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KRIEG/1585: Je abwegiger die Begründung, desto aggressiver die Absicht (SB)




In auffälliger Eile hat der Bundestag mit großer Mehrheit der Entsendung von Soldaten und Patriot-Raketen in die Türkei zugestimmt. Gerade zehn Tage vergingen vom Kabinettsbeschluß des 4. Dezember zur "Verstärkung der integrierten Luftverteidigung der NATO" bis zur heutigen Mandatierung dieses weiteren Auslandseinsatzes der Bundeswehr. [1] Die Abgeordneten wissen, was sich gehört, wird ihnen doch immer wieder vorgehalten, daß der Parlamentsvorbehalt im Widerspruch zu einer militärischen Schlagkraft steht, die in kürzesten Fristen zu mobilisieren sein müsse, um - so die vorgeschützte Präventionslogik - dem Ernstfall zuvorzukommen, respektive - so die Ratio einer "Armee im Einsatz" - strategische Vorteile durch schnelle Bereitstellung zu gewinnen. Bevor der Staat kriegstauglich durch Notstandsmaßnahmen gemacht wird, widerlegt das Parlament seine angedrohte Entbehrlichkeit und vollzieht die Logik des Ausnahmezustands mit solider Mehrheit im Mäntelchen haltloser Argumente.

So warf sich der sicherheitspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, mit den Worten in die wehrhafte Brust, daß es gut sei, wenn alle wüßten, daß die NATO zusammenhalte. [2] Stets auf der Suche nach neuen Legitimationen für ein Militärbündnis, dessen Gründungszweck so sehr Makulatur geworden ist wie sein Verteidigungsauftrag und die Beschränkung seines Einsatzgebiets auf seine Mitgliedstaaten, hält es dieser Politiker schlicht für eine gute Idee, öfters mal in Spannungsgebieten militärisch Präsenz zu zeigen, nicht etwa um potentielle Angreifer abzuschrecken, sondern um den eigenen imperialistischen Zielen Nachdruck zu verleihen. Dementsprechend ist der Anspruch, den hochgerüsteten türkischen Streitkräften bei der Verteidigung ihrer Grenze zur Hilfe zu eilen, vom Kopf auf die Füße der aggressiven Haltung zu stellen, die die Regierung in Ankara gegenüber der Regierung in Damaskus schon vor Monaten eingenommen hat. Für die Hoffnung Arnolds, mit dieser Maßnahme einer weiteren Zuspitzung des Konflikts vorzubeugen, gilt nämliches - nicht noch einmal wie im Falle Libyens zu spät kommen, sondern den eigenen Anteil an der Beute frühzeitig zu reklamieren.

Auch dem außenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder, fällt nichts anderes zur Begründung seiner Zustimmung ein als die Logik militärischer Stärke ganz allgemein zu bekräftigen und daraus ihre Anwendung abzuleiten. Deutschland habe im Kalten Krieg am stärksten von der NATO profitiert, und daher sei es selbstverständlich zu helfen, "wenn ein Nato-Partner um Hilfe bittet" [2]. Indes wurde der sogenannte kalte Krieg mit aller Hitze dort geführt, um die davon profitierenden Metropolengesellschaften selbst zu schonen. Wie dereinst der NATO-Staat USA Krieg in Vietnam zu führen, um nichts dem Zufall zu überlassen und doch zu scheitern, hätte Mißfelder auch dazu veranlassen können, zu einem gegenteiligen Ergebnis seiner zeitgeschichtlichen Referenz zu gelangen. Wie ein solcher Hilferuf in Anbetracht des realen militärischen Kräfteverhältnisses zwischen der Türkei und Syrien wie der irrationalen Annahme, der syrische Präsident Assad wolle seine Probleme mit einem Angriff auf die weit überlegene Türkei vervielfältigen, zustandekommt, ergibt sich aus nämlicher, im NATO-Jargon "Projektionsfähigkeit" genannter Absicht, militärische Stärke in Stellung zu bringen, um strategische Vorteile zu sichern.

