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KRIEG/1598: "Im Krieg gelten andere Gesetze" - Massaker inbegriffen? (SB)




Vor der ersten Zivilkammer des Landgerichts Bonn hat ein Prozeß gegen die Bundesregierung begonnen, der in der Konsequenz nichts weniger als die gesamte deutsche Kriegsbeteiligung auf den Prüfstand legt. Verhandelt wird in den nächsten Monaten über den verheerendsten Angriff in der Verantwortung deutscher Soldaten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, das Massaker von Kundus. Die Bundesanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren gegen Oberst Georg Klein eingestellt und ihn vom strafrechtlichen Vorwurf des Mordes an Zivilisten vor allem mit dem Argument entlastet, für ihn sei "angesichts der ihm bekannten Umstände" und der Angaben eines Informanten "die Anwesenheit geschützter Zivilisten fernliegend" gewesen. Daher habe er die Menschen in der Umgebung der Tanklaster nicht warnen müssen. Doch selbst wenn "mit der Tötung mehrerer Dutzend geschützter Zivilisten hätte gerechnet werden müssen", hätte dies "bei taktisch-militärischer Betrachtung nicht außerhalb jeden Verhältnisses zu den erwarteten militärischen Vorteilen gestanden". Sowohl "die Vernichtung der Tanklastzüge als auch die Ausschaltung ranghoher Taliban" hätten eine "nicht zu unterschätzende militärische Bedeutung" gehabt, ein völkerrechtswidriger "Exzess" Kleins scheide somit aus, hieß es im damaligen Abschlußbericht. [1]

Mit dieser Begründung hatte die Bundesanwaltschaft eine Argumentationslinie eröffnet, welche die Legalisierung deutscher Kriegsführung auch und gerade am Beispiel eines Massakers auf eine neue Stufe hebt. Indem ein absoluter Vorrang relevanter militärischer Ziele vor zu Kollateralschäden erklärten zivilen Opfern postuliert wird, bestreitet man in der Konsequenz die Anwendbarkeit des Straf- und Völkerrechts auf die verantwortlichen Militärs.

In einem Pilotverfahren fordern nun zwei Hinterbliebene aus Afghanistan von der Bundesrepublik Deutschland Schadensersatz für ihre bei dem Luftangriff ums Leben gekommenen Angehörigen. Ein Vater, dessen zwei Kinder bei der Bombardierung getötet wurden, sowie eine Mutter von sechs Kindern, die ihren Mann und Ernährer der Familie verlor, verlangen Entschädigungszahlungen in Höhe von 40.000 Euro beziehungsweise 50.000 Euro. Der sie vertretende Bremer Rechtsanwalt Karim Popal und der Bremer Völkerrechtsexperte Peter Derleder sprechen von einem Verstoß gegen das Völkerrecht und werfen dem damaligen Kommandeur für Kundus, Oberst Georg Klein, eine grob fahrlässige Amtspflichtverletzung vor. Er habe trotz der Zweifel auf seiten der US-Jetpiloten die Bombardierung der Laster samt Menschenmenge veranlaßt. Videoaufnahmen eines Aufklärungsflugzeugs belegten, daß überwiegend Zivilisten an den feststeckenden Tanklastern versucht hätten, Benzin zu zapfen.

Hingegen forderten Vertreter des Bundesverteidigungsministeriums, die Klage abzuweisen. Die Bundesrepublik sei nicht zu verklagen, da Oberst Klein im Rahmen der NATO in internationale Befehlsstrukturen eingebunden gewesen sei. Zudem sei bereits juristisch geklärt worden, daß sein Verhalten völkerrechtlich zulässig gewesen sei. In der Nacht habe sein Informant in mehrfachen Telefonaten ausschließlich von Aufständischen bei den entführten Lastern gesprochen. [2] Auch das Amtshaftungsrecht aus Paragraf 839, auf das Popal sich beruft, gelte hier nicht. Da sich der Vorfall in einem bewaffneten Konflikt ereignete, sei diese Regelung nicht anwendbar. [3]

Richter Heinz Sonnenberger, der Vorsitzende in diesem Prozeß, stand 2003 bereits einem ähnlichen Fall vor. Bei einem NATO-Luftangriff auf eine Brücke nahe dem serbischen Ort Varvarin starben 1999 zehn Zivilisten, 17 wurden schwer verletzt. 35 Serben klagten auf Schmerzensgeld zwischen 5000 und 100.000 Euro. Richter Sonnenberger wies damals die Klage am Landgericht Bonn mit der Begründung ab, es gebe "weder im Völkerrecht noch im deutschen Staatshaftungsrecht eine rechtliche Grundlage", als Einzelperson gegen einen Staat vorzugehen "und ihn wegen Kriegsfolgen haftbar zu machen".

