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KRIEG/1652: Slobodan Milosevic und die Verrechtlichung des Imperialismus (SB)



6000 Soldaten, darunter 750 der Bundeswehr, sind auch 17 Jahre nach Eroberung des Kosovo durch die NATO mit dem Auftrag dort stationiert, die von sozialen Spannungen und ethnischen Konflikten zerrüttete ehemalige serbische Provinz nicht in Chaos und Gewalt versinken zu lassen. Das von Hashim Thaci, einer Schlüsselfigur der Instrumentalisierung der Kosovo-Albaner durch die NATO, weiterhin beherrschte, als Hochburg organisierter Kriminalität berüchtigte und wirtschaftlich zu keiner eigenständigen Entwicklung fähige Land ist das letzte Ergebnis der Zerschlagung Jugoslawiens durch US-amerikanische und EU-europäische Regierungen. Mit seiner völkerrechtswidrigen Abspaltung von Serbien und Jugoslawien wurde kalt vollzogen, was die gleichen Akteure heute im Falle der Krim im Brustton selbstgerechter Empörung aufheulen läßt. "Might makes right" lautet die US-amerikanische Kurzformel für eine legalistische Politik, deren Exekutoren als rechtssetzende Gewalt in eigener Sache betreiben, woraus anderen der Strick gedreht wird.

Die multinationale Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien hatte sich nicht wie die Satellitenstaaten der Sowjetunion nach deren Auflösung dem schnellen Übergang zur neoliberalen Marktwirtschaft geöffnet. Sie hätte durchaus die Unabhängigkeit des von ihrem maßgeblichen Gründer Josip Broz Tito eingeschlagenen dritten Weges zwischen den Machtblöcken des Kalten Krieges beibehalten können, diesmal jedoch als möglicherweise weniger sozialfeindliche Alternative zur Europäischen Union. Spätestens mit dem Vertrag von Maastricht wurden dort die Reißleine gezogen und die Sporen des ethnisch-nationalistischen Spaltpilzes in dem "Völkergefängnis" (FAZ) verstreut. Wo sich der Haß des völkischen Nationalismus entfachen läßt, kennt der deutsche Imperialismus kein Pardon, um in Besitz zu nehmen, was seit jeher angestammter Expansionsraum ist, wie zwei frühere Aggressionskriege Deutschlands gegen Jugoslawien belegen. Flankiert von der Kreditpolitik der internationalen Gläubiger IWF und Weltbank fiel es nicht schwer, durch die selektive Anerkennung der Souveränität einzelner Föderationsmitglieder die Voraussetzungen für blutige Sezessionskriege zu schaffen.

Die finale Eroberung Jugoslawiens gelang mithilfe des Sturzes seines Präsidenten Slobodan Milosevic, an dessen Person der gewalttätige Charakter eines durch Waffen- und Geldgewalt gedeckten Rechtsanspruches für jeden sichtbar exemplifiziert wurde. Nachdem Belgrad einem Waffenstillstand zugestimmt hatte, dessen Absprachen auf seiner Seite vollständig, auf der Seite der NATO jedoch fast gar nicht eingehalten wurden, belagerte man das aus Serbien und Montenegro bestehende Restjugoslawien, bis Milosevic nach allen Regeln erpresserischer Kunst aus dem Amt vertrieben wurde. Dazu setzte man die jugoslawische Bevölkerung mit einer systematischen Strategie des Mangels so lange unter Druck, bis sich eine Mehrheit dazu bereit fand, mit Vojislav Kostunica den Kandidaten des Westens zu wählen.

Die Bundesrepublik Jugoslawien wurde im Rahmen des Balkan-Stabilitätspaktes großräumig isoliert, während die EU etwa mit dem Programm "Energie für Demokratie" wissen ließ, daß man von den jugoslawischen Bürgern keine souveräne Entscheidung, sondern die Unterwerfung unter das Diktat der Wertegemeinschaft erwartete. Daß die Verhängung von Sanktionen über loyal zur Belgrader Regierung stehende Bürger bei Begünstigung oppositioneller Städte und Gemeinden in einem Staat, der so diktatorisch regiert wäre, wie die westlichen Medien behaupteten, gar nicht hätte gelingen können, ist nur einer der eklatanten Widersprüche zwischen Propaganda und Praxis einer Europäischen Union, die den Mythos ihres friedensstiftenden Ursprungs mit dem Angriff auf Jugoslawien wirksam dementiert hat.

