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KRIEG/1588: Ins Schwarze getroffen? - Wutgeschrei nach Assads Rede (SB)




Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seit sieben Monaten hat Präsident Baschar al Assad im Opernhaus von Damaskus eine Ansprache gehalten, die vom syrischen Staatsfernsehen und allen großen arabischen Nachrichtensendern live übertragen wurde. Da er in seiner Rede den Weg für einen Regimewechsel nicht freigemacht hat, wie ihn die NATO-Staaten und ihre Verbündeten in der Golfregion anstreben, erntete er westlicherseits blanken Hohn und brüske Zurückweisung.

Die US-Regierung bezeichnete Assads Vorschläge als realitätsfern und erklärte, er habe alle Legitimität verloren und müsse zur Seite treten, um eine politische Lösung und einen demokratischen Übergang zu ermöglichen. Die Ansprache sei nur ein neuer Versuch des Regimes, sich an die Macht zu klammern, was die blutige Unterdrückung des syrischen Volks fortsetze. Der britische Außenminister William Hague nannte die Rede "mehr als scheinheilig". "Der Tod, die Gewalt und die Unterdrückung, die sein Land verschlingen, sind von ihm selbst gemacht, leere Reformversprechen täuschen niemanden." Nach Ansicht des türkischen Außenministers Ahmet Davutoglu könne Assad nach dem Tod von 60.000 Menschen keine Führungsrolle mehr beanspruchen. [1] Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton erklärte, man halte an der Position fest, "dass Assad beiseitetreten und einen politischen Wandel zulassen muss". Bundesaußenminister Guido Westerwelle forderte, Assad solle "endlich den Weg für eine Übergangsregierung und einen politischen Neuanfang in Syrien freimachen". [2]

Am weitesten preschte Ägyptens Präsident Mohammed Mursi vor, der sich in einem CNN-Interview indirekt für einen Kriegsverbrecherprozeß gegen Assad aussprach. Auf die Frage des Moderators Wolf Blitzer, ob er für einen solchen Prozeß vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag sei, erwiderte Mursi: "Nicht ich will es, das syrische Volk will es. Und wir unterstützen das syrische Volk." Wenn das Blutvergießen in Syrien beendet sei, werde es dort ein unabhängiges Parlament und eine gewählte Regierung geben. "Und dann werden sie entscheiden, was sie mit denen machen, die Verbrechen begangen haben."

Wie diese Reaktionen auf die Rede Assads zeigen, die den syrischen Präsidenten einmal mehr der Diktatur bezichtigen, lastet man ihm die Verantwortung für die Opfer einer Intervention an, welche die NATO teils in Form eines Stellvertreterkriegs, teils mit verdeckten Operationen im Land durchführt. Gnadenlos zwingt man Syrien einen Krieg auf, in dem bereits mindestens 60.000 Menschen gestorben und Hunderttausende zu Flüchtlingen geworden sind, während die Infrastruktur zerstört wird und sich die Lebensverhältnisse dramatisch verschlechtern. Von Kompromißbereitschaft kann keine Rede sein, erklärt man sich doch zum Sieger über Assad und dessen Regierung, die keinerlei Forderungen mehr zu stellen hätten.

Die in deutschen Medien vielfach kolportierte Behauptung, Assad bleibe weiter isoliert, da seine Rede von der internationalen Gemeinschaft als weiterer Beleg für seine Unbelehrbarkeit eingestuft und zurückgewiesen werde, mutet erstaunlich an. Abgesehen davon, daß der Iran Assads Vorschläge begrüßt und als eine realistische Lösung der Krise unterstützt, haben sich Rußland und China bislang nicht zu der Ansprache in Damaskus geäußert. Offenbar macht der hegemoniale Impetus, mit dem die USA und ihre Verbündeten ihre imperialistischen Interessen mit dem Willen einer fiktiven Staatengemeinschaft gleichsetzen, Scheuklappen zum begehrtesten Accessoire der an die Kandare genommenen schreibenden Zunft.

Andernfalls könnte man nicht umhin, im Zuge einer seriösen Recherche den Inhalt der Ansprache auf ihren Faktengehalt zu prüfen und dementsprechend zu bewerten. Was hat Assad gesagt, daß man ihm eine Brandrede und taktische Finte, leere Versprechen und bloße Durchhalteparolen attestiert?

"Das Leiden ist über das gesamte Land gekommen", sagte der Präsident. "Es gibt keinen Raum mehr für Freude, es fehlen Sicherheit und Stabilität auf den Straßen." Assad schloß eine Zusammenarbeit mit seinen Gegnern kategorisch aus, da er nicht mit Banden, Extremisten oder Marionetten des Westens verhandeln werde. All jenen, die ihr Land nicht verraten hätten, stellte er politische Reformen, eine neue Verfassung und Regierung sowie die Freilassung von Gefangenen in Aussicht. Als Voraussetzung für eine politische Lösung verlangte er, daß der Westen und die arabischen Länder ihre Hilfe für die "Terroristen" einstellten.

