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KRIEG/1625: Kalkulierter Ernstfall auf dem Schlachtfeld bunter Revolutionen (SB)




Was lange währt, wird endlich so brisant, daß am Ende keiner dafür verantwortlich sein will. Die Reaktion der russischen Regierung auf den Umsturz in der Ukraine wird in den Medien der NATO-Staaten fast rundheraus als allein aus Gründen territorialer Expansion resultierender Akt der Aggression bewertet. Der selektive Blick auf die Folgen einer angeblich Freiheit und Demokratie fordernden Aufstandsbewegung läßt jedoch fast alles aus, was den offensiven Charakter des russischen Vorgehens als absehbare Konsequenz eines seit 1991 erfolgenden Übergriffs auf das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion erklärbar macht.

So wurde das Ende der Sowjetunion durch die Zusicherung des damaligen US-Präsidenten George H. W. Bush an den sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow möglich gemacht, daß die NATO nicht auf das Gebiet der Warschauer-Vertragsstaaten vorrückt. Die NATO-Osterweiterung der 1990er Jahre wurde in Moskau ebenso als geostrategische Offensive verstanden wie die sezessionistische Auflösung Jugoslawiens. Dort durchbrachen die NATO-Staaten mit der Abtrennung des Kosovo von Serbien erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg das völkerrechtliche Verbot gewaltsamer Grenzveränderungen in Europa. Insbesondere von der Bundesrepublik und den USA unterstützte separatistische Bewegungen in Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Kosovo sorgten für den Zerfall des sozialistischen Vielvölkerstaates, der in dieser Hinsicht durchaus ein Äquivalent zur Sowjetunion darstellte und aufgrund seiner slawischen Bevölkerung in Moskau für einen Bestandteil der eigenen Hegemonialsphäre erachtet wurde.

Daß es beim Überfall der NATO auf die Bundesrepublik Jugoslawien nicht zu einem Krieg zwischen der Russischen Föderation und der NATO kam, war vor allem dem Einlenken der russischen Führung geschuldet, die sich davon einen Interessensausgleich mit der NATO erhoffte. Der damalige Präsident Boris Jelzin konnte mit seiner opportunistischen Politik gegenüber dem Westen allerdings nicht erreichen, daß der Vormarsch gegen sein Land aufgegeben wurde.

Um so mehr ist Wladimir Putins Insistieren auf strategische Handlungsfähigkeit im Verhältnis zum Westen ein Quell von Anfeindungen, mit denen der autoritäre Charakter russischer Staatlichkeit über die Maßen vergleichbarer, aber mit den NATO-Staaten verbündeter Akteure hinaus dämonisiert wird. Bei den Versuchen, das Ansehen Putins etwa im Vorfeld der Olympischen Winterspiele zu beschädigen, wurden Mißstände der russischen Gesellschaft wie etwa die Diskriminierung Homosexueller oder die Unterdrückung politischen Protestes ohne das Anlegen des gleichen Maßstabes an entsprechende Praktiken westlicher oder mit ihnen verbündeter Staaten angeprangert. Die gegen Rußland im allgemeinen und Putin im besonderen gerichtete Demagogie führt zwar Menschenrechte im Schild, unterläuft diese aber gleichzeitig durch machtpolitische Zwecke, die die Probleme davon betroffener Menschen im Zweifelsfalle vergrößern.

Dies gilt auch für die Kette bunter Revolutionen, die mit dem Sturz der jugoslawischen Regierung unter Slobodan Milosevic ihren Anfang nahm und in der Ukraine, Belarus und Georgien das immer gleiche Strickmuster unter Beteiligung westlicher Organisationen und Regierungen formierter Aufstandsbewegungen aufwies. Wo nationalistische Parolen an die Stelle sozialer und antikapitalistischer Ziele traten, wurde schnell klar, daß berechtigter Protest instrumentalisiert und Zwecken zugeführt wurde, die die betroffenen Bevölkerungen vom Regen in die Traufe spülen sollten. Die Neuauflage der Orangenen Revolution durch die Bewegung des sogenannten Euromaidan war so vehement gegen den russischen Einfluß im Land gerichtet, daß der Funke der Sezession von Anfang an glimmte. Je deutlicher das Zusammenspiel zwischen den Regierungen der NATO-Staaten und der Aufstandsbewegung sichtbar wurde, desto bedrohter mußte sich der Rußland zuneigende Teil der ukrainischen Bevölkerung fühlen.

Die dominante Rolle der Partei Swoboda und des Rechten Sektors zeigte sich auch in der Aufkündigung des von den EU-Emissären Frank-Walter Steinmeier und Radoslaw Sikorski verhandelten friedlichen Übergangs in der Ukraine. Der Griff dieser neofaschistischen Kräfte nach der Macht schlug sich unter anderem in einem nun zurückgestellten Gesetzesentwurf nieder, der die Verwendung der russischen Sprache im Behördenverkehr untersagt hätte. Das Umstürzen verbliebener Lenin-Statuen auch im mehrheitlich russischen Osten des Landes tat ein Übriges dazu, den nicht nur nationalistischen, sondern aggressiv antikommunistischen Charakter des Aufstands zu illustrieren.