Zum finalen Sturz der Regierung Milosevic nutzten EU und USA nicht nur das Oppositionsbündnis DOS, sondern auch großzügig alimentierte PR-Arbeit westlich orientierter NGOs. Mit der sogenannten Studentenorganisation Otpor, die wenige Jahre später auch bei der sogenannten orangenen Revolution in Kiew zum Einsatz kommen sollte, wurde eine fünfte Kolonne für Aktionen im öffentlichen Raum geschaffen, die erwiesenermaßen am Tropf westlicher Finanziers hing. Entscheidend für den Erfolg der DOS war die Tatsache, daß man der Bevölkerung mit Vojislav Kostunica einen moderaten serbischen Nationalisten präsentierte, während der später offensichtlich von einem seiner Kollaborateure ermordete Zoran Djindjic im Hintergrund die Zügel in der Hand hielt. Djindjic war in Berlin und Washington äußerst beliebt, was ihm allerdings in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident kaum von Nutzen war, da der Westen die für den Sturz Milosevics versprochene Belohnung schuldig blieb und Djindjic schon deshalb unpopulär war, weil er im Krieg die Fortsetzung der Bombardierung durch die NATO befürwortet hatte. Die von ihm gegen das gesetzliche Auslieferungsverbot und einen Beschluß des obersten Gerichshofs bewirkte Überstellung Milosevics an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag war unter Druck von IWF und Weltbank erfolgt, die die Verhaftung des Ex-Präsidenten an die Auszahlung eines Kredites von 200 Millionen US-Dollar geknüpft hatten.

Das Internationale Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) wurde vom UN-Sicherheitsrat 1993 unter Anmaßung einer Vollmacht ins Leben gerufen, die allein der UN-Vollversammlung zugestanden hätte. Von Anfang an stand das ad-hoc-Tribunal unter Kuratel der führenden NATO-Staaten, die einen großen Teil seiner Bemittelung beisteuerten und Einfluß auf seine personelle Besetzung nahmen. Die ehemalige Chefanklägerin Louise Arbour rühmte US-Außenministerin Madeleine Albright als Mutter des Gerichts, was Ermittlungen oder gar eine Anklage gegen das Militärbündnis, das Jugoslawien völkerrechtswidrig überfallen hatte, selbstverständlich ausschloß. NATO-Sprecher James Shea antwortete am 17. Mai 1999 auf die Frage, ob das Militärbündnis bereit sei, sich selbst der Rechtsprechung des ICTY zu unterwerfen:

"Wie Sie wissen, gäbe es ohne die NATO-Staaten keinen Internationalen Strafgerichtshof, noch gäbe es ein Internationales Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien, denn die NATO-Staaten stehen an vorderster Front derjenigen, die diese beiden Tribunale eingerichtet haben, die sie finanzieren und die ihre Aktivitäten auf täglicher Basis unterstützen. Wir sind die Vertreter, nicht die Verletzer internationalen Rechts."

Während die Bomben der NATO auf Jugoslawien fielen, klagte Arbour Milosevic und andere Mitglieder seiner Regierung am 27. Mai 1999 wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an. Mitten in einem völkerrechtswidrigen Krieg gegen sein Land wurde Milosevic, der sich seines Verfassungsauftrags gemäß nicht den Forderungen der NATO-Staaten unterworfen hatte, wesentliche Hoheitsrechte Jugoslawiens auf diese zu übertragen, als mutmaßlicher Kriegsverbrecher stigmatisiert. Das diente nicht nur der scheinbaren Legitimation des primären Verbrechens des Aggressionskrieges, sondern machte den jugoslawischen Präsidenten als direkten Verhandlungsparter, dem die NATO-Regierungen womöglich Zugeständnisse hätten machen müssen, um den Krieg ohne eine verlustreiche Invasion zu beenden, inakzeptabel. Damit konnte die NATO Forderungen nach Einstellung der Angriffe ausweichen und den Krieg zugunsten des eigenen Rufs als einer schlagkräftige Militärmacht unter Einbeziehung Dritter beenden.

