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KRIEG/1619: Brandstifter ratlos? - Rußland bremst Intervention der NATO (SB)




Anders als im Fall des Iraks und Libyens verhindert Rußland im Syrienkrieg bislang einen massiven militärischen Angriff der NATO-Staaten. Moskau ist sich der Einkreisung bewußt, welche die westlichen Mächte mit jeder bellizistischen Offensive in dieser Weltregion enger ziehen, und hat diesmal einen Fuß in die Tür gestellt. Der Entwurf zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen, auf den sich Washington und Moskau nach wochenlangem Ringen verständigt hatten und der nun vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einstimmig angenommen worden ist, wird als diplomatischer Erfolg der russischen Seite bewertet. Die Resolution sieht keine automatischen Sanktionen oder gar ein militärisches Eingreifen vor, sollte Syriens Präsident Bashar al-Assad den Forderungen nicht nachkommen. Dafür ist eine weitere Resolution nötig, die Rußland mit seinem Veto jederzeit verhindern könnte. Wie Außenminister Sergei Lawrow hervorhob, gebe der Text den Weg für eine politische Lösung des Konflikts vor. Die Resolution falle nicht unter Kapitel VII der UNO-Charta und lasse keinen automatischen Militäreinsatz zu. Er sei sicher, daß Syrien "in guter Absicht und konstruktiv" mit den Chemiewaffeninspektoren zusammenarbeiten werde.[1]

Die USA sahen sich zu einem taktischen Rückzug veranlaßt, da ihr strategischer Entwurf, Syrien in ein Chaos zu stürzen, das ihren hegemonialen Vormarsch befördert, angesichts der militärischen Lage im Land eine für sie unerwünschte Richtung genommen hat. Außenminister John Kerry hat nach Verabschiedung der Resolution der syrischen Regierung noch einmal ausdrücklich mit Konsequenzen gedroht. Das widerspricht zwar dem Inhalt des Beschlusses, läßt aber keinen Zweifel daran, daß eine direkte Intervention lediglich aufgeschoben, doch keineswegs ad acta gelegt ist. Aus seinem Amtssitz in der russischen Hauptstadt ließ der russische Vizeaußenminister Sergej Rjabkow wissen, daß die USA die Aufständischen weiterhin massiv mit Waffen unterstützen wollen. Die Lage könne damit weiter destabilisiert werden, und die Gefahr einer Gewaltanwendung gegen Syrien sei nur zeitweilig verschoben.[2]

Das probate Modell eines Regimewechsels durch die westlicherseits installierte politische Marionettenopposition einerseits und die Aufrüstung und logistische Unterstützung der Aufständischen andererseits ist aus dem Ruder gelaufen. Nachdem es zu heftigen Kämpfen zwischen verschiedenen Fraktionen der Aufständischen gekommen war, hatten Mitte der Woche dreizehn islamistische Brigaden erklärt, die Allianz spreche nicht mehr in ihrem Namen. Nun hat mit Hauptmann Amar al-Wawi ein führendes Mitglied der von Deserteuren gegründeten Freien Syrischen Armee (FSA), der Nationalen Syrischen Allianz und dem FSA-Generalstab im Namen von Brigaden aus mehreren Provinzen die Gefolgschaft aufgekündigt. Auch sieben Brigaden aus der südlichen Provinz Daraa sagten sich von der Allianz los.

Offensichtlich werden die von Saudi-Arabien und Katar aufgerüsteten Dschihaddisten, darunter insbesondere die von Al-Kaida gesteuerten Kräfte, immer stärker und drohen selbst aus Perspektive der USA zum größten und von ihnen vollends unkontrollierbaren Schrecken im Syrienkrieg zu werden. Damit ist das fiktive Bündnis der Opposition endgültig zerbrochen, was dazu führt, daß die legitimatorische Rechtfertigung des Krieges im Namen vorgehaltener Menschen- und Freiheitsrechte der syrischen Bevölkerung zusehends an Überzeugungskraft einbüßt. Daß es sich bei Saudi-Arabien und Katar um grausame Regime handelt, die mit Repression und Ausbeutung bis hin zu Sklavenarbeit den überwiegenden Teil ihrer Bevölkerung unterdrücken wie auch ihren despotischen Einfluß exportieren, wird inzwischen in westlichen Medien offen diskutiert.

UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach nach dem Beschluß des Sicherheitsrats von einer "historischen Resolution" und den "ersten guten Nachrichten zu Syrien seit langer Zeit." Die schon seit langem geplante, aber bisher nicht terminierte Konferenz zur Zukunft des Landes solle nun Mitte November in Genf stattfinden. Der UNO-Botschafter Syriens, Bashar Dschaafari, hat die Teilnahme seiner Regierung an der Friedenskonferenz angekündigt, und wie Ban erklärte, wollten auch die Aufständischen daran teilnehmen. Länder wie die Türkei, Saudi-Arabien, Katar, Frankreich und die USA, die die Aufständischen unterstützen, müßten sich der Resolution ebenfalls verpflichtet fühlen.

Unterdessen haben Saudi-Arabien, die Türkei und Frankreich jedoch abtrünnige Funktionäre der syrischen Regierung als mögliche Führungspersönlichkeiten für eine künftige Übergangszeit ins Spiel gebracht. So soll sich der frühere Verteidigungsminister Ali Habib nach Frankreich abgesetzt haben. Saudi-Arabien unterstützt offenbar den ehemaligen Ministerpräsidenten Riad Hedschab. Angeblich sollen die Saudis sogar ein halbes Jahr lang alle Hilfen für die Koalition eingestellt haben, weil sich diese geweigert hatte, Hedschab für die genannte Position vorzusehen. Diese Entwicklung belegt, daß der Deckmantel, man habe eine Demokratisierung Syriens im Sinn, immer dünner wird, während zugleich das Hauen und Stechen um künftigen Einfluß zunehmend groteske Züge annimmt.

Wenngleich daher die Entuferung des Krieges in Gestalt offener Angriffe der NATO-Mächte durch das Einschreiten Rußlands vorerst verhindert worden ist, wird eine politische Lösung des Konflikts mehr denn je vom weiteren Verlauf der Kampfhandlungen diktiert. Nach Aussagen von Kommandeuren der Aufständischen, die nicht dem Lager der verschiedenen islamistischen Fraktionen angehören, nehmen diese durch die massive Unterstützung seitens der Golfstaaten so rasch an Stärke zu, daß sie in absehbarer Zeit die einzig maßgebliche Strömung der Regierungsgegner darstellen werden. Das Vorhaben der westlichen Mächte, die von ihnen favorisierten Teile des Aufstands aufzurüsten, droht Syrien endgültig in ein Schlachtfeld rivalisierender Söldnertruppen zu verwandeln, die nicht nur gegen die Regierungstruppen kämpfen, sondern auch übereinander herfallen.

Die Pläne der USA und ihrer Verbündeten, mit dem von ihnen vom Zaun gebrochenen Stellvertreterkrieg die syrische Regierung zu stürzen, ist ebensowenig aufgegangen wie die Legitimierung einer Opposition, die Wachs in ihren Händen ist. Legt man den Islamisten Zügel an, ist der Krieg so gut wie verloren. Läßt man sie von der Kette, droht ein künftiges Regime in Damaskus, das sich im nächsten Schritt gegen US-amerikanische Einrichtungen in der gesamten Region und gegen Israel wendet. Als Brandstifter sein Unwesen zu treiben, heißt auch in diesem Fall nicht, daß damit die Fähigkeit einherginge, das Feuer zu löschen.


Fußnoten:

[1] http://www.nzz.ch/aktuell/international/auslandnachrichten/uno-sicherheitsrat-stimmt-fuer-syrien-resolution-1.18158151

[2] http://www.neues-deutschland.de/artikel/834500.chefsache-mit-vorteil-fuer-moskau.html

28. September 2013