Die angebliche Wertegemeinschaft NATO unterstützt dabei eine türkische Regierung, die aufgrund der massiven Unterdrückung der kurdischen Minderheit im eigenen Land eine massive Gefahr für die in Syrien lebenden Kurden darstellt. Ankara ist die Etablierung selbstverwalteter kurdischer Gebiete in Syrien auch und gerade dann ein Dorn im Auge, wenn die dort lebende Bevölkerung weder die syrische Regierung noch die Rebellen unterstützt. Nachdem die Türkei Syrien mit der Androhung militärischer Gewalt bereits zur Ausweisung des PKK-Führers Abdullah Öcalans genötigt hat, kann ihr eine autonome Entwicklung der in Syrien lebenden Kurdinnen und Kurden nur der Keim eines Unabhängigkeitsstrebens sein, das noch entschiedener bekämpft werden muß als Assad selbst. Herrschaft wird durchgesetzt, ob mit der NATO oder gegen sie.

Den Vogel an irrationaler Stimmungsmache für kriegerische Zwecke schoß - die militaristische Metapher könnte nicht passender sein - die Grünen-Politikerin Kerstin Müller mit der Behauptung an die Adresse Gregor Gysis ab, dieser betreibe "abstrusen Populismus", wenn er dazu aufrufe, man müsse "verhindern, dass Deutschland mit seiner Geschichte zur Kriegspartei im Nahen Osten wird." Eben dies müsse sein, so die Logik ihres Arguments, da das Assad-Regime vor dem Ende stehe und ein zerfallendes System über keinen rationalen Existenzgrund mehr verfüge. [2] Wenn sich irgendwo eine Bevölkerung aufmacht, ihre Herren zum Teufel zu jagen, um ihre politischen Verhältnisse selbst zu ordnen, dann muß die NATO Gewehr bei Fuß stehen, um zu verhindern - ja was eigentlich? Im Zweifelfall eine gesellschaftliche Entwicklung, die frei von imperialistischer Unterwerfung auf selbstbestimmte Weise für das Wohlergehen aller daran Beteiligten sorgt.

Wie wenig Interesse daran in den NATO-Staaten besteht, wurde am Beispiel des Iraks vorexerziert. Indem dessen Bevölkerung in einer der menschenfeindlichsten Maßnahmen, die im Namen der Vereinten Nationen vollzogen wurden, über zwölf Jahre regelrecht ausgehungert wurde, nahm man ihr auch die Möglichkeit, selbst gegen die Regierung Saddam Husseins aufzustehen. Wo ein Aufstand nicht kooptiert und für die eigenen Zweck instrumentalisiert werden kann, da werden Aufständische wie Herrschende zu Opfern Dritter gemacht, denen nichts mehr zu paß kommen könnte, als daß sich die Konfliktparteien gegenseitig niedermachen. Und überhaupt - wie rational ist der Existenzgrund eines Kapitalismus, zu dessen Rettung Müller und Konsorten grüne Farbeimer ergriffen haben, deren Inhalt zum Anstrich von Panzern ebenso taugt wie zum Greenwashing des Kapitals.

Ganz und gar kein Zusammenhang - das lassen zumindest die parlamentarischen Erfüllungsgehilfen deutscher Kriegsseligkeit glauben - besteht zwischen der Anerkennung der Nationalen Koalition der Syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte in Marakesch als alleinige Vertretung des syrischen Volkes durch die NATO-Staaten und ihre arabischen Verbündeten einerseits und der heutigen Entscheidung des Bundestags, den Landserstiefel in die Tür dieses Konfliktszenarios zu bekommen, andererseits. Man spielt den Bundesbürgern vor, nicht eins und eins zusammenzählen zu können, und tut nachher so, als wundere man sich über die angebliche Politikverdrossenheit. Die Menschen wollen nicht für dumm verkauft werden, sie wollen überhaupt nicht verkauft werden, und eben das im Grundsatz durchzusetzen, ist Auftrag der demokratischen Repräsentanten kapitalistischer Gesellschaften.

Fußnoten:

[1] http://www.imi-online.de/2012/12/13/deutschland-demonstriert-verlasslichkeit-im-konflikt-zwischen-der-turkei-und-syrien/

[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/tuerkei-parlament-beschliesst-patriot-einsatz-11993223.html

14. Dezember 2012