Dabei wies die angebliche Verbrechen der jugoslawischen Regierung im Kosovo betreffende Anklage bis auf das sogenannte Massaker von Racak, bei dem bis heute nicht widerlegt wurde, daß es sich um einen mit Unterstützung des US-Emissärs William Walker inszenierten Provokationsakt der kosovoalbanischen Miliz UCK handelte, hinsichtlich der unterstellten Vertreibung und Ermordung von Kosovo-Albanern keinen Punkt auf, der zeitlich vor Kriegsbeginn gelegen hätte. Damit war das Hauptargument für den Angriff der NATO, man hätte zur Verhinderung schlimmster Verbrechen an der albanischen Bevölkerung der serbischen Provinz mit militärischen Mitteln einschreiten müssen, hinfällig, ohne daß dies irgendwelche Konsequenzen für die Angreifer gehabt hätte. Auch die nach dem Einmarsch der NATO-Truppen in den Kosovo erfolgte, mit Gewalt und Mord durch die nationalistische UCK betriebene "ethnische Säuberung" des Kosovo von großen Teilen der nichtalbanischen Minderheiten erfolgte unter den Augen der angeblichen Menschenrechtsverteidiger der NATO. Dieser kollektive Akt rassistischer Gewalt wurde nicht annähernd in gleichem Ausmaß skandalisiert, geschweige denn juristisch verfolgt, wie der angeblich ursächliche Kriegsgrund, die Unterdrückung und angebliche Vertreibung der separatistischen Kosovo-Albaner durch die Belgrader Regierung.

Da Milosevic sich nicht, wie man es in den Hauptstädten der NATO-Staaten wohl erwartet hatte, als reuiger Sünder gerierte, um von der Rechtsgewalt der Kriegssieger verschont zu werden, sondern zum Gegenangriff ausholte, kam sein Tod am 11. März 2006 nicht ungelegen. Den Anklägern blieb nicht nur der Vorwurf erspart, das in Anspruch genommene Recht durch die Verweigerung der vom ehemaligen jugoslawischen Präsidenten verlangten Vorladung jener Staats- und Regierungschefs, die die Verantwortung für den Krieg gegen sein Land tragen, gebeugt zu haben, sie brauchten sich auch nicht mehr das Schlußplädoyer anzuhören, mit dem der Angeklagte seine Strategie, die NATO-Staaten als wesentliche Akteure bei der Zerschlagung Jugoslawien vorzuführen, gekrönt hätte.

Nur über die Leiche Slobodan Milosevics konnte die Schuldfrage abschließend zu dessen Lasten geklärt werden. Der ehemalige Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien sollte hauptsächlich für das blutige Ende der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien verantwortlich sein, so die Lesart der NATO-Staaten, die nach dem Prinzip des Teilens und Herrschens blutig eskalierende Konflikte zwischen den jugoslawischen Republiken und Ethnien geschürt hatten. Die schnelle Anerkennung der sezessionistischen Republiken Slowenien und Kroatien, die einseitige Wahrnehmung der Interessen der bosnischen Muslime und Kroaten gegen die größte Nation unter den Südslawen, die zu schwächen Voraussetzung war für die vollständige Zerschlagung des einstigen sozialistischen Vorzeigestaates, und die Parteinahme in einem innerserbischen Konflikt, in dem separatistische Kräfte unter den Albanern die Belgrader Zentralregierung mit Unterstützung insbesondere durch die USA und Deutschland herausforderten, hat erheblichen Legitimationsbedarf hinterlassen.

Milosevic hat vier Jahre lang vor dem ICTY, dessen Jurisdiktion er niemals anerkannte, nicht ohne Erfolg versucht, die Wahrheit nach Lesart der Sieger zu erschüttern. Seine vom Den Haager Tribunal nach Kräften unterminierte Verteidigung in eigener Sache führte dazu, daß er den Spieß umdrehte und das mit großem medialen Aufwand als Prozeß des Jahrhunderts angekündigte Verfahren schon bald in der Versenkung verschwand. Als den Regierungen, die ihn während der jugoslawischen Sezessionskriege in den Rang eines universalen, selbst schlimmste Verbrechen wie die Judenvernichtung des NS-Regimes relativierenden Feindbildes erhoben, die Beute ihres selbstgerechten Furors verloren zu gehen drohte, glänzte der vermeintliche Triumph internationaler Rechtsprechung in den politischen Kommentaren schnell durch Abwesenheit.

Milosevic stand in seiner Prozeßführung mit einem kleinen Kreis von Unterstützern, die nicht selten von den Behörden ihrer Länder schikaniert wurden, einem mit umfangreichen Finanzmitteln ausgestatteten Apparat gegenüber, der in engem Kontakt mit den Geheimdiensten der NATO-Staaten stand und Exekutivbefugnisse gegenüber Regierungen besaß, die seiner Zuständigkeit unterstellt wurden. Im Gerichtssaal wurde Milosevic häufig das Mikrofon unter dem Vorwand abgedreht, er dürfe keine politischen Ausführungen machen. Gerade weil dieser Prozeß von vornherein von eminent politischer Art war, sollte nicht zur Sprache kommen, daß es sich bei dem jenseits der Legalität und Legitimität eigenen Handels angemaßten Recht schlicht um die Gewalt des Stärkeren handelte. Da man dem schwer herzkranken Milosevic trotz seiner Zusicherung, den Prozeß auf jeden Fall zu Ende zu führen, verweigerte, sich in spezielle ärztliche Behandlung nach Moskau zu begeben, hat das ICTY zumindest verhindert, daß er optimale medizinische Versorgung erhielt und die krankmachenden Bedingungen seiner Inhaftierung vorübergehend verlassen konnte.

