dem Spiel als die Förderung eines boomenden Sektors der Exportwirtschaft, wofür sich in Zeiten der Krise mit ökonomischen Argumenten Stimmung machen läßt. In der Rüstung verschmelzen Waffenentwicklung und Hochtechnologie zu einem Komplex fundamentalen Machtausbaus, der innen- wie außenpolitisch zum Tragen kommt. Deutschland ist nicht nur die wirtschaftliche Führungsmacht in Europa, sondern längst auch in bestimmten Sparten der Rüstung zu weltweiter Führerschaft aufgestiegen. Deutsche Kompetenz, Expertise und industrielle Kapazität rüsten Ausbeutung, Unterdrückung und Morden in aller Welt auf. Für den Bundesbürger ist daher die Frage nach einer friedlicheren Welt untrennbar mit dem eigenen Lebensstandard verknüpft, den deutsche Waffen auf die eine oder andere Weise gewährleisten.

Fußnoten:
[1] http://www.stern.de/politik/ausland/fragwuerdiger-waffendeal-saudi-arabien-will-deutsche-boxer-panzer-kaufen-1935462.html

[2] http://www.welt.de/politik/ausland/article111762522/Saudi-Arabien-soll-Kauf-deutscher-Radpanzer-planen.html

[3] http://www.spiegel.de/politik/ausland/leopard-2-bundeswehr-unterstuetzt-training-in-saudi-arabien-a-842819.html

2. Dezember 2012