Das damalige Urteil läßt für den aktuellen Prozeß Schlimmstes befürchten, wenngleich Sonnenberger zumindest dem Antrag des Ministeriums, die Klage abzuweisen, nicht stattgegeben hat. Allerdings hat er klargestellt, daß vor einer Annahme der Klage durch das Gericht noch zentrale Fragen zu klären seien. Unter anderem müsse geprüft werden, ob der klagende Mann und die klagende Frau tatsächlich Angehörige verloren haben und ob durch den Luftangriff gegen humanitäres Völkerrecht verstoßen wurde. Auch müsse geprüft werden, ob bei dem Luftangriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde (AZ: 1 O 460/11).

Am 4. September 2009 kurz vor 2 Uhr morgens bombardierten zwei NATO-Kampfjets die entführten Tanklaster. Dabei wurden laut Ministerium 91, nach Angaben Popals 137 Zivilisten getötet. Der Bremer Anwalt vertritt insgesamt 79 Familienangehörige und fordert für jeden der vielen Toten eine Entschädigungssumme zwischen 20.000 und 75.000 Euro, insgesamt geht es um 3,3 Millionen Euro. Die Bundesregierung hatte zunächst geleugnet, daß es zivile Opfer gab, später mußte jedoch der zuständige Verteidigungsminister, Franz-Josef Jung, zurücktreten. Schließlich wurden 91 Opfer anerkannt, denen man jeweils pauschal 5000 US-Dollar zukommen ließ, ohne damit ein Schuldeingeständnis zu verbinden.

Wie Popal dazu ausführt, sei das Geld in vielen Fällen nicht bei den Hinterbliebenen angekommen. Man hatte die Summe an männliche Verwandte gezahlt, die es für Witwen und Waisen verwalten sollten. Die Frauen und Kinder hätten jedoch häufig keinen Cent davon bekommen und litten in vielen Fällen große Not, da sie ihren Ernährer verloren haben und Frauen nicht einfach arbeiten gehen können. Der Anwalt plädiert dafür, Entwicklungsprojekte in den Dörfern der Opfer zu initiieren, die besonders den Witwen und Waisen zugutekommen. Doch das ist nach Auskunft des Verteidigungsministeriums nicht geplant. [4]

Wie Oberst Klein seinerzeit vor dem Untersuchungsausschuß des Bundestages versichert hatte, habe er nie töten wollen, doch alles tun müssen, um Gefahr von seinen Soldaten abzuwenden. Die einzig verfügbare Quelle am Boden habe immer wieder bestätigt, daß es sich bei der um die beiden festgefahrenen Lastwagen voller Treibstoff anwachsenden Menschenmenge durchweg um Aufständische handle. Er habe allein die Entscheidung treffen müssen, die wie immer bei militärischen Führern ins Ungewisse ziele und zwangsläufig Konsequenzen für Leben und Tod nach sich ziehe. Wer ein komplettes Lagebild erwarte, erliege einer Illusion, zumal das Bild im Kopf eines Befehlshabenden nicht zuletzt auf Erfahrung gründe, in seinem Fall auf fünf Monaten Kundus.

"Was konnte Klein wissen, was durfte er anordnen?", fragte Richter Sonnenberger und fügte hinzu: "Wie unterscheidet man eigentlich Taliban von Zivilisten?" Die passende Antwort hat der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung längst mit der Erklärung vor dem Untersuchungsausschuß gegeben, dieselben Afghanen könnten nachmittags Bauern und abends Taliban sein. Wer könne da schon zwischen Aufständischen und Zivilisten unterscheiden. Dieser Logik des Antiguerillakriegs folgend schlägt der reklamierte Schutz der eigenen Soldaten die Verantwortung für den Tod ziviler Opfer leichterdings aus dem Feld. Von dieser Schlußfolgerung ausgehend ist es nur noch ein kleiner Schritt, bis der Wunsch des Bundesverteidigungsministeriums Wirklichkeit wird: "Im Krieg gelten andere Gesetze. Es wäre schön, wenn wir eine Klarstellung bekämen, dass das Amtshaftungsrecht in bewaffneten Konflikten nicht anwendbar ist", so der Anwalt des Ministeriums.

Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-in-afghanistan-prozess-zu-luftangriff-von-kunduz-beginnt-a-890034.html

[2] http://www.ksta.de/politik/kundus-affaere-klage-der-hinterbliebenen,15187246,22164888.html

[3] http://www.dw.de/prozessauftakt-im-kundus-verfahren/a-16680680

[4] http://www.tagesspiegel.de/politik/afghanistan-gericht-verhandelt-ueber-luftangriffe-bei-kundus/7954532.html

21. März 2013