Das aus dem Sieg über Hitlerdeutschland hervorgegangene Jugoslawien Titos, das eines der führenden Mitglieder der Blockfreienbewegung war, fand in dem Nachfolgestaat Milosevics zwar nurmehr den Schatten seines sozialistischen Anspruchs, doch dieser reichte offensichtlich aus, um den Hegemonialanspruch einer EU der neoliberalen Marktwirtschaft auf ganz Europa außer Rußland in Frage zu stellen. Was Milosevic an Despotie und Willkür angelastet wurde, unterscheidet sich nicht von den Praktiken zahlreicher Regierungen, die sich bester Beziehungen zu EU und USA erfreuen, weil sie deren Interessen zuarbeiten oder zumindest nicht im Wege stehen. Die auf das Wohlwollen der führenden EU-Regierungen dringend angewiesenen Staaten, die Jugoslawien beerbt haben, sind bloße Spielbälle in den Händen insbesondere des deutschen Hegemonialanspruchs, wie nicht zuletzt die aktuelle Politik der Flüchtlingsabwehr belegt.

Der Versuch der Bundesregierung, ihren Einfluß auf die Ukraine geltend zu machen, führte unter anderem dazu, daß sie 2012 den Gesundheitszustand der ukrainischen Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko politisierte, um Druck auf den damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch auszuüben. Dessen unter Beteiligung neofaschistischer Milizen und in Anwesenheit EU-europäischer Emissäre erfolgter Sturz im Februar 2014 reiht sich ein in eine allerdings desaströs verlaufende Großmachtpolitik Berlins, bei der viel geblufft wird und Risiken eingegangen werden, die die Geschäftsgrundlage der Bundesrepublik keineswegs dauerhaft verbessern müssen. Die massenmediale Kampagne, mit der Timoschenko, die in der Ukraine wegen mutmaßlicher Steuerhinterziehung und Veruntreuung unter Anklage stand, als bemitleidenswertes Opfer eines Despoten inszeniert und ihre Überstellung an ein Krankenhaus in Berlin erwirkt wurde, hat sogar der Spiegel als Lehrstück für Lobbyarbeit und Einflußnahme auf die Bundesregierung kritisiert. Zwar wurde die aufgrund ihrer erheblichen Profite aus dem Energiegeschäft auch "Gasprinzessin" genannte Politikern später durch Äußerungen, die die atomare Auslöschung der russischen Bevölkerung der Ukraine und Rußlands zum Gegenstand hatten, weitreichend diskreditiert, sie ist jedoch bis heute wie Milosevic ein Beispiel dafür, mit welchen Mitteln in der Politik Reputation zerstört beziehungsweise aufgebaut wird, wenn es sich für die geostrategischen Absichten eines Staates als nützlich erweist.

Das mit der Anklage Slobodan Milosevics vor einem Tribunal der Kriegssieger aufgeführte Lehrstück über die Verrechtlichung des Imperialismus ist mit seinem Tod vor zehn Jahren keineswegs beendet. Die anwachsende Anomie in den internationalen Beziehungen - die Türkei wird trotz Krieges gegen die eigene Bevölkerung und Aussetzung essentieller Grundrechte von der EU hofiert, Despoten, die einst willkommene Verbündete waren, werden unter Gutheißung der westlichen Wertegemeinschaft ermordet, Kriege gegen gewählte Regierungen werden unter rechtsabsolutistischen Vorwänden entfacht, angebliche Rechtsstaaten setzen mit extralegalen Hinrichtungen den Standard eines auf keinerlei Gerichte mehr angewiesenen grenzenlosen Vollzuges strafender Gewalt, um nur einige Beispiele zu nennen - läßt die Rechtspraktiken und -kulturen der Länder, die sich der willkürlichen Beliebigkeit angemaßter Vollzugsrechte bedienen, nicht unbeschadet. Der Krieg kehrt heim, und es werden keine Gefangenen gemacht, weil die Möglichkeit, sich auf welches Recht auch immer zu berufen, zuvor gegenstandslos gemacht wurde.

10. März 2016


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