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KRIEG/1675: Den Frieden im Munde, Kriegsgelüste im Sinn (SB)



Wer Frieden im Munde führt, doch vom Kriegführen träumt, tut sich mit klaren Worten schwer. So gerät das Gespräch der Grünen-Politikerin Franziska Brantner mit dem Deutschlandfunk [1] über die aktuelle Waffenruhe in Syrien zu einem Paradebeispiel opportunistischen Lavierens voller Leerformeln und Redundanzen. Wer wie die Grünen das Erbe des Heldenvaters Joseph Fischer hochhält, kann wohl kaum anders handeln. Was der grüne Außenminister mit Welterklärerallüren im Schulterschluß mit dem Brachialsozialdemokraten Schröder seinen geschichtsbedingt kriegsmüden Landsleuten seinerzeit verdaulich gemacht hat, war schon epochal. Um deutsche Truppen erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf fremdem Boden marschieren, schießen und bombardieren zu lassen, noch dazu auf dem einst von der Wehrmacht heimgesuchten Balkan, bedurfte es harten ideologischen Tobaks. Den steuerte Fischer mit dem Aberwitz bei, das Tätervolk des Holocaust stehe in der unabweislichen Pflicht, den nächsten Genozid mit der Beteiligung an einem Angriffskrieg zu verhindern.

Damit war der leidige Bann, daß von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen dürfe, zugunsten der Formel gebrochen, daß die falschen Kriege zu verdammen, die richtigen aber unbedingt zu führen seien. Seither stehen die Grünen in vorderster Propagandafront, wann immer es gilt, Waffengänge im Namen der Menschenrechte und Demokratie, kurz der Schutzverantwortung zum Zweck des Regimewechsels, einzufordern. Was mit der Zerschlagung Jugoslawiens begonnen hatte, dessen Beharren auf einem Dritten Weg der Durchsetzung einer unipolaren Weltordnung im Wege stand, setzte sich in einer Kette unablässiger Angriffskriege westlicher Mächte fort. Anfangs als humanitäre Hilfe verbrämt, bald Zug um Zug als legitime Verteidigung deutscher Interessen in aller Welt offensiv vorgetragen, stand die Bundeswehr im Dauereinsatz.

Der Juniorpartner in der NATO nutzte seine ökonomische und politische Vorherrschaft in Europa, um immer unverhohlener auch eine militärische Führungsrolle auf dem Kontinent und darüber hinaus für sich zu reklamieren. Ob in Afrika oder dem Nahen und Mittleren Osten, auf Handelsrouten oder an der russischen Grenze, überall stehen deutsche Soldatinnen und Soldaten Gewehr bei Fuß, um die hiesige Vorzugsposition im globalen Raubgefüge zu sichern. Gäbe man der Einschätzung den Zuschlag, daß die kapitalistische Verwertung zwangsläufig in ökonomischen Übergriffen und imperialistischen Kriegen expandiert, folgte daraus die unverbrüchliche Positionierung, beidem entschieden die Stirn zu bieten. Hat man sich hingegen den grünen Kapitalismus auf die Fahne geschrieben, der alle Fliegen mit einer Klappe zu schlagen verspricht und dabei doch keine einzige trifft, kommt man zu anderen Schlüssen, auch was die deutsche Waffengewalt angeht.

Natürlich ist auch den Grünen nicht entgangen, daß der Sturz von Machthabern und Regimen, die Zerschlagung von Staaten und die Alimentierung fragwürdigster Hilfstruppen ins Chaos führen und einen Flächenbrand mit Weltkriegsgefahr entfacht haben. Will man andererseits auf die hegemoniale Karte keinesfalls verzichten, gerät man schnell in Bedrängnis, sobald jemand hartnäckig nachbohrt, worauf's denn hinauslaufen soll. Das ist für Christoph Heinemann, Journalist des Senders mit Sendungsbewußtsein, der sich als Platzhirsch medialer Ideologieproduktion versteht, ein Heimspiel. Er hakt bei der sich offensichtlich windenden Grünen-Abgeordneten nicht weniger als sechsmal aus unterschiedlichen Vektoren nach, ob der aktuelle Waffenstillstand nicht doch begrüßenswert und womöglich sogar haltbar sei.