Die vermeintlich innere Auseinandersetzung in der Ukraine wurde durch die breite Unterstützung des "Euromaidan" durch westliche Regierungen und massenmedial wirksame PR-Agenturen schon Monate vor der Intervention russischer Truppen internationalisiert. Wurde das bis dahin eher defensive Agieren Moskaus als Schwäche ausgelegt, dann fühlt sich der Kreml nun um so mehr veranlaßt, ein Zeichen der Stärke zu setzen und sich auf seine Weise an der Einmischung in die Angelegenheiten der Ukraine zu beteiligen. Dies ist in den Augen der russischen Eliten auch deshalb erforderlich, um eine Wiederholung des ukrainischen Aufstandsszenarios im eigenen Land zu verhindern.

So erschließt sich das offensive Einschreiten der russischen Regierung auf der Krim kaum aus dem damit beanspruchten Schutz der ukrainischen Bevölkerung russischer Herkunft. Auch ist der geostrategische Grund, mit Sewastopol den einzigen Zugang der russischen Flotte zum Schwarzen und Mittelmeer zu sichern, aufgrund des vertraglich noch bis 2040 andauernden Nutzungsrechts nur bedingt relevant. Läßt man die Geschichte antirussischer Manöver der NATO-Staaten Revue passieren, dann müssen die russischen Eliten vor allem die Wiederholung eines Zerfallsszenarios wie bei der Auflösung der Sowjetunion und Jugoslawiens im eigenen Land befürchten. Je erfolgreicher derartige Strategien durchgeführt werden können, wofür die Entwicklung der letzten drei Monate in der Ukraine ein Musterbeispiel ist, desto mehr Grund besteht zu der Annahme einer Rekapitulation angeblicher Demokratisierungszenarios in der Russischen Föderation selbst.

Blickt man auf die Zeit seit dem Ende der Sowjetunion zurück, so wurden fast ausschließlich Staaten aus ihrer ehemaligen Einflußsphäre Ziel sezessionistischer Bestrebungen. Mit der EU unter Führung eines Deutschland, das durch den Anschluß der DDR an die BRD erfolgreich seine Restauration als europäischer Machtfaktor betrieb, hat sich neben den USA ein zweiter Akteur mit Weltmachtambitionen etabliert, dem die eurasische Landmasse ein naheliegendes Ziel eigener Einflußnahme ist. Zwar gibt es zwischen den USA und der EU Unterschiede im strategischen Vorgehen, doch wird im Verhältnis zu Rußland eine so offensive Agenda verfolgt, daß man dort allen Grund hat, nicht nur äußere Eroberung, sondern auch innere Unterwanderung zu fürchten.

Insofern ist es Ausdruck schierer Ignoranz, wenn deutsche Kommentatoren angesichts der aktuellen Konfrontation über eine Fortsetzung des Kalten Krieges räsonieren. Dieser hat nie aufgehört, sondern lediglich seine Gestalt von einem vor allem ideologisch bestimmten Systemwettstreit zu einer zwischenstaatlichen Auseinandersetzung um politischen und ökonomischen Einfluß verändert. Die Kontrolle über Rußland als nach wie vor größten Flächenstaat der Welt und Hort ungeheurer natürlicher Ressourcen zu erlangen, mag wie ein fernes Ziel erscheinen. Die durch die Totalität der kapitalistischen Globalisierung vertieften Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Staaten und die durch die Krise des Kapitalismus verschärfte Angreifbarkeit der politischen Systeme insbesondere in weniger produktiven Peripheriestaaten rückt derartige Umwälzungen im globalen Machtgefüge jedoch in greifbare Nähe.

Es zeugt weniger von historischer Amnesie als von Arroganz selbstverständlich gewordener Ermächtigungsakte, wenn NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen die von seiner Militärallianz selbst auf den Müllhaufen friedenssichernder Geschichte geworfene UN-Charta heranzitiert oder US-Außenminister John Kerry die Verletzungen staatlicher Souveränität, die sein Land begangen hat, mit der Anprangerung einer solchen Aggression Rußlands übergeht. Die NATO-Staaten haben das Instrumentarium friedenssichernder Maßnahmen in imperialistischen Kriegen verheizt und nun um so mehr Anlaß, gegen Rußland zu Sanktionen oder zu den Waffen zu greifen. Das dabei in Anspruch genommene Schuldverhältnis exemplifiziert die Logik kapitalistischer Herrschaft - was immer der Schuldner tut, er wird noch mehr von dem verlieren, was er in der Hoffnung auf Besserung durch seine Unterwerfung zu retten versucht.


Fußnoten:

Zu den Entwicklungen im Vorfeld der aktuellen Eskalation siehe Schattenblick unter
INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR:

HEGEMONIE/1767: Geostrategischer Machtkampf - Ringen um das Schlachtfeld Ukraine (SB)
HEGEMONIE/1769: EU-imperialistische Weichenstellung in der Ukraine (SB)
HEGEMONIE/1771: Lodengrüner Revolutionschic - Maidan für Deutschland (SB)
HEGEMONIE/1772: EU-Parlament empfiehlt aggressive Osterweiterung (SB)
HEGEMONIE/1773: Beute Ukraine - Die Saat der Eskalation geht auf (SB)
HEGEMONIE/1774: Korruption in der Ukraine - Chiffre EU-europäischer Ermächtigung (SB)
HEGEMONIE/1775: Soziales Elend festgeschrieben - Regimewechsel in der Ukraine (SB)
KRIEG/1624: Ostexpansion der NATO schafft Brandherde (SB)
PROPAGANDA/1476: Freiheit über alles ... deutscher Demokratismus in der Ukraine (SB)

und unter INFOPOOL → POLITIK → MEINUNGEN:

DILJA/1414: Die rechte Karte im Spiel? (SB)

2. März 2014