"Sie wollen die Spaltung und Teilung Syriens, warum sollten wir uns mit ihnen einlassen? Wir reichen denen unsere Hand zum Dialog, die unser Land nicht ans Ausland verkaufen wollen. Syrien akzeptiert Ratschläge, aber keine Unterdrückung. Alle Ideen, die die Souveränität des Landes antasten, sind ausnahmslos Hirngespinste des Auslands, die sich nicht erfüllen werden." [3]

Syrien sei nicht mit einem Volksaufstand oder einer Revolution, sondern mit einer ausländischen Aggression konfrontiert, bei der neben Syrern auch ausländische Extremisten eingesetzt würden. "Unter ihnen sind viele Ausländer, die die Ansichten von Al-Qaida teilen", sagte Assad. Er betonte, eine Revolution müsse sich im Interesse von Völkern vollziehen und dürfe ihnen nicht aufgezwungen werden. Der Westen habe lange Zeit auf Kosten reicher arabischer Länder Terroristen in Afghanistan ausgebildet, um der UdSSR zu schaden. Der Konflikt in Syrien sei absichtlich herbeigeführt worden, um die Regierung in Damaskus zu schwächen und diese Terroristen loszuwerden. [4] Nun müsse jeder das Land mit den Mitteln verteidigen, die ihm zur Verfügung stünden, erklärte Assad und forderte eine "totale nationale Mobilisierung" gegen die Aufständischen.

Die syrische Opposition umfaßt bekanntermaßen ein breites Spektrum, das von um Reformen kämpfenden Syrern, die jede fremde Intervention ablehnen, über vom Ausland mit Geld und Waffen versorgte Gruppierungen bis hin zu Jihaddisten reicht, die einen Gottesstaat errichten wollen. Eine sogenannte Nationale Koalition der syrischen Opposition und der Revolutionskräfte war am 11. November 2012 in der katarischen Hauptstadt Doha gegründet worden. Die Koalition nennt sich legitime Vertretung des syrischen Volkes und fordert von der Völkergemeinschaft Waffen und Geld für den Kampf gegen das Assad-Regime. Obgleich diverse Oppositionsgruppen und bewaffnete Milizen in Syrien deutlich gemacht haben, daß sie mit der Nationalen Koalition nichts zu tun haben, ist diese inzwischen von etlichen arabischen und europäischen Ländern, so von Frankreich und Großbritannien, wie auch von den USA anerkannt worden. Wenngleich Assad also jene Teile der Opposition ausblendet, die sich aus Syrern zusammensetzen und Reformen im Land fordern, trifft seine Einschätzung für einen erheblichen Teil seiner Gegner und deren Hintermänner durchaus zu.

Die Nationale Koalition verlangt die Einrichtung einer Flugverbotszone und damit de facto einen Luftkrieg der NATO-Staaten gegen Syrien nach dem Muster Libyens. Ihr Sprecher Walid Bunni lehnte Assads Vorschläge zur friedlichen Beilegung des Konflikts mit der Begründung ab, man werde keine Lösung akzeptieren, bei der das alte Regime an der Macht bliebe. Die von Gnaden der NATO und ihrer Verbündeten zur legitimen Vertretung des syrischen Volkes hochstilisierte Fraktion der Opposition weist mithin alle Merkmale jener ausländischen Aggression auf, die Assad in seiner Rede als Verhandlungspartner zurückgewiesen hat.

Anders als im Frühjahr 2011 in Libyen, als die Truppen Muammar al Gaddafis durch einen Luftkrieg und Spezialkommandos der NATO am Boden in relativ kurzer Zeit überrannt wurden, verfügt die syrische Regierung über erheblich schlagkräftigere Streitkräfte und erhält bislang Rückendeckung von Rußland und China im Sicherheitsrat. Das hat die NATO an einem offenen Angriffskrieg gegen Syrien gehindert, das einer Intervention im Iran und mithin der fortgesetzten Einkesselung Rußlands im Wege steht. Assad dankte in seiner Ansprache Rußland, China und dem Iran dafür, daß sie die ausländische Einmischung in Syrien zurückgewiesen hätten. Zumal Mutmaßungen kursieren, Russen und Chinesen dächten inzwischen über Alternativen zum bedingungslosen Festhalten an ihrem angeschlagenen Verbündeten nach, dürfte Assads öffentlicher Auftritt auch ein Signal an Moskau und Peking gewesen sein, daß es ohne ihn keine politische Lösung in Syrien geben könne, sondern nur einen weiteren zerschlagenen Staat samt NATO-Präsenz vor den Toren Rußlands.

Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-01/syrien-assad-rede-mursi-usa-iran

[2] http://nachrichten.rp-online.de/politik/assad-fordert-totale-mobilisierung-1.3125730

[3] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1969737/

[4] http://de.ria.ru/politics/20130106/265276204.html

7. Januar 2013