Das kann Franziska Brantner einerseits nicht von der Hand weisen, andererseits aber auch nicht gutheißen, da sie Baschar al-Assad und den Russen das Interesse an einer politischen Lösung abspricht. Beide wollten gar keinen Transformationsprozeß, der zum Abtreten Assads führe, sondern setzten auf den militärischen Sieg. Wolle man ernsthafte Friedensgespräche führen, müsse man sofort anfangen, und dürfe nicht wie geplant einen Monat warten, ob die Waffenruhe hält, legt die Grünen-Politikerin mit einer absurden Forderung nach, um ihr Mißtrauen gegenüber der syrischen Regierung und deren russischen Unterstützern zu unterfüttern.

Waffenstillstand sei Waffenstillstand, das habe der Westen nicht geschafft. Ob sie Putin den Erfolg nicht gönne, will Heinemann wissen. Von seiten Assads werde es keinen Frieden geben, der mehr als eine Friedhofsruhe sei und einen Guerillakrieg zeitige, beharrt Brantner auf ihrer grundlegenden Skepsis. Der IS und Al Kaida trieben weiter ihr Unwesen, Saudi-Arabien und Katar fehlten am Verhandlungstisch. Ohne Einbeziehung aller Beteiligten werde es keine Lösung dieses Regionalkriegs geben. Da nun aber der Westen in Syrien nichts zustande gebracht habe, sollte man doch den russisch-türkischen Versuch nicht sofort mit Zweckpessimismus überfrachten, widerspricht ihr der DLF-Journalist. Jetzt müßten die Europäer auf humanitären Zugang zu allen belagerten Gebieten drängen, rückt Brantner zögernd damit heraus, wie sie sich das von ihr wiederholt angemahnte "kluge Überlegen" des Westens vorstellt. Wenngleich die Europäer nicht mit am Tisch säßen und ihr Einfluß daher gering sei, würden sie künftig mit Sicherheit gefragt, das Land aufzubauen und dafür die Geldbörse zu öffnen. Diese Hilfe dürfe keinesfalls ohne Bedingungen gewährt werden, sondern müsse an konkrete Forderungen geknüpft sein.

Die Quintessenz ihrer Ambivalenz ob des von unerwünschter Seite herbeigeführten Waffenstillstands nimmt endlich doch Kontur an, als sie zum einen die rigorose Haltung des russischen Verteidigungsministers Schoigu verwirft, der jeden als Terroristen einstuft, der den Waffenstillstand bricht, zum anderen jedoch Heinemanns süffisanten Einwand, Wattebällchen hätten bisher auch nichts gebracht, sofort aufgreift:

Wattebällchen haben auch nichts gebracht, nein. (...) Da haben Sie recht, dass das Ankündigen, Versprechen als Unterstützung für demokratische Kräfte, Drohungen gegen Diktatoren schädlich sind, wenn sie keinerlei Konsequenzen mit sich bringen. (...) Man sollte keine Versprechen und auch keine Drohungen aussprechen, wenn man sie nicht ernst meint, das ist mehr als schädlich. Das hat der Westen in den letzten Jahren getan und heute reden wir darüber, welchen Preis wir dafür zahlen. (...) Das Ergebnis, das wir heute in Syrien sehen, ist das Ergebnis vom Versagen des Westens über Monate und Jahre. (...) Die Alternative, wir machen wieder Kuschelkurs mit den Diktatoren, hat in der Vergangenheit nicht geklappt und wird auch in Zukunft nicht klappen.

Auch wenn Franziska Brantner tunlichst vermeidet, die Konsequenz ihrer Forderungen klar und eindeutig beim Namen zu nennen, steht doch die Klage über die mangelnde Kriegsbeteiligung der Deutschen und Europäer in Syrien wie ein Elefant im Raum.


Fußnote:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/krieg-in-syrien-kuschelkurs-mit- diktatoren-hat-nicht.694.de.html?d

30. Dezember 2016


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